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Der lange Leidensweg des Libanon

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Wer kämpft heute im Libanon gegen wen und weshalb? Wie ist es zum Ausbruch des Bürgerkrieges gekommen? Welche Interessen haben die sich einmischenden ausländischen Mächte? Fragen, auf die unser Tel Aviver Mitarbeiter Antworten zu geben versucht:

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Wer kämpft heute im Libanon gegen wen und weshalb? Wie ist es zum Ausbruch des Bürgerkrieges gekommen? Welche Interessen haben die sich einmischenden ausländischen Mächte? Fragen, auf die unser Tel Aviver Mitarbeiter Antworten zu geben versucht:

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Die Christen des Libanon und insbesondere die größte christliche Gemeinde, die Maroniten, wurden automatisch zu Verbündeten der französischen Kolonialmacht, die nach dem Ersten Weltkrieg (1919) das Mandat über Syrien und den Libanon erhalten hatte. Die Franzosen ermöglichten es den Christen auch, im neu gegründeten Staat Libanon die Mehrheit zu bilden.

Bei der ersten Bevölkerungszählung 1932 machten die Christen 52 Prozent der libanesischen Bevölkerung aus: 29 Prozent davon waren Maroniten, sechs Prozent griechisch-katholisch, zehn Prozent griechisch-orthodox, vier Prozent Armenier und drei Prozent andere christliche Sekten.

Doch heute, 52 Jahre später, ist die Zahl der Muslime auf 58 Prozent angestiegen, die Anzahl der Christen aber auf 42 Prozent gesunken. Trotzdem ist das alte, mit Hilfe der Franzosen festgelegte Kräfteverhältnis im offiziellen Libanon bis heute bestimmend.

Die Christen des Libanon bildeten immer eine Minderheit im muslimischen Meer des Nahen Ostens. Sie wurden jahrhundertelang verfolgt, glaubten deswegen auch ein besonderes Anrecht auf ihre heutige Vorrangstellung im Libanon zu haben.

Die Rechnung ging jedoch nicht auf. Denn inzwischen pochen die Schiiten mit heute 30 Prozent der Bevölkerung, die Sunniten (21 Prozent) und die Drusen (sieben Prozent) auf ihre Rechte. Als die Maroniten ihnen diese verweigerten, war dies der Anlaß zum bis heute andauernden Bürgerkrieg, der erstmals 1958, zum zweiten Mal 1976 in voller Schärfe ausbrach.

Die Christen des Libanons sahen in den Israelis einen potentiellen Verbündeten; insbesondere auch darum, weil sich zu Beginn des Bürgerkrieges PLO-Einhei-ten den Aufständischen angeschlossen hatten und später in einem Teil des Südlibanon einen Staat im Staat gebildet hatten.

Ursprünglich waren die Kontakte ziemlich lose. Doch schon kurz nach dem Regierungsantritt von Menachem Begin wurden die Kontakte mit den Christen und insbesondere mit der Familie Dschumayel, der Begründerin der maronitischen Phalange-Miliz, besonders intensiv. Die israelische Regierung war von diesen Kontakten so beeindruckt, daß sie die anderen Minderheiten, obwohl sie bereits die Mehrheit im Libanon bildeten, ignorierte.

Dies ging soweit, daß der damalige Verteidigungsminister Ariel Scharon, seinen Ministerpräsidenten Begin überzeugen konnte, Israel könne eine neue stabile Regierung im Libanon aufstellen,die Syrer zum Abzug zwingen und den Libanon zum zweiten arabischen Staat machen, der Frieden mit Jerusalem schließe.

Im Sommer 1982 waren die Israelis in den Libanon einmarschiert, wobei sie die PLO-Basen im Land zum größten Teil zerstörten. Die PLO wurde aus Beirut vertrieben und nur im syrisch-besetzten Nordlibanon konnten sich noch einige PLO-Einheiten halten. Nun war die Zeit für einen Friedensvertrag gekommen, meinten die Israelis. Es begann eine wochenlange Verhandlungsphase.

Die USA machten denselben Fehler wie die Israelis; Sie ignorierten die muslimischen Minderheiten. Auch Washington setzte sich massiv für einen Friedensvertrag zwischen Israel und dem Libanon ein und vertrat die Ansicht, daß Syrien durch die Auseinandersetzung mit Israel und aufgrund interner Probleme derart mit sich selbst beschäftigt sei, daß man Syriens Staatspräsidenten Assad überreden könne, diesen Vertrag zu akzeptieren.

Am 17. Mai 1983 war es soweit, die Israelis unterzeichneten den Vertrag mit dem Libanon. Die verschiedenen Paragraphen sprachen nicht nur von einer Normalisierung der Beziehungen, sondern auch von Sonderrechten der Israelis, um die Sicherheit ihrer Nordgrenze zu garantieren.

Der Abzug der Israelis aus dem Libanon sollte parallel mit dem Abzug der syrischen Armee erfolgen. Das libanesische Parlament hatte zwar—ähnlich wie das israelische — den Vertrag angenommen, Präsident Amin Dschumayel konnte sich jedoch noch immer nicht dazu entschließen, ihn zu unterzeichnen.

Nun versuchten die Amerikaner, den Vertrag zu „verkaufen". Syrien aber winkte ab, denn nach seiner Ansicht war Präsident Amin Dschumayel durch diesen Vertrag mehr oder weniger zu einer amerikanisch-israelischen Marionette geworden. Damaskus seinerseits forderte den bedingungslosen Rückzug der Israelis, danach könne man über alle Probleme verhandeln.

Syrien hatte auch nicht vergessen, daß die Christen im Libanon den Muslimen Rechte vorenthielten. Für Damaskus war es so ein leichtes, mit den Drusen, Schiiten und Sunniten gemeinsame Sache gegen Amin Dschumayel zu machen.

Die USA, Großbritannien, Frankreich und Italien stationierten zu dieser Zeit die multinationale Streitkraft in Beirut — auch, um dadurch Dschumayels Regime zu stärken. Ein vergebliches Unterfangen: Denn diese Truppen wollten sich möglichst aus den Kämpfen heraushalten.

Im September 1983 bewerkstelligten die Israelis den ersten Rückzug, verließen nicht nur Beirut und die Beirut-Damaskus Chaussee, sondern auch die Schuf berge, in denen rund 200.000 Drusen leben.

Ursprünglich sollte hier die libanesische Armee einziehen und dieses Gebiet verwalten. Aber Dschumayels Truppen waren zu schwach, das Gebiet mußte der drusischen Miliz überlassen werden. Die etwa 10-15.000 Mann starke drusische Truppe erhielt Waffen und Ausbildung von der syrischen Armee. Nun versuchten sich die Drusen so schnell wie möglich auszubreiten, um die Schuf berge „christenrein" zu machen.

Mit syrischer Unterstützung forderten die Drusen nun die Annullierung des Friedensvertrages mit Israel. Drusenführer Walid Dschumblatt forderte außerdem den Rücktritt von Amin Dschumayel, da dieser für den Tod von Hunderten von Drusen verantwortlich sei.

In Westbeirut begehrten inzwischen die Schiiten auf. Fast aller politischen Rechte im Libanon beraubt, pochten sie auf ein Mitspracherecht. Amin Dschumayel, der nicht nur der Vertreter der Regierung, sondern auch seines maronitischen Familien-Clans ist, war indessen nicht bereit, auf irgendwelche Vorrechte zu verzichten, zumal diese mit großen wirtschaftlichen Interessen verbunden sind.

So begann auch der Aufstand der Schiiten. Sie sahen in Dschumayels Feinden — den Drusen, Syrern und Sunniten — ihre Verbündeten und vertrieben die libanesischen Soldaten aus dem Westteil Beiruts.

Die Amerikaner sahen sich nun gezwungen, ihre rund 2000 in Beirut stationierten Soldaten abzuziehen. Eine aktive Rolle im Bürgerkrieg wollten sie ohnedies nicht einnehmen, eine „Friedenstruppe" waren sie aber auch nicht. Und die Tatsache, daß um die 300 US-Soldaten bei Terroranschlägen ihr Leben lassen mußten, kam Präsident Reagan in einem Wahljahr alles andere als gelegen. Nach dem Abzug der Amerikaner aber war der Rückzug der Italiener, Engländer und jetzt auch der Franzosen nur mehr eine Frage der Zeit.

Inzwischen versucht sich Staatspräsident Dschumayel nach langem Zögern mit Syrien auszusöhnen. Ihm war klar geworden, daß von Damaskus allein das Weiterbestehen seiner Regierung abhängig ist. Heute beherrscht Dschumayel noch etwa fünf Prozent von ganz Libanon, 60 Prozent des Landes sind von Syrien besetzt, rund 20 Prozent von Israel. Alles andere ist in den Händen der verschiedenen Milizen des Landes.

Sobald Dschumayel Syriens Vasall geworden ist, dürfte Damaskus bereit sein, seine Truppen abzuziehen. Doch wann, will Syrien sich nicht vorschreiben lassen. Die Länder, die 1976 den Einmarsch der syrischen Armee in den Libanon beschlossen hatten, um die Christen vor der PLO zu retten, sollen nun auch beschließen, ob und wann Syrien seine Truppen abzieht.

Inzwischen ist auch Israels Position im Süden schwieriger geworden, die Besetzung immer teurer: Die Israelis hatten es seinerzeit versäumt, sich mit den Schiiten, den damaligen Erzfeinden der PLO, zu arrangieren. Die israelfeindliche Haltung der Bevölkerung des Südlibanons wurde immer spürbarer, Anschläge auf israelische Soldaten gehören mittlerweile schon zur Tagesordnung im Südlibanon.

Jerusalem hat schon längst seine ursprünglichen Kriegsziele aufgegeben. Es ist davon abgekommen, eine stabile Zentralregierung einzusetzen, es kann nicht mehr mit der libanesischen Armee zusammenarbeiten, weil diese im Süden überhaupt nicht mehr existiert. Die sogenannten Sicherheitsvorkehrungen, von denen die Regierung immer gesprochen hatte, sind nicht durchführbar.

Der innenpolitische Druck gegen die weitere Libanon-Besetzung wird in Israel zusehends größer, die wirtschaftliche Bürde schwerer und die Motivation der israelischen Armee immer kleiner, sodaß Ministerpräsident Jiz-chak Schamir bereits erklärte, Israels einziges Ziel sei die Sicherung seiner Nordgrenze. Was sich jedoch in Beirut selbst abspielt, sei nicht Angelegenheit Jerusalems.

Inzwischen wollen die Israelis ihre Truppen um weitere 20 bis 30 Kilometer zurückziehen. Damit bliebe nur noch eine Sicherheitszone von 30 bis 40 Kilometer oberhalb der israelischen Nordgrenze erhalten. Die sich daraus ergebenden Vorteile: man könnte auf einen großen Teil der heute stationierten israelischen Truppen verzichten, die Besatzungskosten wären billiger, die Sicherheit Israels aber dennoch gewährleistet, auch wenn ein Großteil der schiitischen Bevölkerung auch weiter unter israelischer Besatzung leben müßte.

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