6796760-1971_14_09.jpg
Digital In Arbeit

Der „Löwe von Münster”

Werbung
Werbung
Werbung

Vor rund 25 Jahren, am 22. März 1946, starb Clemens August Kardinal von Galen, der „Löwe von Münster”. Sechs Tage zuvor hatten ihm seine Münsteraner einen triumphalen Empfang bereitet, als er von Rom zurüdckehrte. Dort hatte ihm Papst Pius XII. am 18. Februar den Kardinalspurpur verliehen. Grund für die ungewöhnliche Erhebung eines Bischofs von Münster in den Kardinalsstand: der ungebrochene Bekennermut, mit dem Clemens August dem Nationalsozialismus entgegengetreten war.

Clemens August, der unerschrockene Kämpfer für die Rechte des Menschen gegenüber den Totalitätsansprüchen des nationalsozialistischen Staats, zählt heute, weitgehend unumstritten, zu den Symbolgestalten der jüngeren deutschen Kirchengeschichte. Während man in den vergangenen Jahren Pius XII. und den meisten deutschen Bischöfen Kompromißbereitschaft und mangelnden Mut in der Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Regime vorwarf, gewann das Bild dieses Ritters ohne Furcht und Tadel immer intensiveren Glanz. Und diese Gloriole strahlt nicht zu Unrecht.

25 Jahre sind seit dem Tod des Bischofs Clemens August Graf von Galen vergangen, nicht einmal der Zeitraum, den man für eine Generation aufrechnet. Und doch scheint es, wenn man heute das Bild jenes Mannes nachzeichnen will, als rage seine Gestalt wie aus einer längst vergessenen Vergangenheit in unsere Zeit hinein: Der „Löwe von Münster” scheint nicht mehr in das Bild der gegenwärtigen Kirche zu passen.

Eine* Wtmschliste- in- teezttg - auf Qualifikation und Charakter eines künftigen Bischofs nach holländischem Muster hätte Clemens August kaum Chancen für eine Kandidatur geboten. Seine Ernennung war selbst im Jahr 1933 eine Überraschung. Sein Name war nicht unter den drei Kandidaten auf der Vorschlagsliste des Domkapitels aufgeführt.

Ohne Charisma?

Aus Galens Berliner Zeit gibt es eine Anekdote: Im Religionsunterricht habe er die Kinder gefragt, wer Bischof werden könne. Er habe keine Antwort erhalten und weiter gefragt: „Kann ich denn Bischof werden?” Darauf soll ein Mädchen geantwortet haben: „Du nicht! Du kannst ja nicht predigen!” Daß der Bischof, dessen spätere Predigten und Hirtenbriefe unter Gefahr für Leib und Leben im kirchlichen und politischen Untergrund vervielfältigt wurden und in ganz Deutschland zirkulierten, ein schlechter Prediger war, bezeugen die Theologen, die als Studenten in Münsters Marktkirche St. Lamberti dem Pfarrer Graf von Galen notgedrungen zuhören mußten. — Heute würde man sagen,

einem solchen Mann fehle ein Charisma für das Bischofsamt.

Auch das, was man heute als politisches Engagement dieses Bischofs lobt, scheint nicht in die Schablone zu passen, in die man heute die Kirche zu pressen versucht. Clemens August, einem alten westfälischen Adelsgeschlecht entstammend, 1878 auf Burg Dinklage in Oldenburg geboren und ein Großneffe des Mainzer Sozialbischofs von Ketteier, war ein Konservativer. Zwar waren Vater und Bruder- Reichstagsabgeordnete der Zentrumspartei, er selbst jedoch zählte zu den Kritikern jener Verfassung von Weimar und jener Partei, wandte sich vehement gegen einen weltanschaulichen Pluralismus: Der Titel seines 1932 erschienenen Buchs „Die Pest des Laizismus” mag diese Einstellung anschaulich machen. — Clemens

August stand, betrachtet aus der Perspektive vieler, die ihn heute unter dem Vorzeichen eines „kritischen” kirchlichen Engagements als Symbolfigur des Widerstands verehren, im falschen Lager. Er war ein undemokratischer, wenngleich in höchstem Maße verantwortungsvoller Patriarch.

Einer Fehleinschätzung unterlagen 1933 auch die Nationalsozialisten, als sie recht bereitwillig ihre Zustimmung dazu gaben, daß der konservative Kritiker des „Systems” und national gesinnte Graf von Galen Bischof von Münster wurde. Sie hofften, mit diesem Mann ein neues Bündnis zwischen Kirche und Staat schließen zu können. Abordnungen der SA erschienen am 28. Oktober 1933 demonstrativ bei der Bischofsweihe im Dom zu Münster. Clemens August, der sich erst zu einer Kandidatur bewegen ließ, nachdem der vom Kapitel bereits gewählte Berliner Domkapitular Heinrich Heufers abgelehnt hatte, galt unter den damals gegebenen politischen Verhältnissen vermutlich auch aus der Sicht der Kirche als ein Kompromißkandidat.

Clemens August von Galen paßte damals wie heute nicht in die Schablonen, in die man Amt und Person eines Bischofs zwängen möchte. Sein Wahlspruch „Nec laudibus, nec timore” charakterisiert die souveräne Persönlichkeit eines Bischofs, der sich weder durch Lob (sinnvoller übersetzt man heute: „durch Beifall”) noch durch Furcht in seiner Hirtenpflicht beeinflussen lassen wollte. Die programmatische Abgrenzung gegenüber Beifall und Furcht — beide Begriffe kennzeichnen letztlich denselben Charakterzug dieses ungewöhnlichen Mannes — heben den „Löwen von Münster” heraus aus einer Verbindlichkeit, die nur für seine Zeit Gültigkeit besaß. Damals galt es, der Furcht vor Verfolgung und Tod um des Auftrags

Christi und um der Würde des Menschen willen ziu widerstehen. Doch kaum weniger groß und in den Folgen für die Kirche wesentlich gefährlicher war die Verlockung des Kompromisses, des Arrangements mit dem Regime, der seinerzeit sicherlich bei vielen Lob und Beifall gefunden, der Kirche vielleicht scheinbar sogar Vorteile eingebracht hätte.

„Nec laudibus, nec timore” — hinter diesem Wahlspruch mußte ein mutiger Mann stehen, der von der Richtigkeit dessen, was er vertrat, überzeugt war. So wurde dieser Bischof, der angeblich ein sehr schlechter Prediger war, zum großen Anwalt der Menschenwürde, der seine Plädoyers furchtlos von der Kanzel schmetterte als ein Bekenntnis, das vielen Verzagten wieder Mut gab. Heute beginnt man am besonderen Einfluß des Heiligen Geistes auf das Lehr- und Hirtenamt seiner Kirche zu zweifeln. Das Leben des Bischofs von Galen — geendet vor erst 25 Jahren — sollte jedoch nachdenklich stimmen; es nimmt sich in vielen Zügen aus wie ein Zeichen, das Gott in einem seiner Hirten für unsere Zeit gesetzt hat. Als man Clemens August zum Bischof von Münster wählte, galt er zwar als frommer, im übrigen aber als recht unbedeutender Mann. Er war kein angesehener Theologe”, kein begeisternder Prediger, sondern trotz seines Adelstitels ein schlichter Pastor, von dem man wohl erwartet hatte, er würde seine Kirche behutsam und unauffällig durch die gefährlichen Strudel jener Jahre lotsen. Man täuschte sich in diesen Erwartungen. Das Unerwartete traf ein: Der Kompromißkandidat wurde zum kompromißlosen Ankläger, der die UnmenSch- lichkeit jenes Staates in aller Öffentlichkeit anprängerte. Der scheinbar Unbedeutende wurde zum geistigen Führer der deutschen Kirche. Der schlechte Prediger wurde zum unumstrittenen Wortführer der Katholiken, dessen Predigten man heimlich im ganzen Land verbreitete. — Bisweilen legt die Wandlung dieses Bischofs durch Amt und Aufgabe die Vermutung des Wunderbaren nahe.

Kaum „Kirchenfürst”

Und doch betrifft der Wandel nicht den ganzen Menschen. Als Bischof wird er zum „Löwen von Münster”, der in der bangen Hoffnung auf das Martyrium kämpft und der die Huldigungen seiner Getreuen als Demonstrationen gegen die politische Unterdrückung entgegennimmt. Der Mensch Clemens August aber bleibt ein schlichter, frommer Pastor. Beim Spaziergang auf der Promenade, den geschleiften ehemaligen Festungswällen der Stadt, sucht er das Gespräch mit seinen Gläubigen, mit seinen Theo’logiestudenten. Wie ein Vater ist er nach dem Krieg bereit, heimkehrende Geistliche in seinem

Haus aufzunehmen und mit ihnen den Tisch zu teilen. Als einfacher Pilger wanderte er immer wieder über den Prozessionsweg von Münster zur Schmerzhaften Mutter nach Telgte.

Ein „Kirchenfürst” war dieser Bischof in seinem Innern wohl nie, wenngleich er die volle Würde und Autorität seines Amtes entschieden beanspruchte, wenn es um die Lehre seiner Kirche ging, die er nicht nur auf den kirchlichen Binnenraum angewandt wissen wollte, sondern mutig und in Sorge um den Menschen auch dem nationalsozialistischen Staat wie später der britischen Besatzungsmacht entgegenhielt.

Der Schatten des Bekennerbischofs Clemens August von Galen rührt in diesen Tagen an unsere Gegenwart. In Gottesdiensten, in Zeitungsartikeln, Funk- und Fernsehsendungen wird man seines Todestages ge-

denken, der sich zum 25. Male jährt. Der „Löwe von Münster” wird uns sehr nah erscheinen und doch bereits sehr fern sein. Er würde in der „modernen” Kirche kaum mehr einen Platz finden. Und das stimmt nachdenklich und traurig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung