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Der letzte Wille

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So bedauerlich die testamentarische Verfügung des verstorbenen Thomas Bernhard, Neudrucke und Neuinszenierungen seiner Werke in Österreich nicht zu gestatten, auch ist, sie sollte als der letzte und frei erklärte Wille einer großen Persönlichkeit, die das Recht zur Verfügung über ihr geistiges Eigentum hatte, respektiert und vollstreckt werden.

Es gibt freilich Beispiele dafür, daß man sich über einen solchen letzten Willen hinweggesetzt hat: das bekannteste ist wohl die Entscheidung Max Brods, der den letzten Willen seines Freundes Franz Kafka nicht erfüllt und damit die unschätzbaren Werte des Kaf- kaschen Oeuvres der Nachwelt erhalten hat.

Man kann über eine solche Entscheidung und die vorhergehende Interessensab- w ägung verschiedener Meinung sein. Eindeutig sollte das Urteil freilich dann sein, wenn nicht Sorge um die Erhaltung des Werkes, sondern Geschäftsinteressen das Handeln diktieren, wie es beim deutschen Verleger Bernhards, Unseld, bei dem ein Großteil seines Schaffens herausgekommen ist, der Fall ist.

Die Pietätlosigkeit und Eigenmächtigkeit . wird dadurch nicht geringer, sondern noch bedenklicher, daß sich dieser den zufälligen Umstand zunutze macht, daß durch die Groß- und Kleinschreibung des Begriffes „veröffentlichten“ die Möglichkeit besteht, die Verfügung allein auf den Nachlaß zu beziehen. Das macht allerdings die Konstruktion eines Nachlasses zu Lebzeiten erforderlich, um sich an der für jeden unvoreingenommenen Leser ziemlich klaren Willenskundgebung vorbeizuschwindeln. Geschäftstüchtigkeit in Ehren, aber sie sollte irgendwo ihre Grenzen haben und sich nicht die Mühe geben, mit Hilfe spitzfindiger Argumente das zu tun, was Bernhard offenkundig untersagen wollte.

Obwohl der große Menschenkenner und. -Verächter auch für eine solche Vorgangsweise ironisches Verständnis gehabt und sie mit seinem unnachahmlichen, verächtlichen Lächeln quittiert hätte, sollte man in diesem Fall doch nicht den Ehrgeiz haben, eine solche Reaktion sub specie aetemitatis zu provozieren. Die auch durch eine richtige Auslegung des Testamentes unangefochten bleibenden Möglichkeiten, das Werk des Verewigten kennenzulemen und auf sich wirken zu lassen, sind groß genug, um nicht die Zuflucht zu Praktiken zu rechtfertigen, die das peinliche Gefühl hinterlassen, daß man über den erklärten Willen eines Menschen, der sich nicht mehr wehren kann, zur Tagesordnung übergeht und das von ihm Erklärte und Gemeinte als gegenstandslos behandelt.

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