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Der „Kamintrick“

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Wackersdorf ist in aller Munde. Um die Plutonium-Fabrik an der Grenze zu Österreich wird heftig mit Pro- und Kontra-Argumenten gekämpft. Hier die wichtigsten davon.

Im natürlichen Uran ist das spaltbare Isotop U-235 nur mit einem Anteil von rund 0,7 Prozent vertreten, der Rest ist unspaltbares U-238. Damit das Uran in herkömmlichen Reaktoren einsetzbar ist, muß der Anteil des U-235 auf 1,8 Prozent (Typ Tschernobyl) bis zu drei bis vier Prozent (Typ Biblis) erhöht werden; dieser Prozeß heißt Anreicherung.

Im Reaktor wird der größte Teil des U-235 gespalten; dabei entsteht die nutzbare Wärmeenergie. In den verbrauchten, „abgebrannten“ Brennelementen beträgt der Anteü des unverbrauchten U-235 zirka 0,9 Prozent. 94,5 Prozent sind unverbrauchtes

U-238, etwas über drei Prozent machen die Spaltprodukte aus und knapp ein Prozent ist „erbrütetes“ Plutonium.

Die verbrauchten Brennelemente kann man nun wegschmeißen. Der technische Ausdruck dafür heißt „Direkte Endlagerung“. Man kann aber auch das restliche Uran sowie das teilweise ebenfalls spaltbare Plutonium herauslösen und nur die unbrauchbaren hochradioaktiven Spaltprodukte endlagern. Das ist Aufgabe einer Wiederaufarbeitung.

Endprodukte der Wiederaufarbeitung sind:

• Plutonium, das zusammen mit Uran zu neuen „Misch-oxid“( „MOX“) -Brennelementen verarbeitet wird, die wieder in Reaktoren einsetzbar sind.

• Uran („WAU“), das nach Wiederanreicherung oder Vermischung mit Plutonium in neuen Brennelementen verwendet werden kann;

• die Spaltprodukte, die in Glas gegossen und als „hochaktiver Müll“ zum Beispiel in Salzbergwerken endgelagert werden sollen (bisher gibt es kein Endlager);

• mittel- und schwachaktiver Atommüll, der in großen Mengen beim Wiederaufarbeitungspro-zeß anfällt, in Beton gegossen und ebenfalls endgelagert werden soll.

• radioaktive Emissionen in die Luft und ins Abwasser der Anlage.

• Es ist unökonomisch, den wertvollen Rohstoff Plutonium einfach wegzuwerfen, zumal das spaltbare in der Natur vorhandene Uran voraussichtlich in einigen Jahrzehnten aus ist;

• das Volumen an endzulagerndem hochaktivem Müll wird reduziert, weil die Spaltprodukte ja nur einen relativ kleinen Teil der abgebrannten Brennelemente ausmachen;

• durch die Abtrennung des Plutoniums wird ein großer Teil der sehr langlebigen und daher auf lange Sicht (Millionen Jahre) für die Umwelt eventuell gefährlichen Isotope aus dem endzulagernden Atommüll entfernt;

• man will den technologischen Anschluß nicht verpassen

Gegen diese Argumente wird im wesentlichen folgende Kritik erhoben:

• Brennstoff aus der WAA ist voraussichtlich mindestens viermal so teuer wie frischer. (Daß die Wiederaufarbeitung zumindest bis auf weiteres unrentabel ist, wird auch von ihren Anhängern nicht bestritten.) ökonomisch sinnvoll kann die Wiederaufarbeitung erst sein, wenn Plutonium für „Schnelle Brüter“ zurückgewonnen werden soll. Dazu sind aber, abgesehen von der damit verbundenen politischen (Plutoniumwirtschaft), ökologischen und Sicherheitsproblematik, noch beträchtliche technische Schwierigkeiten zu überwinden.

• Es stimmt zwar, daß die Menge des hochaktiven Mülls reduziert wird (etwa um die Hälfte), dafür entstehen aber riesige Mengen nicht viel weniger problematischen mittel- und schwachaktiven Abfalls, der ebenfalls „entsorgt“ werden muß. Man rechnet mit dem 25- bis über 80fachen Volumen, gemessen an dem der abgebrannten Brennelemente.

Dazu kommen die beträchtlichen radioaktiven Emissionen in die Abluft und ins Abwasser, wesentlich mehr als bei in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken.

Die Strahlenbelastung, die dabei für die Bevölkerung entsteht, kann nur dadurch unterhalb der Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung gehalten werden, indem die gasförmigen Emissionen mittels eines 200 Meter hohen Kamins so weit verdünnt werden, daß auch die biologischen Folgen bis unter das zulässige Maß verdünnt werden: Die kollektive Belastung, die von der Strahlenschutzverordnung nicht begrenzt wird, bleibt gleich, nur verteilt sie sich über mehr Individuen, sodaß die Individualdosen geringer sind.

Durch diesen „Kamintrick“ werden die Langzeitfolgen der radioaktiven Belastung (Krebs, genetische Schäden) statistisch besser verteüt.

Gemäß der Studie .Andere Entsorgungstechniken“ des Kernforschungszentrums Karlsruhe von 1985 (WAA-Befürwor-ter!) ist die Wieder auf arbeitung und Endlagerung über 3000mal so gefährlich wie die direkte Endlagerung abgebrannter Brennelemente, gemessen an zu erwartenden Kollektivdosen. Laut dieser Studie ist die direkte Endlagerung außerdem um rund 30 Prozent billiger.

• In herkömmlichen thermischen Reaktoren läßt sich der Brennstoff nicht behebig oft recyclie-ren, deshalb muß auch das Plutonium einmal endgelagert werden — dann noch dazu mit noch unangenehmeren Langzeitstrahlern angereichert. Die Endlagerung der auf lange Sicht gefährlichen Anteile des Atommülls wird durch die Wiederaufarbeitung nur hinausgeschoben.

• Die technologische Kapazität, über Plutonium zu verfügen, bedeutet eine politische Aufwertung eines jeden Staates. Aus Plutonium können Atombomben hergestellt werden. Mit geringen Verfahrensänderungen kann auch in der für Wackersdorf geplanten WAA Bombenplutonium gewonnen werden.

Es sind heute jene Politiker in der Bundesrepublik, die das WAA-Projekt in erster Linie betreiben, die seinerzeit gegen Unterzeichnung und Ratifizierung des Atomsperrvertrages (Non pro-liferation treaty) aufgetreten sind. Auch wenn die „nukleare Option“ in der Bundesrepublik derzeit nicht auf der Tagesordnung steht, sollte der Umstand doch bedacht werden, daß der Atomsperrvertrag etwa gleichzeitig mit der geplanten Inbetriebnahme der WAA-Wackersdorf in den neunziger Jahren ausläuft.

Es ist zu befürchten, daß der „harmlose“ Normalbetrieb eher Idealbetrieb zu nennen ist; die meisten üblichen Stör- und Unfälle in Wiederaufbereitungsanlagen haben zwar relativ geringe Folgen für die Umwelt (immerhin gut aber die Wiederaufbereitungsanlage von Windscale/Sel-lafield in Großbritannien als der größte einzelne Umweltverschmutzer der Welt), katastrophale Unfälle mit Verwüstung ganzer Länder sind aber denkbar.

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