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Der Jungfrauenbefreier und die Hexen

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Im Bereich des bäuerlichen Lebens geschieht nichts, das nicht mit der ganzen Natur im Einklang stünde oder seit Generationen erprobt wäre. Das Brauchtum um den in die Osterzeit . fallenden Georgitag (24. April) ist nicht nur uralt, sondern auch überaus viel-

fältig. Im Volke gilt dieser Termin als der alte Frühlings- und Wachstumsbeginn— eine Erinnerung an die einstigen heidnischen Frühlingsfeste, die aus Freude über den Sieg der Natur, die Vernichtung der Feinde der Fruchtbarkeit und des Wachstums und die Entzauberung und Bezwingung des Hexenunwesens begangen wurden. Diesen Frühlingsdämonensieg feierten auch die ■ alten Römer im Fest zu Ehren der Göttin der Hirten und Herde, Pale, bei dem nächtens auf den Höhen riesige Feuer entzündet wurden.

In unserer Heimat, ebenso wie bei den benachbarten slawischen Völkern, den Böhmen, Mährern, Kroaten und Slowenen, tritt der Hexenglaube und die Hexenabwehr in den Frühlingsbräuchen und vor allem am Georgitag besonders kräftig hervor. Der Georgitag galt seit jeher als jener Tag, an dem die Hexen frei ihr Unwesen treiben durften. Um sich mit Erfolg davor schützen zu können, wurden Birkenzweige an der Tür, am Zaun oder auf dem Dach befestigt und Feuer wurde in der Nacht entzündet. In Südkärnten und in den slawischen Ländern waren

Frühlingsfeuer (Osterfeuer) und das heute vielfach schon vergessene Scheibenschlagen am Georgitag üblich. In Kärnten und Slowenien wird an diesem Tag manchmal noch der „Grüne Georg“, eine den Frühling beziehungsweise einen Winterdämon verkörpernde Gestalt herum-

geführt, gejagt und manchenorts sogar ins Wasser geworfen. In Nordtirol und Oberbayern wiederum übt man am Georgitag heute noch den Brauch des Grasausläutens, welches den Zweck verfolgt, das Wachstum zu beschleunigen.

Unser Kirchenheiliger Georg, auch Jörg oder Jürg genannt, gefeiert als Verteidiger der Kirche, war Offizier in Kappadokien und wurde um 303 vor Christi unter Diokletian enthauptet. Durch eine Legende aus dem elften Jahrhundert wurde er zum Reiter und Drachenkämpfer.

Der christliche Reiterheilige befreit eine Jungfrau aber nicht anders, als sein Urbild und Vorgänger die Mutter Erde und die Wachstumskräfte der Natur von der langdauernden Erstarrung des Winters erlöste.

Sankt Georg tötet im Kampf den Drachen — ein legendäres Untier —, das allegorisch für alle bösen Dämonen und das Heidentum steht Denn die Erzählung verbirgt in sich das Symbol vom Sieg des Christentums über das Heidentum, den Sieg des Menschen über die Leidenschaften, die' immer in der Gestalt des

Drachens dargestellt wurden. Im Laufe der Zeit wurde St. Georg auch noch zum Bezwinger der Pest, zum Hexenbanner, zum Schutzpatron der Krieger, Reiter und der Pferde erkoren.

Der Georgitag galt im Volksglauben lange als das altheidische

Osterfest, als Tag der Zaubermächte und vor allem als Tag der Hexen. Mit Stöcken, die man geräuschvoll um Zäune und Bäume schlug, oder mit Ketten, die man ums Haus trug, auch mittels geweihten Pulvers, das man in die Lüfte schoß, war man bestrebt, die Hexen von Hof und Feld zu vertreiben, oder, wie der Volksmund es ausdrückt, „abzujagen“. Im niederösterreichischen Viertel ob dem Wienerwald war zu Georgi der Brauch des „Rainsprit- \ zens“ mit Weihwasser üblich, verbunden mit einer Gemärkeschau und Grenzbegehungen: andernorts wieder pflegte man den Umritt oder den Austrieb der Rösser.

Georgiumritte nebst einem dramatischen Kultspiel des Drachenstiches, bei dem stets viel Blut in die Zuschauermenge spritzen mußte und das in der Barockzeit sehr beliebt war, sind in der Zeit der Aufklärung, weil „heidnisch und das Heiligtum entehrend“, verboten und abgeschafft worden. Hie und da setzte sich jedoch die Wesensart des Volkes über diese Verbote hinweg und pflegte die Tradition der Umritte unbeirrt bis in unsere Tage weiter. Georgi- beziehungsweise Osterritte haben ein und denselben Ursprung, und zählen zu den prächtigsten unserer Frühlingsbräuche. Da der Frost nicht mehr in der Erde steckte, durften auch die Kinder wieder barfuß gehen. Es ist auch bezeichnend, daß in vielen Gegenden mit dem Georgitag die Jagdsaison beginnt.

Zu den aus alter Zeit erhalten gebliebenen Frühlingsumritten zählen (beziehungsweise zählten noch bis vor kurzem, da einige aus Mangel an Pferden nicht mehr durchgeführt werden können): der Osterritt von Untereching bei Oberndorf, der Mitternachtsritt von Raab in Oberösterreich nach Maria-Bründl, der Georgiritt von St. Georgen bei Gries im Pinzgau und der im benachbarten Bayern noch heute alljähr^ lieh am Ostermontag in Szene gesetzte Georgiritt von Traunstein. In St. Georgen bei Obernberg am Inn fand früher am 24. April das berühmte Georgi-Pferdewettrennen statt. Erneuerte Frühlingsritte mit Pferdeweihe und Flursegnung finden in Kirohberg bei Eugendorf im Flachgau. in Viechtwang (Oberösterreich), St. Georgen bei Grießkirchen, Magdalenaberg bei Pettenbach, in Leogang, in Hüttau im Pongau, in Bramberg im Pinzgau und von Bergheim nach Maria-Piain bei Salzburg statt. Der sogenannte „Büchelritt“ von Oberndorf nach

Maria-Bühel findet stets erst am ersten Sonntag im Mai statt. Die oberösterreichischen Georgiritte von Ampfelwang (seit 1970) und Micheldorf im Kremstal gehören zu den neuesten, erst vor wenigen Jahren eingeführten Reiterprozessionen.

Micheldorf im Kremstal, überragt vom kegelförmigen Georgiberg, der die Menschen seit Urzeiten immer wieder anzog und auf dem bereits Funde aus der Hallstattzeit nachgewiesen werden konnten (nebst einer heidnischen Kultstätte, einem römischen Tempel und einer frühchristlichen Kapelle, auf deren Fundamenten sich die heutige St.-Georgs-Kapelle mit einem Chor aus dem 15. Jahrhundert und einem Langhaus aus der Barockzeit erhebt), war wie kein anderer Ort prädestiniert, die Tradition als Heil- und Zufluchtstätte weiter zu pflegen. Was lag demnach näher, als hier, im bäuerlichen Traunviertel, wo die herbstlichen Rittprozessionen zu den Leonhardikirchen nach wie vor zum Väterbrauch gehören, auch diesen Berg samt seinem St.-Georgs-Patro-zinium durch eine Reiterprozession zu Ehren dieses Heiligen aufzuwerten? Den Ansporn dazu lieferten die Micheldorfer Heimkehrer des letzten Weltkrieges, die zum Dank für ihre Errettung die Rittprozession auf den Georgiberg versprachen und dann auch verwirklichten. Die Prozession wurde den traditionellen Georgiritten getreu nachempfunden und beweist eine vorzügliche Organisation.

Am Festtag des heiligen Georg, des Patrons der Landwirtschaft — heute jeweils am zunächstliegenden Sonntag vor oder nach dem 24. April begangen — bewegt sich jetzt alljährlich aus der Ortsmitte von Micheldorf ein bunter Reiterzug über die Hauptstraße, dann über Wiesen und die Serpentinen des alten Reiterweges empor zur Sankt-Georgs-Kapelle. Prächtiges Zaumzeug schmückt die Pferde, in deren feingezopften Mähnen und in deren Schweife Blumen und Strohbüschel geflochten wurden. Fanfarenbläser, Herolde, Landsknechte, eine Gruppe mit dem armen Sünder, dem die Schlinge bereits um den Hals gelegt ist, begleitet vom Burgpfaffen und vom Henker, lokalhistorische Trachtengruppen (Sensengewerkinnen, Goldhaubenfrauen), < Falkner mit Adlern und Falken und eine Musikkapelle lassen den Umzug zu einem echten Volksschauspiel werden.

Inmitten des langen Zuges reitet würdevoll, auf einem blondgeschwänzten Haflinger, der heilige Drachenbezwinger im goldenen Panzer und in einen Königsmantel gehüllt, gefolgt von einer „Prinzessin“ auf einem Schimmel. Oben angekommen, umzieht die farbenprächtige Reiterkolonne die alte Bergkapelle, wo anschließend der Pfarrherr den Reitern und den Pferden den Segen spendet.

Die Teilnahme der Bevölkerung aus nah und fern an diesem neu ins Leben gerufenen Georgiritt von Micheldorf, zu dem sich bereits ein volkstümlicher Georgimarkt gesellt hat, ist groß. Die Zahl der mitwirkenden Reiter — es sind ihrer zwischen 80 und 90 — steigt von Jahr zu Jahr, da nunmehr auch die Sport-und Freizeitreiter großes Interesse an dieser Veranstaltung bekunden.

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