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Der junge Trend - Studieren im Alter

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Senioren an Österreichs Universitäten sind keine Seltenheit mehr. Der Trend zur Bildung im Alter ist seit Jahren steigend. Jetzt sind auch die Senioren-Beratungsstellen der Unis wieder geöffnet.

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Senioren an Österreichs Universitäten sind keine Seltenheit mehr. Der Trend zur Bildung im Alter ist seit Jahren steigend. Jetzt sind auch die Senioren-Beratungsstellen der Unis wieder geöffnet.

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„Theater- und Konzertbesuche sind nicht genug, um die grauen Zellen frisch zu halten”, meint Seniorenberater Horst Leonhard an der Universität Wien und selbst Seniorenstudent. Ein Argument, das für viele Senioren stichhaltig sein dürfte, denn die Zahl der Seniorenstudenten in Österreich ist innerhalb der letzten zehn Jahre beträchtlich gestiegen. Gab es im Wintersemester 1980/81 an Österreichs Universitäten 2.207 ordentliche inländische Hörer ab 40 Jahre, so waren es im Wintersemester 92/93 bereits 7.533, die ihre grauen Zellen trainierten. Allerdings macht das Statistische Zentralamt darauf aufmerksam, daß in diesen Zahlen auch diejenigen enthalten sind, die vom Jungstudenten direkt zum Seniorenstudenten wechseln - auch ewige Studenten genannt. In den letzten Jahren haben jedoch pro Wintersemester durchschnittlich 250 - 300 „richtige” Seniorenstudenten ein Studium begonnen.

Ab 40 Jahre ist man Senior

Laut Rektorenkonferenz sind Frauen ab 40 und Männer ab 45 Jahre Seniorenstudenten - Menschen in diesem Alter würden sich selbst wohl nicht als Senioren bezeichnen. Doch der Begriff „Seniorenstudium” hat sich durchgesetzt, da er, wie die Informationsbroschüre der Österreichischen Hochschülerschaft meint, griffig und prägnant sei. Der Vergleich zu „Spätstudierende” und „Studierende im mittleren und höheren Erwachsenenalter” macht die Einwände zu anderen Begriffen einleuchtend, obwohl das Eigentliche damit besser umschrieben wird.

Universitäre Weiterbildung kann man in drei Abschnitte einteilen: Studieren als Ausbildung, als berufliche und soziale Etablierung für Berufstätige und als Gestaltung des Lebensabend. Wobei der letzte Abschnitt durch verkürzte Arbeitsdauer schon lange nicht mehr ins greisenhafte Alter fällt. Zudem gestalten ältere Menschen heute ihr Leben zunehmend aktiver und bewußter.

Neben dem bereits erwähnten Fitneßprogramm der grauen Zellen gibt es noch andere Gründe, warum Menschen im fortgeschrittenen Alter die Universitäten besuchen:

□ Im Vordergrund steht in den meisten Fällen das Interesse zu einem bestimmten Themengebiet. Berufliche Qualifikation ist daher zumeist ein beiläufig erzieltes Resultat. Darum nehmen die Senioren ihr Studium emster, meint der Seniorenberater Leonhard, weil sie es „aus Liebe und Interesse” absolvieren. (Interesse und Freude an einem Studium ist wohl eine oft vergessene Aufgabe, die die Universität herkömmlich neben der Berufsausbildung zu erfüllen hat.)

□ Viele Seniorenstudenten wollen sich ein persönliches Leistungsziel setzen, suchen eirie Lebenserfüllung, um die Leere, die sich oft nach der Pensionierung einstellt, zu bekämpfen.

□ Eine weitere Gruppe von Senioren möchte noch im Alter einen akademischen Grad erwerben.

□ Einer der Gründe ist auch im Alter sein Wissen zu erweitem oder zu aktualisieren. In der Pension haben viele erst Zeit ihre langjährigen Hobbies auszuleben und weiteres Wissen dafür zu sammeln.

□ Manche Senioren erfüllen sich mit einem Studium ihren Jugendtraum, den sie aus verschiedensten Gründen erst im Alter erleben können.

□ Der Abschluß eines in der Jugend begonnenen Studiums, das zum Beispiel durch den Krieg, wegen Geldmangel oder Familiengründung abgebrochen werden mußte, ist auch eine mögliche Motivation. Ein Beispiel dafür wäre Ehrhardt Lebherz, Seniorenstudent und ebenfalls Seniorenberater an der Uni Wien, der derzeit an seiner Doktorarbeit schreibt. „Jetzt realisiere ich, was ich immer schon wollte.” Denn in der Nachkriegszeit konnte er sein Studium nicht beenden.

□ Ebenso kann ein Seniorenstudium eine Art Belohnung nach einem ungeliebten Berufsleben, das aus einer Notwendigkeit gewählt wurde, darstellen.

Viel zitiert wird das Argument, Seniorenstudenten rauben den Jungstudenten die Plätze in Übungen und Seminaren. Doch die Senioren werden bei überlaufenen Veranstaltungen bei weitem nicht bevorzugt. Außerdem befindet sich der Großteil der Senioren an der geisteswissenschaftlichen Fakultät, wo von Platzproblemen in den meisten Studienrichtungen kaum die Rede sein kann. Studienberatungsstellen raten auch immer zu nicht überlaufenen Studien.

Zudem beeinflussen ältere Menschen durch ihre Erfahrung und ihr Wissen Lehrveranstaltungsablauf und -didaktik. Im allgemeinen stehen die Jungstudenten den Seniorenstudenten positiv gegenüber. Das kann der Seniorenstudent Leonhard aus eigener Erfahrung und Erzählungen aus der Beratung bestätigen. Von der Zusammenarbeit der jüngeren mit der älteren Generation profitieren in den meisten Fällen beide Seiten.

Über 50 Prozent des gesamten Seniorenstudiums in Österreich findet an der Hauptuniversität in Wien statt. Bevorzugt wird die geisteswissenschaftliche, grund- und integrativwis-senschaftliche und die naturwissenschaftliche Fakultät. Die Top 3 der Seniorenstudien sind: erstens Literatur und Sprachkunde, von Germanistik bis Arabistik, zweitens Geschichte und drittens Philosophie.

In den letzten zwei Jahrzehnten öffneten sich in vielen Ländern die Univer-* sitäten für pensionierte und auch berufstätige Menschen. „Die Propagierung des Seniorenstudiums in Österreich geht auf eine Anregung der Österreichischen Rektorenkonferenz aus dem Jahr 1978 zurück”, wie das Handbuch für Rektoren erklärt. „Ziel war es, älteren Menschen die Möglichkeit zu schaffen, das Bildungsangebot unserer Universitäten in ihre Lebensgestaltung einzubeziehen.”

Für die Aufnahme als ordentlicher Hörer an den Universitäten ist die Matura unbedingt erforderlich. Ordentlichen Hörem sind an den Universitäten alle Studienrichtungen, für die sie laut ihrem Maturazeugnis die notwendigen Voraussetzungen erbringen, zugänglich. Auch Zusatzprüfungen, wie Latein und Griechisch, wenn sie in einer bestimmten Studienrichtung erforderlich sind, können von Seniorenstudenten abgelegt werden. Mehr als die Hälfte aller Seniorenstudenten sind ordentliche Hörer, da die meisten ein Maturazeugnis besitzen sowie in ihrem Studium eine genaue Zielsetzung, die akademische Graduierung, wünschen.

Auch ohne Matura studieren

Für Nichtmaturanten werden Stu-dienberechtigungsprüfungen angeboten. Diese Prüfung ist keine spezielle Einrichtung für Senioren, sondern kann von jedem, der sein 22. Lebensjahr vollendet hat, abgelegt werden. Außerdem kann man ohne Matura die Universität auch als außerordentlicher Hörer besuchen. Außerordentliche Hörer können alle Vorlesungen, Seminare und Übungen besuchen, sofern Plätze frei sind. Das Studium kann allerdings nicht mit einem akademischen Grad abgeschlossen werden. Prüfungen, die den Senioren ebenso wie den Jungen Ängste bereiten, können, aber müssen nicht absolviert werden.

Eine Möglichkeit des Studierens ist Akademikern vorbehalten, der Gasthörer. Bei dieser Variante kann man keinen akademischen Grad erwerben, außerdem sind Matura und ein abgeschlossenes Hochschulstudium erforderlich. Gasthörer können aus dem gesamten Repertoire an Lehrveranstaltungen, quer durch alle Studienrichtungen, je nach Interesse auswählen.

Bei Unklarheiten über die Bewältigung des Papierkriegs oder die richtige Wahl des Studiums stehen den Seniorenstudenten von den Universitäten selbst und von der Österreichischen Hochschülerschaft eigene Beratungsstellen zur Verfügung.

Bewundernswert ist die Energie, die Seniorenstudenten wohl aufbringen müssen, um in ihrem Alter für Prüfungen zu lernen, um ganze Studien abzuschließen. Doch manchmal gibt es doch Zweifel. Lebherz meint, vor allem am Anfang - die ersten Semester sind die schwersten - stellte er sich die Frage, ob er es denn notwendig hätte, sich das alles anzutun. Aber: „Es macht Spaß.”

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