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Der Mann ohne jeden Charakter

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Das sind die Etiketten, die heute in Österreich politisch getragen, die als „Charakterisierungen" von Politikern von diesen selbst in politischen Akademien ausgehandelt und dann zur Schau getragen werden - im Wort natürlich: „liberal", ,Jconservativ", „fortschrittlich".

In einem Lande, in dem es wenige Liberale, wenige Konservative, wenige Fortschrittliche gibt: Menschen also, die ihren Liberalismus als Liberalität, großge-

schrieben, verstehen und aktiv vertreten. Menschen, für die konservativ nicht, wie sehr oft, gerade in Österreich, ein Deckname für reaktionär ist, und Menschen, für die „fortschrittlich" nicht ein Deckname für einen recht engen Fortschrittsglauben ist, der etwa zumindest den Bau von Atomkraftwerken für fortschrittlich hält.

Liberal? Was ist das konkret in Österreich heute wirklich? Faktisch ist „liberal" ein Wort, eine Etikette, derer sich „freiheitliche", „sozialistische" und Politiker der Volkspartei bedienen.

Liberalismus, großgeschrieben, hat es in Österreich immer schwer gehabt. Nach dem Bankrott der alten klassischen Liberalen ab 1873, nach dem Börsenkrach, der sie in den Abgrund sog, den sie sich durch ihre eigene Borniertheit, Intoleranz, Unliberali-tät ihren Gegnern gegenüber selbst geschaufelt hatten, kamen die ersten Massenparteien auf: Sowohl den jungen Christlichsozialen, die leidenschaftlich gegen die Konservativen kämpften, wie den jungen Sozialdemokraten war Liberalismus fremd.

Es kam, trotz einiger Ansätze, zu keiner Wiedergeburt, zu keiner Neugeburt eines potenten, aktiven, dynamischen, weltoffenen Liberalismus in Österreich. Bis zum heutigen Tage nicht.

Es ist nett, wenn Politiker sich als „liberal" etikettieren und damit bekunden, daß sie kein „schwarzer Mann", kein sturer Bock, kein Hinterweltler sein wollen. Liberale Haltung, ja Welt-Anschauung im Vollsinn des Wortes, wird damit nicht produziert. Liberal? Was ist das v, irklich heute in Österreich?

Es genügt doch wohl nicht, alten Antiklerikalismus zu bemühen, und es genügt auch nicht, aus dem Reservoir einiger westlicher Politologen sich Anleihen, Denkanleihen, zu besorgen. Ungeschützt und sehr der Befragung würdig* steht also „liberal" im diffusen

Raum unserer Gesellschaft. Man frage nur einen „einfachen Menschen", was er unter „liberal" versteht: Keine Antwort, ein Kopfschütteln, eine Phrase.

Dasselbe aber gilt auch von ,Jconservativ" und „fortschrittlich": Es mag als kurios erscheinen, daß die einzigen Denker eines Konservatismus von Format - Österreicher - in der Bundesrepublik Deutschland leben und arbeiten.

Sind es die jungen Herren im grünen Lodenmantel, mit den zugehörigen jungen Damen, die als .konservativ" gelten können? Sind es ältere Menschen, die sich selbst für „konservativ" halten, weil sie voll Mißtrauen und Groll auf „böse Neuerungen" in Kirche und Welt sehen, schielend sehen?

Mit „konservativ" ist kein Staat zu machen, in Österreich heute. Das Klischeewort verbirgt den Mangel an Substanz, Bildung, Weite, Offenheit, ja Weltoffenheit im besten Sirme des Wortes, die einem alten Konservativen existentiell waren, der für die Welt erst wieder durch Friedrich Nietzsche entdeckt wurde und der vor weit über hundert Jahren meinte: die Menschheit bedürfe in den kommenden Jahrtausenden der „Allberührung", wenn sie überleben wolle: Adalbert Stifter.

Es genügt ein Blick auf das Stifter-Bild, das sich „Konservative" noch heute machen, um den Abgrund zu sehen, der zwischen dieser großen, großgearteten konservativen Gesinnung und heutiger „Konservativität" besteht.

Blasses Blau Das „Fortschrittliche" hat sich seinerseits so verschlissen, in Rot und Rosarot, in der neuen „roten" Bourgeoisie der Karrieristen, im blassen Blau von gerne im Scheinwerferlicht auftretenden „freiheitlichen" Politikern, daß es nicht als verläßliche Standortbestimmung angesprochen werden kann.

Bleibt dies: Wir leben in einer diffusen Gesellschaft, in der, ohne es recht ernst zu nehmen, ,Jibe-ral", „konservativ", „fortschrittlich" als Namen ohne Eigenschaften verwendet werden können. Auf den „Mann ohne Eigenschaften" ist der Mann ohne Charakter gefolgt: ohne existentiell geprägten weltanschaulichen Charakter.

Dies erscheint vielen Leuten heute als ein Fortschritt: Wohin dieser Fortschritt geführt hat, bezeugt unsere korrupte gesellschaftliche Situation, in der eine Hand die andere wäscht.

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