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Der Kalte Krieg in neuer Sicht

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Die Diskussion der Historiker über den Kalten Krieg ist in eine neue Phase getreten. Die ideologische Interpretation ist wieder in den Hintergrund gerückt, es dominiert nüchtern-wissenschaftliche Sachlichkeit. Das zeigte sich auch in einem jüngst in Salzburg abgehaltenen Historiker- Symposium.

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Die Diskussion der Historiker über den Kalten Krieg ist in eine neue Phase getreten. Die ideologische Interpretation ist wieder in den Hintergrund gerückt, es dominiert nüchtern-wissenschaftliche Sachlichkeit. Das zeigte sich auch in einem jüngst in Salzburg abgehaltenen Historiker- Symposium.

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Wiederaufbau und Restauration der Demokratie — Amerikanisch-europäische Beziehungen 1945—1952“ war das Generalthema eines wissenschaftlichen Symposiums, zu dem das Institut für Geschichte der Universität Salzburg, die Gesellschaft für Geschichte der Neuzeit und die amerikanische Botschaft, Wien, in die Mozart-Stadt eingeladen hatten.

Die Liste der Referenten konnte sich sehen lassen, einige der Vortragenden zählen zu den wohl bedeutendsten Historikern in Sachen Kalter Krieg. Behandelt wurden die verschiedenen Aspekte der amerikanisch-europäischen Beziehungen der unmittelbaren Nachkriegszeit (zum Beispiel regionale Fallstudien zu Griechenland und der Türkei so-

wie Triest; die Rolle der USA bei der Bildung des Europarates; die Kulturpolitik Washingtons gegenüber Europa; die Politik der USA gegenüber den deutschen Gewerkschaften).

Kein Zweifel, hier werden immer mehr Gebiete historisch „beackert“, und gerade dieser Umstand mag mit dazu beitragen, daß in die Diskussion der Geschichtswissenschafter über den Kalten Krieg wieder allmählich nüchterne Sachlichkeit eingekehrt ist.

Dies meint jedenfalls John Lewis Gaddis von der Ohio University, einer der führenden Nachkriegszeit-Historiker der Vereinigten Staaten, der in Salzburg die verschiedenen Strömungen in der amerikanischen Historiographie über den Kalten Krieg analysierte.

Bis Ende der sechziger Jahre beherrschte die Diskussion der Historiker über den Kalten Krieg vor allem eine Schule: die orthodoxe beziehungsweise traditionelle Auffassung, die Schuld und Verantwortung am Ausbruch des Konfliktes zwischen Ost und West allein der Sowjetunion zuwies. Ihre wichtigsten Argumente:

• In der kommunistischen Welteroberungsstrategie sei Krieg stets als ein entscheidender Schritt betrachtet worden; die Sowjetunion hätte deshalb in ihrem Sicherheitsstreben nicht allein die Verteidigung ihres eigenen Territoriums im Auge gehabt, sondern Maßnahmen zur Erweiterung des kommunistischen Machtanspruches getroffen.

• Das Expansionsstreben, die Unterdrückung fremder Völker und die Unterwerfung anderer Staaten seien eine Folge der internen totalitären Zwangsherrschaft gewesen, wie sie gerade auch der Stalinismus ausgeübt habe.

• Die Errichtung von sowjethörigen Volksdemokratien im Einflußbereich der Roten Armee habe gezeigt, daß Stalin bei der Verwirklichung seiner Pläne systematisch vorgegangen sei.

• Nach dem Kriege habe Stalin sofort die kommunistischen Parteien in der Welt für seine Ziele tä tig werden lassen, die er straff an der Leine geführt habe.

In Zusammenhang mit der wachsenden Opposition gegen das amerikanische Engagement in Vietnam und — damit zusammenhängend — die grundsätzliche Kritik an der Außenpolitik Washingtons verschaffte sich eine Gruppe von Historikern und Politikwissenschafter Gehör, die diese traditionelle Interpretation über Ausbruch und Verlauf des Kalten Krieges total auf den Kopf stellte: die Revisionisten, mit dem Gedankengut der Neuen Linken sympathisierende Wissenschaftler, die die USA als Hauptschuldigen in Zusammenhang mit dem Kalten Krieg ansahen. Ihre wichtigsten Argumente:

• DieamerikanischeAußenpoli- tik der Nachkriegszeit folgte dem klassischen leninistischen Modell des Imperialismus: unwillig beziehungsweise unfähig, den Wohlstand im eigenen Land zu verteilen, habe Washington um jeden Preis Märkte, Absatzgebiete, Investitionsmöglichkeiten in Ubersee gesucht, um so den Kollaps des kapitalistischen Wirtschaftssystems verhindern zu können.

• Dieses intern motivierte Streben nach einem Imperium habe wenig Raum für die legitimen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion gelassen und so den Zusammenbruch der Anti-Hitler-Koali- tion herbeigeführt. Die großen weltpolitischen Initiativen seien jeweils von den Vereinigten Staaten ausgegangen, die Sowjetunion habe darauf nur mit weitgehend unzulänglichen Mitteln reagieren können.

• Die Vereinigten Staaten drängten ihr Imperium einer zum größten Teil unwilligen Welt auf, rekrutierte die Länder in ihrem Einflußbereich in militärischen Allianzen, zwang sie in wirtschaftliche Abhängigkeiten und erhielt die imperiale Autorität gegen eine wachsende Opposition mit Mitteln der Bestechung, Einschüchterung und geheimen Interventionen aufrecht.

• Dies alles geschah gegen den Willen der Bevölkerung der Vereinigten Staaten, die durch zynische, aber geschickte Führer dazu verführt wurde, ihre imperialistische Politik zu unterstützen.

Die Schwächen dieser Schule sind klar ersichtlich: Die marxistischen und leninistischen Analysekategorien verleiteten die Revisionisten dazu, sich weniger um Wissenschaftlichkeit, sondern vielmehr um Ideologie zu kümmern.

Aber vielleicht bedurfte es gerade dieser extremen Polarisierung in der Debatte über den Kalten Krieg, damit sich allmählich eine dritte Betrachtungsweise, die vermittelnd-synthetisierende Wissenschaftsrichtung, durchsetzen konnte. Prof. Gaddis nennt sie die „post-revisionistische Schule“.

Die Post-Revisionisten weisen Schuld und Verantwortung am Ausbruch und Verlauf des Kalten Krieges nicht eindeutig den Vereinigten Staaten oder der Sowjetunion zu. Sie versuchen die Entwicklung differenziert zu analysieren, stützten ihre Argumentation auch mehr als die vorangegangenen Schulen auf Quellen und Dokumente und nicht auf ideologische Überzeugungen.

Dabei nähern sich die Post-Revisionisten in ihrer Interpretation sowohl Argumenten der traditio- nalistischen wie der orthodoxen Schule. So setzen sie sich etwa durchaus mit den wirtschaftlichen Argumenten der Revisionisten auseinander, wenngleich sie zu anderen Schlüssen kommen.

Gaddis: „Wirtschaftliche Instrumente wurden dazu benützt, um politischen Zielen zu dienen, und nicht umgekehrt, wie es das Imperialismus-Modell Lenins vorgibt. Die wirtschaftliche Stärke der Vereinigten Staaten war eine mächtige Waffe, die benutzt werden konnte — und am Anfang des Kalten Krieges auch als die wichtigste Waffe eingesetzt wurde —, aber in erster Linie dazu, das politisch-militärische Machtgleichgewicht wiederherzustellen.“

Auf das Argument der Revisionisten, daß die USA durch ihr Machtstreben keinen Raum für die sowjetischen Sicherheitsbedürfnisse gelassen hätten, kontern die Post-Revisionisten:

• Stalin war niemals bereit, das Sicherheitsbedürfnis der Sowjet union in den Nachkriegsjahren durch Zusammenarbeit mit dem Westen ^ zu erfüllen; vielmehr suchte er Sicherheit von Anfang an durch unilaterale Maßnahmen zu erreichen.

• DerSowjetführerwarsichnie- mals über die Grenzen des sowjetischen Sicherheitsbedürfnisses im klaren, deutete den USA auch nicht an, wo seine Politik der Schaffung von Einflußsphären enden würde.

• Der Fehler des Westens war nicht das Versäumnis, mit Stalin ins reine zu kommen. Der Fehler war vielmehr die westliche Passivität. Denn nur der Westen hätte Stalin die Grenzen für seine Machtambitionen vorschreiben können, er selbst war unfähig, das zu tun.

Differenzierter noch als diese Interpretation, die vor allem vom tschechisch-stämmigen US-Hi- storiker Vojeteck Mastny vertreten wird, sieht der deutsche Geschichtswissenschafter Wilfried Loth von der Universität Saarbrücken das amerikanisch-sowjetische Kräftespiel in Europa. Er vertrat bei seinem Referat in Salzburg die These, daß es eine Politik der Eindämmung sowohl von der Seite der Vereinigten Staaten wie der Sowjetunion gegeben hätte:

„Die amerikanische Politik der Eindämmung steigerte unbeabsichtigt die sowjetische Furcht vor der kapitalistischen Aggressivität. Sie brachte die sowjetischen Führer sogar dazu, ein neues strategisches Konzept zu entwickeln, das — zumal die Politik der Stabilisierung und Vorsicht offensichtlich umsonst gewesen war — darauf basierte, die eigenen Einflußsphären völlig abzuriegeln und Konfrontation beinahe um jeden Preis zu suchen.“

Nach Loth waren demnach die Polarisierung, die Bildung von Blöcken und die für das politische Leben in Ost- und Westeuropa nach dem Winter 1947/48 so charakteristische „Festungsmentalität“ nicht das Resultat des sowjetischen Expansionismus, der darauf gerichtet war, den ganzen europäischen Kontinent zu beherrschen; ebensowenig waren sie das Resultat einer besonders aggressiven wirtschaftlichen Expansion der Vereinigten Staaten:

„Was entscheidend war für die kritische Entwicklung dieses Gegensatzes und dessen Konsolidierung in Form von zwei antagoni stischen militärischen Blöcken, war eine eskalierende gegenseitige Überschätzung der Stärke und Feindseligkeit des Gegners, was denn auch am Ende keine Vereinbarung auf gegenseitigem Interesse zuließ … “

Was das Argument der Revisionisten anlangt, die Vereinigten Staaten hätten unwilligen Klienten ein Imperium aufgedrängt, waren beim Salzburger Symposium insbesondere die Ausführungen des norwegischen Historikers Geir Lundestad von der Universität Tromso aufschlußreich.

Lundestad stimmt zwar dem Argument der Revisionisten zu, daß die amerikanische Expansion viel durchschlagender als die sowjetische war: „Nur die Vereinigten Staaten wurden in den Jahren 1945-1952 wirklich eine globale Macht. Der amerikanische Einfluß konnte in allen Ecken der Welt angetroffen werden. Von einigen Ausnahmen abgesehen, zählte, hingegen die Sowjetunion außerhalb ihrer Grenzen nur wenig. Der amerikanische Expansionismus ging so tief und betraf so verschiedene Gegenden der Welt, daß man durchaus von einem amerikanischen Imperium sprechen kann.“

Aber — und das ist Lundestads These, die total von revisionistischen Argumenten abweicht — es war dies ein „Imperium auf Einladung“. Lundestad: „Im Gegensatz zur Sowjetunion, die öfters auf Gewalt zurückgreifen mußte, wurden die Vereinigten Staaten allgemein dazu ermutigt, eine aktivere Rolle in der Welt einzunehmen. Der amerikanische Einfluß ging tiefer, gerade weil Washingtons Kontrollmaßnahmen mit dem Willen der lokalen Bevölkerungen abgestimmt, waren — im Gegensatz zu Moskaus Maßnahmen.“

Freilich, die These eines „amerikanischen Imperiums“ scheint noch reichlich unausgegoren — vergleicht man die von den USA geschaffene Nachkriegsordnung etwa mit dem römischen oder dem britischen Imperium. Prof. Gaddis Unsicherheit mit dem Begriff „Imperium“ etwa zeigte sich deutlich, wenn er meinte: „Was die Post-Revisionisten veranschaulichen, ist, daß das amerikanische Imperium besser in das Modell einer defensiven als offensiven Expansion paßt, eher auf Einladung als auf Aufbürdung beruhte, eher Improvisation als sorgfältige Planung zählte.“

Sicher ist jedenfalls: Die Diskussion der Historiker über den Kalten Krieg ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Post-Revisionisten haben einige Dinge zurecht gerückt, neue Erkenntnisse ans Licht gebracht. Doch auch ihre Argumentation wird sich Revisionen gefallen lassen müssen.

Ein großes Manko bleibt. Die Forschung und Diskussion spielt sich einseitig in westlichen Historiker-Zirkeln ab, die sowjetischen Archive bleiben verschlossen. Und das wohl noch lange Zeit…

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