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Der Maler als Architekt

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Uber nichts läßt sich so trefflieh streiten wie über Geschmack. Speziell in Wien lebt man schon viele Jahre in der Einbildung, in Geschmacksfragen heikel zu sein. Obwohl man es der in den letzten Jahren geschaffenen Architektur nicht ansieht, soll sie nach dem Wortlaut der Fremdenverkehrs-Prospekte vorbildlich und Ausdruck eines ungebrochenen Kunstwollens der Stadtväter und -planer sein.

Und dennoch muß sich in die behördlichen Planungsstuben ein Mißtrauen eingeschlichen haben. In den Bus-Fahrten für Wien-Liebhaber wird an erster Stelle das berühmte Hundertwasser-Haus im dritten Bezirk angeboten, das als außerordentliches Baudenkmal firmiert. Nach Schönbrunn, Stephanskirche und Hofburg betrachten Tausende das skurrile Hundertwasser-Haus — und ihnen wird einprägsam erzählt, daß hier neue Wege der Architektur nicht nur gefunden wurden, sondern auch die Stadtverwaltung hat im Gegensatz zu früher ihre Bedenken fall%n gelassen, um etwas Schönes zu errichten. Freilich ist dieses Gemeinde-Gebäude problematisch.

Nur kleine Geister erregen sich über den Umstand, daß bei dem Bau des Hauses fast generell die stadtüblichen Vorschriften aufgehoben wurden. Die Unebenheiten in den Gängen oder auf den Gehsteigen sind an anderer Stelle verboten, doch für ein Kunstwerk muß man wohl auf diese kleinli-

chen Vorschriften verzichten. Mit der Begrünung des Hauses hat man zwar - bautechnologisch gesehen — ein Unding verwirklicht, doch was bedeutet schon ein künftig undichtes, von Bohrwurzeln löcherig gewordenes Dach angesichts der grandiosen Geste einer phantasievollen Architektur.

In Wien feierte man Hundertwasser wie 1930 in Barcelona den Architekten Antonio Gaudi. Nie-

mandem ist aufgefallen, daß mit der Errichtung dieses Gemeinde-Baus gewaltige Probleme angeschnitten wurden. Das erste ist damit zu umschreiben: Welches Verhältnis haben Bauvorschriften zur Baukunst, wenn das als Kunstwerk gefeierte Gebäude in den meisten Punkten den Gesetzen widerspricht? Ist also ein Kunstwerk nur mehr extra legem zu verwirklichen? Immerhin waren Ausnahmeregelungen zur Errichtung dieses Hauses im Gemeinderat zu beschließen, sonst hätte schon während der Bauarbeiten ein Abbruchbescheid erfolgen müssen.

Das zweite Problem: Wenn nach der Darstellung der Prospekte ein Wohnhaus zum Kunstwerk wurde, so unter der Voraussetzung, daß ein offenkundiger Laie in der Architektur — in diesem Fall Friedensreich Hundertwasser und im

sechsten Bezirk demnächst Arik Brauer — Vorbildliches entwirft. Das mag zwar die Tausenden Häuschenbauer ermutigen, doch wie mag ein Absolvent der Architektur darüber denken? Er steht unter dem Diktat der Bauvorschriften, also ist ihm ein künstlerisches Schaffen nahezu verwehrt,

Somit lautet die Konsequenz aus dem zur Kunst qualifizierten Gebäude, daß ein professioneller Architekt nur Pläne schmieden kann, die im Fall der Verwirklichung nicht zur Baukunst zählen. Sein Berufsbild ist obendrein de-prof essionalisiert. Sind aber dann noch Wege zur Architektur möglich?

Die Gemeinde Wien hat hiefür den Stein der Weisen gefunden: Jene Gebäude, die einem klaren Zweck zuzuordnen sind — also professionell sein sollen —, können, dürfen, müssen häßlichfunktional sein, den Vorschriften gehorchen, einige wenige aber, die schon als Kunstwerke von vornherein in Auftrag gegeben werden, können nur von Laien, Malern, Liedsängern et cetera entworfen werden, denen die geltenden Baugesetze nachgesehen werden. Während das Berufsbild des Architekten zerstört wird, herrscht im Fach Architektur die Clownerie. Das ist der Stadt Wien anzusehen.

Nicht auszudenken, man würde in der Medizin, Jurisprudenz oder anderen technischen Fächern ebenso verfahren!

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