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Der leidige Fall Curran

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Kann ein katholischer Theologe lehren, was ihm beliebt? Anderseits: Ist die gesamte authentische Lehre der Kirche einem Dogma gleichzusetzen? Gibt es einen Mittelweg?

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Kann ein katholischer Theologe lehren, was ihm beliebt? Anderseits: Ist die gesamte authentische Lehre der Kirche einem Dogma gleichzusetzen? Gibt es einen Mittelweg?

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Der Fall des renommierten Moraltheologen Charles Curran von der Katholischen Universität von Amerika in Washington, dem kürzlich vom Vatikan die Lehrerlaubnis entzogen wurde, hat in den USA große Aufregung hervorgerufen. Es ist das erste Mal, daß gegen einen katholischen Theologen in den USA auf diese Weise vorgegangen wurde.

Zunächst ist da ein rechtliches Problem zu sehen, das die akademische Freiheit betrifft. Rom plant neue Richtlinien für die katholischen Universitäten. Die kirchlichen Autoritäten, besonders die Ortsbischöfe, sollen größere Einflußmöglichkeiten erhalten, insbesondere was die Anstellung und Entlassung der Mitglieder des Lehrkörpers angeht.

Solche Einflußnahmen stünden aber in Gegensatz zu dem in den USA herrschenden Verständnis von akademischer Freiheit. Würden diese Satzungen für die USA Geltung erlangen, so bestünde die Gefahr, daß verschiedene katholische Colleges und Universitäten ihre bisherigen öffentlichen Subventionen verlieren würden, weil diese an die Autonomie der betreffenden Institutionen gebunden sind. Deshalb setzen sich auch viele Bischöfe dafür ein, daß derartige Regelungen für die USA nicht zur Anwendung kommen. Umso unangenehmer ist in diesem Zusammenhang der Fall Curran.

Das Lehrbeanstandungsver-fahren gegen Curran läuft schon seit 1979. Kritisiert werden von der Römischen Glaubenskongregation die Auffassungen Currans über künstliche Empfängnisverhütung, Sterilisation, Abtreibung, Euthanasie, Masturbation, vorehelichen Geschlechtsverkehr, Homosexualität und die Unauflöslichkeit der Ehe.

Schon 1968 war Curran als Sprecher einer Gruppe von Theologen der Katholischen Universität von Washington nach dem Erscheinen von „Humanae vitae“ für die Erlaubtheit künstlicher Methoden der Empfängnisverhütung und der Sterilisation eingetreten.

Den Beginn menschlichen Lebens nimmt Curran nicht mit dem Augenblick der Befruchtung an, sondern mit dem Beginn der Indi-viduation zwischen dem 14. und 21. Tag nach der Empfängnis. Wenn im Verlauf der weiteren Schwangerschaft das Leben der Mutter oder ein dem Leben gegenüber gleichwertiges Gut auf dem Spiel steht, hält er eine medizinische Indikation für zulässig.

In der Frage der Euthanasie sieht der Theologe dann, wenn der Sterbeprozeß bereits begonnen hat, keinen erheblichen Unterschied mehr zwischen der Unterlassung einer lebenserhaltenden Handlung und einer positiven Aktion, die den Tod herbeiführt.

Die Masturbation betrachtet Curran als sittlich wenig bedeutungsvoll, sondern eher als ein Symptom für andere Sachverhalte.

Vom Verbot vorehelicher sexueller Beziehungen hält Curran „in sehr seltenen und vergleichsweise wenigen Situationen“ Ausnahmen für zulässig.

Homosexualität erreiche zwar nicht die volle Bedeutung menschlicher Sexualität, doch könne sie in einem gewissen Sinn moralisch zulässig sein, wenn sie konstitutionell und unüberwindbar ist und wenn entsprechende Handlungen im Rahmen einer Liebesbeziehung stehen, die nach Dauerhaftigkeit strebt.

Die Unauflöslichkeit der Ehe versteht Curran als Zielgebot, nicht als absolut bindende moralische Norm. Die Scheidung sollte in begrenztem Umfang erlaubt werden.

Wenn man diese Auffassungen mit den Positionen vergleicht, wie sie von deutschsprachigen Moraltheologen vertreten werden, so muß man wohl sagen, daß hier in allen genannten Fragen Diskussionen und gelegentlich Tendenzen in ähnliche Richtung bestehen. Beim Lesen gewinnt man aber den Eindruck, daß Curran doch öfter etwas zu undifferenziert spricht und dadurch Mißverständnisse provoziert. Besonders deutlich ist das in der Frage der Euthanasie und der Unauflöslichkeit der Ehe. Diese Art der Darstellung einzelner Themen bringt dann andere zusätzlich in Mißkredit.

Abgesehen von den Einzelfragen wirft der Fall Curran aber noch einige grundsätzliche Uber-legungen auf. Der Theologe hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß seine Abweichungen von der offiziellen Lehre zu verantworten

seien, weil es sich in den strittigen Fragen nicht um feierlich als unfehlbar definierte Lehren handle. Kardinal Ratzinger, der Präfekt der Glaubenskongregation, hat demgegenüber betont, daß die gläubigen Katholiken angehalten seien, nicht nur die formulierten unfehlbaren Lehrsätze der Kirche, sondern auch die Lehre des Papstes und des Bischofskollegi-üms in Glaubens- und Sittenfragen voll zu berücksichtigen. Hier geht es also um eine grundsätzliche Frage der Verbindlichkeit nicht dogmatisierter kirchlicher Lehräußerungen.

In der wissenschaftlichen Diskussion wird dazu gesagt, daß nach katholischem Verständnis zwar auch die authentische kirchliche Lehre außerhalb“ von Dogmen anzunehmen sei, daß aber doch ein Unterschied zwischen Dogmen und solchen nicht definierten Lehrsätzen bestehe, der auch Konsequenzen für die Art der persönlichen Bejahung und Stellungnahme haben muß. Außerdem spiele in Fragen der Moral, viel mehr als etwa in der Dog-matik, ständig auch der Zusammenhang mit empirischen Sachverhalten eine Rolle.

So haben naturwissenschaftliche Auffassungen, gerade in der Geschichte der Sexualmoral, eine große und zum Teil unheilvolle Rolle gespielt (zum Beispiel die Meinung, daß bei der Masturbation in jeder Samenzelle bereits ein kleiner Mensch getötet werde, und es sich deshalb um eine Frühform der Abtreibung handle). Ein Blick in die Geschichte der Irrtümer in Fragen der Moral, von denen sich auch das päpstliche Lehramt nicht ganz freihalten konnte (zum Beispiel Zinsverbot, Ablehnung der Religionsfreiheit, Einstellung zu Ketzer- und Hexenverbrennungen und so weiter), zeigt, daß das Bemühen der Kirche um Wahrheit zum Wohl der Gläubigen auch eine kritische Uberprüfung der authentischen Lehre der Kirche nicht ausschließen kann.

Wie weit dabei eine kritische Theologie gehen darf und wo ihre Grenzen liegen müssen, kann kaum damit entschieden werden, daß einf aeh die gesamte authentische Lehre der Kirche einem Dogma gleichgesetzt oder umgekehrt der bloßen Beliebigkeit des einzelnen Theologen überlassen wird. Wichtig wird hier vor allem das Gespräch sein, mit der Bereitschaft auf beiden Seiten, um eine tiefere Einsicht zu ringen.

Es wäre äußerst bedauerlich, wenn durch den Fall Curran der Eindruck entstünde, als ob es in der katholischen Theologie kein Recht auf eigenes verantwortliches Denken gäbe. Das könnte dann wirklich dazu beitragen, wie amerikanische Kommentare befürchten, daß junge Studenten sich dem Studium an nichtkatholischen Institutionen zuwenden würden. Es ist umxier Glaubwürdigkeit der katholischen Theologie willen äußerst bedauerlich, wenn theologische Diskussionen durch disziplinare Maßnahmen entschieden werden. Es müssen aber alle Beteiligten bemüht sein, es nicht so weit kommen zu lassen.

Man muß Curran aufgrund seiner Schriften ein leidenschaftliches pastorales Engagement bescheinigen. Er glaubt, daß in den von ihm kritisierten traditionellen Positionen das Wohl der Gläubigen und der Geist des Evangeliums nicht genügend gewahrt werden. Auch die spirituelle Ausrichtung der Theologie von Curran ist in seinen Schriften nicht zu übersehen, er kann hier nicht verleugnen, was er bei seinem Doktorvater Bernhard Häring in Rom gelernt hat. Aber gerade die starke Ausstrahlungskraft seiner Bücher, die in vielen Auflagen erschienen sind, verstärkte die Kritik seiner Gegner. Man kann nur hoffen, daß dieser Fall sich nicht noch ausweitet.

Der Autor ist Professor für Moraltheologie an der Universität Innsbruck.

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