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Der Mann, der aus der Kälte kam ...

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Ruhig, mit der Hand des gedrillten Scharfschützen, richtete er inmitten von begeistert winkenden Armen die Browning-Pistole auf sein Ziel. Hätte nicht neben ihm eine Nonne entsetzt aufgeschrien und nach seinem Arm gegriffen, wären wohl die beiden Schüsse sofort tödlich gewesen. Sie trafen dennoch „ins Weiße“ - den Papst. Mehmet Ali Agca, der Mann, der aus der Kälte kam, wo sich Haß rekrutieren läßt, sah sein Opfer zusammensinken.

Das erste Geschoß hatte den Zeigefinger der linken Hand zerschmettert und eine amerikanische Pilgerin in die Brust getroffen. Das zweite verletzte eine Touristin, nachdem es den rechten Arm des Papstes gestreift und dann seinen Unterleib durchbohrt hatte. „Wie haben sie das tun können? Warum?“ flüsterte er.

Das ist die Frage, die nicht so philosophisch, aber kriminologisch und politisch von den römischen Untersuchungsrichtern gestellt wird, seit sie den Attentäter verhören. Hat Agca wirklich, wie er mit allzueifriger Bestimmtheit behauptet, ohne Hilfe von Komplizen, ohne Auftrag von Hintermännern gehandelt - als todesbereiter Einzelkämpfer gegen den „amerikanischen und sowjetischen Imperialismus“, den er ausgerechnet im Papst treffen wollte?

Dieser junge, wortkarg und scheu wirkende Türke ist kein selbstmörderischer Wirrkopf. Sein Anschlag war lange mit Bedacht geplant, ebenso der Fluchtweg nach der Tat und die Aussagen, mit denen er, falls er gefaßt würde, die Spuren verwischen sollte. Sie Führen ins Niemandsland der west-östlichen Spannungsfronten, wo Minen jeglicher ideologischen Herkunft umherliegen, kaum unterscheidbar - schon gar nicht für einen Burschen, der aus einer Lehmhütte des anatolischen Hochlands in die politisch-chaotische Atmosphäre Istanbuls und seines Studentenmilieus geriet.

Es war die Zeit der siebziger Jahre, in denen der nationalistische Oberst Türkes und seine roten Widersacher Gewalt predigen und bürgerkriegsartigen Terror zum politischen Alltag der Türkei werden ließen.

DaßdieTürkeneine„angeboreneTen- denz zur Gewalttätigkeit“ haben, wie Claire Sterling in ihrer jüngsten Studie (The Terror Network) behauptet, ist eine unfaire Übertreibung; doch in dem unterentwickelten, einzigen islamischen NATO-Land, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Sowjetunion und zum nahöstlichen Konfliktherd, sammelte sich nicht von ungefähr Explosivstoff, blühte nicht zufällig der Handel mit sinnverwirrenden, aufreibenden Drogen - wirklichen und politischen.

Der „eiskalte angelsächsische Kapitalismus“ müsse ebenso bekämpft werden wie der „slawische Sadomarxis- mus“, so lehrte Türkes. Als sein Anhänger Agca, der den linksorientierten Chefredakteur von „Miliyet“ ermordet hatte, im November 1979 aus dem Gefängnis entkam, drohte er, nun „den maskierten Kommandanten der neuen Kreuzritter“ zu ermorden - den slawischen Pontifex.

Auf seiner Türkeireise hat Papst Wojtyla damals sorgsam alles vermieden, was bei Moslems Anstoß erregen, Kreuzzugserinnerungen oder gar das Andenken an jenen Polenkönig Sobieski wachrufen konnte, der vor dreihundert Jahren den türkischen Groß- Wesir daran gehindert hatte, die grüne Fahne des Propheten auf dem Wiener Stephansdom zu hissen und bis nach Krakau zu tragen.

Agca schrieb allerdings in seinem Drohbrief auch, er wolle durch die Tötung des Papstes „die von den USA und Israel angezettelte“ Schändung des Heiligtums von Mekka rächen. Dieses war kurz vorher von mohammedanischen Integralisten besetzt und von saudischer Polizei geräumt worden. Der persische Ajatollah oder palästinensische Widersacher des saudischen Königs mochten dabei ihre Hand im Spiele haben - aber der Papst?

Inzwischen war Aga, wie er jetzt in Rom angibt, durch Mithäftlinge von „rechts“ nach „links“ umgedreht worden, was um so leichter gelingen konnte, als sich beide Extreme im nahöstlichen Pulverfaß mischen. Wurde er, wie er selber erklärt, in einem syrischen Palästinenserlager von George Habasch zum perfekten Killer ausgebildet?

In solchen Lagern, wo katholische Terroristen aus Irland wie atheistische Attentäter aus Deutschland Gastrollen geben und wo jede Art „Revolution“, die den verderbten Westen unterminieren kann, gern gesehen ist, übt man an Waffen, die meist aus dem Ostblock kommen.

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