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Der Mauerschauer

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Es reicht. Endgültig. Bringt mir den, der dieses stumpfsinnige Gerede vom „Sommerloch” angefangen hat. Ihm gewiß ist eine Dauerkarte, für alle die vielen „schönen” Konzert-, Theater- und anderweitigen Veranstaltungen unter freiem Himmel. Unübertragbar. Besuch aller Ereignisse verpflichtend. Ansonsten verlängert sich das „Mega-Summer-Ticket” automatisch.

Ein gemütliches Bierchen süffeln und mit Freunden in den lauwarmen Sommerabend hineinschwatzen, zirpende Grillen um die Veranda und John Irving lesen, das erfrischende Schlagen der Spielkarten aus Anlaß friedfertigen Terrassen-Zockens und auch das der flachen Hand auf freiliegende Körperpartien ... ! Und dann das kurze Hinwegschnippen der in ihrem kleinen Blutrinnsal auch noch ersaufenden Insektenleichen? Niente. Muße ohne Chance. Das Angebot erdrückt. Ein mörderischer Sommer.

Warum nur kann steif zelebrierte Festival-Stimmung nicht hinterm Arlberg und rund um die Feste Salzburg bleiben? Warum nur lassen die oberen Zehntausend nicht davon ab, sich schon am frühen Nachmittag in ihren Abendroben durch glühendheiße Innenstädte zu schleppen und für ihr „bon vivre” so auch noch zu werben? Dann packt's die breite Schicht. Allsommerlich.

„Wir haben versucht, heuer keinen Mozart ins Programm zu nehmen, aber die von uns verpflichteten Ensembles haben uns einfach welchen angeboten”, zucken allerorts die immer wieder Juni, Juli, August sehr engagierten Veranstalter unschuldig ihre Schultern. Warm wird ihnen da ums musikalische Herz, gleich in dutzendfacher Variation zu je zwölf bis fünfzehn, nach den Gipfeln der Genüsse greifend mit zwanzig Konzerten. In Stiften, Höfen, Schlössern und Burgen, in jedem kunsthistorisch nur einen Deut interessanten Raum, so peripher der akustisch auch taugen mag. Kein Gemeinplatz: Auch Hauptplätze neigen zu Klangplätzen.

Konsequent, den Schicksalsgöttinnen und deren Spinnerfahrung gleich, haben die Musen ihr Netz der Sommerveranstaltungen von Jahr zu Jahr engmaschiger geknüpft. Dicke Stränge darin sind nicht mehr aufzulösen, abzuschneiden schon gar nicht.

Denn was schon/noch vermag ein Pflasterspektakel? Wo sich doch in den letzten Wochen regelmäßig ein Spitzenmusiker auf seinen Knie-pölstern in der Fuzo niederläßt, um mit zwei Stricknadeln seiner behelfsmäßigen Tonleiter von dreißig bis vierzig Gläsern (jedes mit unterschiedlichem Wasserstand) Klassik zu entlocken. Billig gibt's sich der Junge nicht: Prokofjews „Hummelflug” etwa, die Ohrwürmer von Bi-zets „Carmen”. Schlichter Waaaahnsinnü!

Was schwimmt da also schon im Musennetz? Eine Vielzahl mittelgroßer Fische, die guten Willens an Land gezogen werden. Da liegt dann so ein glitschig Sommerding in der kulturell prüfenden Hand. Zum Ins-Hirn-und-Gefühl-Dünsten-Lassen taugt fast nichts. Geschmack und Genuß finden sich kaum. So fällt den Wogen und Wellen des Vergessens, die bald darüberschwappen, sobald das schmale Sommerfischerl wieder drin zappeln darf, vieles anheim.

Große Beute? Oho, der Angler wird lateinisch. Also: Größere Beute? Nunja, die Mauthausner ziehen Ende Juni Jura Soyfers „Astoria” in ihr „Theater im Hof”, die seriöseste, weil professionellste unter aller Boulevardkost in Tillysburg gibt sich im trüben Gewässer noch nicht zu erkennen. „Theater mitten in der Welt” taucht ein absolut unbekanntes Machwerk eines gewissen flämischen Dramatikers Michel de Ghelderode in ein Raum- und Wahrnehmungserlebnis, was immer das werden soll. Immerhin wollen sie ihren sommertheatralischen Stein des Anstos-ses achtmal über die von sonst keinerlei Windkräusel gestörte glatte wäßrige Theateroberfläche springen lassen.

Bad Hall und Bad Ischl Operetten sich durch den Sommer. Aber Österreichs Schauspielexportartikel Nummer eins zeigt uns endlich, wo und wie Sommertheater .langgeht. Nur keine Kosten, Mühen, Bedenken gescheut! Tief drin im Salzkammergut, im Salzbergwerk zu Altaussee, wo man auf den großen Sohn der Gegend dann noch stolzer sein darf, wurde der Bergwerkssee vorübergehend ausgepumpt, um eine wasserresistente Holzbühne zu installieren.

Stürmten vergangenes Jahr die gierigen Zuschauer für den Mitterer-Einakter den Gipfel der „Munde” (2662 Meter Seehöhe!), locken Österreichs Tiroler Dramatiker und auch Barbara Frischmuth in die Tiefen des Kalkgesteins. Sommertheater, garantiert bei kühlem Kopf und gelsenfrei.

Und dann? Nächstes Jahr? Theater unter Wasser. Oder im Baumhaus? In der Sahara? Auf dem Ölteppich im Persischen Golf? Es wird mörderisch. Gewiß.

Ein mörderischer Sommer. Kein letzter, auch nur wieder einer.

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