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Digital In Arbeit

Der Kampf um den Bildschirm

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Der BBC weht ein kalter Wind ins Gesicht. Nach Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und politischen Intrigen beginnt der Streit um die Zukunft des Unternehmens.

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Der BBC weht ein kalter Wind ins Gesicht. Nach Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und politischen Intrigen beginnt der Streit um die Zukunft des Unternehmens.

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Die Briten haben das höchststehende Fernsehen der Welt, sind aber deshalb nicht davor bewahrt, daß es in einem der beiden großen Unternehmen einmal kräftig kriselt. Gegenwärtig macht die British Broadcasting Corporation (BBC) stürmische Tage durch: Rücktritt des Generaldirektors, aus der Downing Street Salven der Kritik an der Ausgewogenheit, Affäre um eine die öffentliche Sicherheit berührende Dokumentation. Kann die renommierte Anstalt ihre inneren Schwierigkeiten mit einem neuen General - oder gar deren zwei — bald aus der Welt schaffen?

Die überraschende Resignation von Alistair Milne als Generaldirektor Ende Jänner nach nur vier Jahren in der Chefetage von Broadcasting House wurde mit persönlichen Motiven begründet, es kann jedoch kein Zweifel be-

stehen, daß Milne gezwungen wurde, den Hut zu nehmen. Er war bei der Regierung nicht gerade hoch in Kurs. Ferner fehlte dem General der richtige Draht zu den Mitgliedern des 12köpfigen Vorstandes (Governors), die in den letzten Monaten auffallend an Macht gewonnen haben.

Das Verhältnis zum Vorsitzenden Marmaduke Hussey und dessen Stellvertreter Lord Barnett stand nicht zum besten. Als Frau Thatchers Parteipräsident Norman Tebbit im letzten Oktober eine heftige Attacke auf die BBC-Berichterstattung von Reagans Angriff auf Libyen lancierte, wurde vom Vorstand Milne zum Sündenbock gestempelt.

Damit kommt ein turbulenter Zeitabschnitt in der Geschichte der BBC zum Abschluß. Im Jänner 1984 wurden Tory-Abgeordnete belastet, enge Verbindungen mit militanten Elementen zu unterhalten. Die Volksvertreter klagten auf Verleumdung, BBC mußte sich entschuldigen und Entschädigung zahlen.

Im April des nächsten Jahres wurde ein Exklusivinterview der Konkurrenz Unabhängiges Fernsehen (ITV) mit Prinzessin Christine von Kent auf Piratenart gekapert und ausgestrahlt. Drei Monate später ordnete der Vorstand auf Betreiben des damaligen Innenministers Leon Brittan die Absetzung der Dokumentation ,3eal lives“ an, weil der Hauptteil derselben aus dem Auftritt eines IRA-Terroristen bestand.

Der Bericht der Peacock-Kom-mission im Juni 1986 schloß Werbung für BBC aus. Da ferner die Radio- und Fernsehgebühren, gegenwärtig 58 Pfund (1.160 Schilling) im Jahr, niedriger als gefordert vom Parlament festgelegt worden waren und künftig eine Steigerung nur im Grad der Inflation vorgesehen ist, muß die nationale Institution mit ihren bisherigen Jahreseinnahmen von umgerechnet 20 Müliarden Schilling ihr Auslangen finden. Das wird unweigerlich an der Vielfalt des Programms zehren, wie sie von Milne durchgesetzt worden war.

Eine neue Bombe explodierte zwei Tage nach dem Rücktritt von Milne. Auf der Suche nach einem Informanten im Verteidigungsministerium plünderte die „Special“ Branch“ der Polizei, zuletzt doch mit einem weitreichenden Durchsuchungsbefehl ausgestat-

tet, das BBC-Hauptquartier in Glasgow. Dort war die Serie „Geheimgesellschaft“ mit einem Kapitel über den britischen Himmelsspion Zircon produziert worden. Die Dokumentation wurde vom Programm gestrichen, obwohl Einzelheiten in einer Wochenschrift ausführlich an die Öffentlichkeit gebracht worden waren.

Die Premierministerin ist nicht gut auf BBC zu sprechen. Milne

war nicht und Hüssey ist nicht ein Mann nach ihrem Zuschnitt. Das ist nicht neu: Auch Labourpremier Harold Wilson stand mit BBC auf Kriegsfuß. Tebbits wiederholter Angriff auf das „old girl“, wie das Unternehmen im Volk liebevoll genannt wird, ist zeitlich mit Vorbedacht gewählt. Die Kampagne zum nächsten Wahlkampf hat bereits mit vollen Tönen eingesetzt. Es ist der Regierung sehr wohl bewußt, daß heutzutage Wahlen auf dem Bildschirm gewonnen oder verloren werden.

Politisch, aber intern, ist auch der Streit, der im Unternehmen über fertiggestellte Spielfilme tobt, deren Vorführung auf unbestimmte Zeit verschoben worden ist und die möglicherweise teü-weise neu gedreht werden müssen: ein Drama über Nordirland,-zwei Filme über den Falklandkrieg, ein Beitrag über den Versuch der Fleet Street, den Posträuber Biggs ins Land zurückzu-

holen, und ein radikales Theaterstück. In diesen Fällen liegt der Vorstand mit der Geschäftsführung überquer.

Die Fähigkeiten, die von dem am 26. Februar gekürten neuen Generaldirektor verlangt werden, sind bestimmt übermenschlich: er muß ein guter Journalist, ein Programmgestalter, ein Administrator und ein geschickter Kommunikator sein. Deshalb hat der ehemalige Times-Chef und vormaliger Governor, Sir Wüliam Rees-Mogg, vorgeschlagen, die im Generaldirektor vereinten Funktionen wieder in leitenden Direktor und in Chefredakteur zu teilen. Eine lebhafte Kontroverse ist die Folge.

Vorläufig aber wird der Auserkorene in seiner universellen Position die BBC durch die dritte Generation ihres Bestehens führen. Einer der Favoriten ist Jere-my Isaacs, der Schöpfer des „Vierten Kanals“ im Netz des unabhängigen TV. Isaacs hat BBC

vorgezeigt, was man mit einem beschränkten Budget auf die Beine stellen kann: eine geglückte und allseits begeisternde Mischung aus News, Minderheitsprogrammen, ausländischen Filmen (BBC ist überwiegend Selbstversorger) und Dokumentationen.

Wer immer den Job erhält, er muß eine Menge abgebrochener Brücken wieder aufbauen: zu den Programmachern, den Politikern und besonders zu jenen, die ihn gewählt haben, die ihrerseits auf den Rat der Regierung von der Königin bestellt worden sind, den Vorstandsmitgliedern. Sie haben, in der Gesamtheit mit Tory-Schlagseite, in Führung und Management mehr und mehr die Hand im Spiel. Die Struktur des Unternehmens braucht sorgfältige Erneuerung. Nicht umsonst wird die Institution als ein viel-armiges Monster karikiert, dessen Extremitäten unabhängig voneinander funktionieren.

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