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Der lange Weg zum Bundesstaat

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Mit der Verfassungsnovelle vom 27. November 1984 darf die Föderalismusdis-kussion nicht enden. Allzu viele Forderungen der Länder warten noch immer auf ihre Erfüllung.

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Mit der Verfassungsnovelle vom 27. November 1984 darf die Föderalismusdis-kussion nicht enden. Allzu viele Forderungen der Länder warten noch immer auf ihre Erfüllung.

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War der österreichische Bundesstaat schon 1920 als „historischer Kompromiß” von Zentrali-sten und Föderalisten außerordentlich schwach ausgebildet, so wurde dieser Kompromiß durch massive Kompetenzänderungen zu Lasten der Länder laufend weiter in Richtung Zentralismus verschoben.

Erst nach dem Staatsvertrag 1955 begann man umzudenken: das erste „Forderungsprogramm” wurde 1963/64 formuliert. Sein Grundprinzip war politische Einigung aller Länder über die Parteigrenzen hinweg durch die „Landeshauptmännerkonferenz”.

Nach 10 Jahren stellte sich der erste große Erfolg ein: In der Bundesverfassungsgesetz-Novelle 1974 wurden erstmals wichtige Länderforderungen verwirklicht - eine föderalistische Tendenzwende schien eingeleitet. Viel blieb allerdings unberücksichtigt, und neue Wünsche wurden formuliert. Sie wurden der Bundesregierung gemeinsam mit den wichtigsten unerfüllten Forderungen als „Forderungsprogramm 1976” übermittelt.

Erst Mitte 1980, unter dem Eindruck der von der Bürgerinitiative „Pro Vorarlberg” ausgelösten Volksabstimmung, bei der fast 70 Prozent der Vorarlberger Bevölkerung für eine Stärkung der Stellung des Landes (der Länder) und der Gemeinden im Rahmen des österreichischen Bundesstaates stimmten, zeigten sich von seiten des Bundes Anzeichen, wenigstens eine Teilverwirklichung des

Forderungsprogramms ins Auge zu fassen.

Der Bund brachte jedoch „Gegenforderungen” in die Verhandlungen ein, denen verfassungspolitische Forderungen der Gemeinden folgten. An den vom Bund als „unabdingbar” bezeichneten Kompetenzwünschen in den Bereichen Landarbeiterrecht, Erwachsenenbildung und Immissionsschutz, die für die Länder nicht annehmbar waren, scheiterte zunächst die weitere Behandlung des Forderungsprogramms.

Unabhängig davon wurde 1983 im Abtausch von drei unbedeutenden Länderforderungen dem Bund eine — allerdings an eine vorangehende Vereinbarung gebundene — Kompetenz für Umweltalarmmaßnahmen eingeräumt. Die Zuständigkeiten im regulären Umweltschutz blieben unberührt.

Initiativen, die festgefahrenen Föderalismusverhandlungen wieder in Schwung zu bringen, setzten in der Folge sowohl der Bundesrat als auch der Vorarlberger Landtag. Rückhalt gewannen die bundesstaatlichen Reformbestrebungen in Österreich außerdem durch eine vom Tiroler Landtag am 6. Juni 1983 einstimmig gefaßte Föderalismus-Entschließung.

Die 1983 neugewählte Bundesregierung machte durch „vorläufige Zurückstellung der Gegenforderungen des Bundes” den Weg frei für Verhandlungen, die schließlich zur jüngst beschlossenen Bundesverfassungsgesetz-Novelle 1984 führten. Neben weniger bedeutenden Neuregelungen ist der Kernpunkt dieser Verfassungsänderung das dem Bundesrat neu eingeräumte Zustimmungsrecht bei Kompetenzänderungen zu Lasten der Länder.

Zwar hatte der entsprechende Punkt des Forderungsprogramms noch die Notwendigkeit einer Zustimmung von zwei Drittel aller Landtage vorgesehen, doch war diese Forderung beim Bund völlig undurchsetzbar. Immerhin bedeutet auch die nunmehr vorgesehene Regelung ei7 nen wichtigen Schritt in Richtung einer wirksamen „Aufwertung” des Bundesrates.

Diese wird jedoch nur dann praktische Bedeutung gewinnen, wenn der Bundesrat ein föderalistisches und nicht parteipolitisches „Eigenleben” gegenüber dem Nationalrat gewinnen kann.

Angesichts der Abhängigkeit der Länder im finanziellen Bereich vom „einfachen” Bundesgesetzgeber wäre aber auch eine rasche Verwirklichung des Punktes des Forderungsprogramms 1976, der ein Zustimmungsrecht des Bundesrates bei Gesetzen, die eine Änderung oder Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge vorsehen, dringend geboten.

Vom Vorarlberger Zehn-Punkte-Forderungskatalog oder der „Föderalismus-Entschließung des Tiroler Landtages” wurde bis jetzt nichts erfüllt. Ein neues „Forderungsprogramm” wurde von den Ländern bereits angekündigt.

Will man damit eine grundsätzliche Föderalismusreform einleiten, muß zunächst die Kompetenzverteilung entflochten werden. Nach dem Subsidiaritäts-prinzip sollen den Ländern und Gemeinden alle jene Aufgaben zukommen, die sie zumindest ebensogut erfüllen können wie der Bund.

Die Behinderungen der Landesverfassung und Landesverwaltung durch obrigkeitsstaatliche Bevormundung des Bundes wären abzubauen. Die „Privatwirtschaftsverwaltung” und das Förderungswesen wären zu entflechten.

Keine Bevormundung

Mitwirkungs- und Mitgestaltungsrechte der Länder im Bundesbereich, insbesondere bei der Besetzung „gemeinsamer Organe” des Bundes und der Länder (Verwaltungsgerichtshof, Verfassungsgerichtshof, Rechnungshof, Volksanwaltschaft) und beim Abschluß von Staatsverträgen sollten neu geschaffen werden.

Eine „Entflechtung” des Finanzausgleiches müßte die Abgabenhoheit und finanzielle Eigenverantwortlichkeit der Länder stärken.

Die Föderalismusreform darf jedenfalls nicht stillstehen, wenn Bundesstaat und Gemeindeautonomie „leben” sollen. Da die demokratischen Mitwirkungsrechte umso wirksamer werden, je näher man an die Bürger herankommt, und zentralistische Lösungen immer aufwendiger und unwirksamer werden, entscheidet diese Reform gleichzeitig über die Akzeptanz und Finanzierbarkeit der öffentlichen Ordnung in diesem Lande schlechthin.

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