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Der Kreml wie gelähmt

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Breschnew ist in den letzten Tagen und Wochen wiederholt an die Öffentlichkeit getreten, so als wollte er augenfällig beweisen, bei bester Gesundheit und im vollen Besitz seiner Macht zu sein. Es bleibe dahingestellt, ob sich die erhoffte Wirkung einstellt.

Nicht zu übersehen ist freilich, daß sich die sowjetische Führung in der Weltpolitik Zurückhaltung auferlegt. Moskau reagiert nur auf die aktuellen Ereignisse, ohne wie gewohnt selbst die Initiative zu ergreifen.

Im Mittleren Osten begnügen sich die sowjetischen Sprachrohre mit der propagandistischen Verdammung der Israelis,

ohne daß von den Politikern der Versuch gemacht wird, verlorenen Einfluß neu zu gewinnen. Die Gespräche über Abrüstung und Beschränkung der strategischen Waffen laufen auf Sparflamme. Selbst an der ursprünglich begrüßten europäischen Sicherheitskonferenz scheinen die Sowjets völlig die Lust verloren zu haben.

Der Kreml scheint am Abend der Ära Breschnew wie gelähmt. Breschnews einziger Vorstoß richtet sich nach Peking, also gegen einen entfremdeten Bundesgenossen, dessen weltpolitische und ideologische Frontstellung gegen den Kreml in absehbarer Zeit wohl weiterbestehen wird.

An der ungewöhnlichen Zurückhaltung wird sich kaum etwas ändern, ehe in der sowjetischen Kommandozentrale nicht klare Verhältnisse geschaffen sind. Doch wer wird die Nachfolge antreten? Leichter ist es, jene Männer in Politbüro und Sekretariat zu markieren, die kaum mehr Chancen haben, Parteiführer zu werden.

Dazu zählt jetzt auch Andrej Kirilenko, einer der stärksten Favoriten. Eine schwere Krankheit, man spricht von fortgeschrittener Arteriosklerose zwingt den 76-jährigen zum Rücktritt.

Als Breschnew im Dezember 1976 seinen 70. Geburtstag feierte, hatte Kirilenko das hohe Alter der Kremlführung gerechtfertigt: In der Sowjetunion, so sagte er, der selbst ein halbes Jahr älter als Breschnew ist, begännen die besten Politikerjahre erst mit 70. Doch die Naturgesetze sind auch von den allmächtigen Politbürokraten nicht umzustoßen.

Kirilenko galt lange Zeit als Anwärter auf eine Art von Nachlaßverwalter des Bre-schnewschen Erbes. Seit einem halben Jahr ist der Parteisekretär jedoch von der Bildfläche verschwunden. Die Rolle des Trägers eines kurzen Uberganges ist auf Tschernenko übergegangen, ebenfalls ein enger Gefährte Breschnews. Von der Machtansammlung her gesehen besitzt jedoch der einstige KGB-Chef und jetzige Ideologiepapst Juri Andropow die besten Chancen auf die Nachfolge.

Mit Kirilenko geht wieder einer, der schon unter Chruschtschow vor dessen Sturz im Jahre 1964 der Spitze angehört hat. Als letzter bleibt nur noch Breschnew.

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