6815456-1973_06_06.jpg
Digital In Arbeit

Der Judo-Antiklerikalismus

Werbung
Werbung
Werbung

Zur „Volkspartei" will die FDP werden. Dies verkündeten ihre Spitzenmänner nach dem überraschenden Wahlsieg bei den jüngsten Bundestagswahlen. Vor der Wahl noch davor zitternd, ob sie die gefürchtete Fünfprozentgrenze, an der sich bundestagswürdige Parteien von den übrigen scheiden, überspringen können werde, gab sich die FDP nachher forsch.

Auf dem Dreikönigstreffen wurde stolz verkündet, daß man darangehe, die Rolle der klassischen Minderheitenpartei abzulegen und sich breiteren Wählerschichten zu empfehlen. Kaum aber hat die Parlaments- und Regierungsarbeit begonnen, in der sich die FDP als Volkspartei profilieren will, bläst ihr schon der rauhe Wind ins Gesicht: Die Jungdemokraten sind zur Attacke angetreten.

Auf ihrer Bundesdelegiertenversammlung vor wenigen Tagen lasen die Vertreter dieser liberalen Jugendorganisation, die immer wieder ihre organisatorische Unabhängigkeit von der FDP betont, dem Partei-Establishment die Leviten. Nicht nur das. Die Judos legten auch ein Papier auf den Tisch, das unter der schlichten Forderung, Kirche und Staat konsequent zu trennen, ideologiebefrachtete Kurzsidhitig-keit und Ressentiments dokumentierte und damit dem Image der FDP als möglicher Partei der Massen ziemlichen Schaden zufügen kann. Denn was die Jusos den politischen Gegnern der Sozialdemokraten sind, nämlich willkommener Anlaß, die gesamte Partei mit den Gedanken der Jugendorganisation zu identifizieren und damit in Mißkredit zu bringen, könnten die Judos für Deutschlands Liberale werden.

Gerade ein antikirchliches Image kann die FDP trotz aller Säkularisierung in der Bundesrepublik nicht brauchen. Während sich SPD und CDU/CSU kräftig um die Unterstützung der kirchlich orientierten Wähler bemühen, wäre ein Gegenkurs der FDP nicht nur ein Hindernis auf dem Weg zur Volkspartei, sondern könnte selbst den bisherigen Wählerstamm verschrecken.

Die Forderung nach Trennung von Kirche und Staat ist aufschlußreich, weil sie weit über die alten liberalen Forderungen hinausgeht. Die Sachforderungen sind weitgehend bekannt und werden auch von vielen Christen unterstützt: Abschaffung des Eides, Beseitigung religiöser Symbole im öffentlichen Leben, Herauslösung der theologischen Fakultäten aus den Universitäten, Abschaffung der staatlichen Kirchensteuereinhebung und des verfassungsmäßig garantierten Religionsunterrichts in den Schulen. Etliche dieser Forderungen werden wohl über kurz oder lang Wirklichkeit werden. Beim Religionsunterricht dürfte es schon allein wegen der Verfassungsänderung schwierig

werden. Bei der Kirchensteuer, die in der Bundesrepublik von den Finanzämtern mit der Lohnsteuer einbehalten wird, würden sich Schwierigkeiten in der Praxis ergeben, weil für die aus diesen üppigen Kirchensteuereinnahmen finanzierten karitativen und sozialen Einrichtungen der Kirchen öffentliche Ersatzeinrichtungen geschaffen werden müßten. Der Alternativvorschlag der - Judos, die Hälfte der bisherigen Kirchensteuer als staatliche „Sozialabgabe" einzuheben, zeigt unter anderem, wie realitätsfern in dieser Organisation gedacht wird.

Diese antireligiöse Radikalität kann um so mehr verwundern, als seit der Wahlnacht vom 19. November vergangenen Jahres das Bemühen der beiden Regierungsparteien um die kirchlichen Wählerschichten unverkennbar ist. Brandt berücksichtigte diese Gruppe in seiner Dankesrede für den Wahlerfolg. In der Regierungserklärung wurden die Kirchen ausdrücklich gewürdigt und der Wunsch nach guter Partnerschaft zwischen Staat und Kirchen betont. Debatten zwischen dem Entwicklungshilfeminister Erhard Eppler und dem CDU-Chefideologen Richard van Weizsäcker, beide Mitglieder der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, die in den jüngsten Bundestagssitzungen breiten Raum einnahmen, zeigen ebenfalls, daß man auf Regierungsseite bemüht ist, das von der CDU schon mit dem „C" im Namen beanspruchte Monopol auf christliche Wähler endgültig zu brechen. In einem Moment, da vor allem durch die Ostpolitik, aber auch durch die Sozialpolitik verursacht, ethische und moralische Fragen eine außerordentliche Rolle spielen und mit großer Ernsthaftigkeit debattiert werden, kommen die jungen Liberalen mit Forderungen, in denen dies alles negiert wird.

Wenn die FDP selbst auch diese Haltung nicht übernahm, bleibt doch die Tatsache bestehen, daß sich die ihr nahestehende Jugendorganisation, die sich noch immer als „liberal" bezeichnet, mit Gedanken identifiziert, die längst nicht mehr als liberal bezeichnet werden können. Die einseitige ideologische Argumentation zeigt darüber hinaus, daß von der Tradition der großen Liberalen, etwa eines Heuss, nicht mehr viel übrig ist. In Berlin haben diese Tendenzen auch bereits die Partei selbst erfaßt, wo eine Spaltung zwischen einem rechten und linken Flügel nur durch Einsatz des Parteivorsitzenden Scheel selbst verhindert werden konnte. Will die FDP sich tatsächlich größeren Bevölkerungsschichten als politische Alternative zu den großen Volksparteien präsentieren, so wird sie bemüht sein müssen, ihre liberale Haltung zu bewahren. Andernfalls könnte sie als Hort von Ideen erscheinen, die am linken Flügel der SPD konsequenter vertreten werden und selbst dort dieser großen Partei erhebliche Schwierigkeiten bereiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung