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Der Meister der Tropen

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Das inkrustierte Wort und die verunsicherte Musik wollten der Denker Ferdinand Ebner (1882;—1931) und der Musiker Josef Matthias Hauer (1883-—1959) aus heilloser Umklammerung herausführen. Dabei erinnerte sich der Musiker vielleicht der Antrittsvorlesung Anton Bruckners an der Wiener Universität, wo dieser prophetisch die „Atomsezierung der Musik” ankündigte, und der Philosoph der geistigen Realitäten des Wortes in der Herkunft,’ wie sie Plato schon-einordnete. — Und das Eigenartige: In den präformierten Lebensmaximen chinesischer Spruchweisheit. „I Ging”, dem „Buch der Wandlungen”, fanden beide den Ausgangspunkt, alles künstlerische Geschehen der Zukunft neu aufzubauen. Die Formel des Musikers: Die Amerikaner hätten die Atombombe, die Österreicher aber die Zwölftonmusik, scheint zuerst inkommensurabel, wird aber verständlich, wenn man bedenkt, daß nur die mit äußerster Selbstlosigkeit durchgeführte Trennung von Wort und Musik und die Rückbesinnung auf die Anfänge die stille Revolution des 20. Jahrhunderts in Bewegung bringen und die Grundlagen für das Kommende legen konnten. — Aber der im dritten Brief zitierte Herr Wanecek, dessentwillen der Musiker das bereits begonnene Buch in den Ofen steckte, steht synonym für die Zeit der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts, die für die Reform in capite et membris einen engstirnigen Nationalismus und ein „Rettet das durch die Atomexplosion in alle Windrichtungen Zerstreute” anbietet. Der Brief von Cleirtens Krauss beweist in erschütternder Weise, daß für den Opernbetrieb trotz Alban Bergs „Wozzeck” die Revolution noch nicht stattgefunden hat. Den Adressaten des ersten Briefes, Paul von Klenau, Dirigent und Kompo- nonist, lernte J. M. Hauer in Wien kennen. Franz Ertel war sein Schüler, Sekretär und Freund.

Franz Xaver Gruber

(Undatiert, nach 1928)

Sehr geehrter Herr von Klenau!

Über die Priorität meiner Zwölftonmusik kann nicht der geringste Zweifel walten, da ich heute noch immer der einzige Musiker bin, der diesen Stil, diese in sich geschlossene präzise Bauart durch und durch kennt und beherrscht. Meine Schüler verstehen von der Zwölftontheorie nur soviel, als sie bei mir gelernt haben. Die literarischen Publikationen, die ich im Laufe meiner Entwicklung veröffentlicht habe, sind eher irreführend als belehrend, denn die Hauptsachen habe ich immer verschwiegen und mir für den persönlichen Unterricht Vorbehalten. Ich mußte mich sichern gegen Plagiatoren und kann es heute noch, wenn es darauf ankommt, auf einen öffentlichen gerichtlichen Prozeß ah- kommen lassen, BįeMžeĮėSęr Zwölftonmusik’ das SauTrafteiT”sind’’’äie Tropen, jene „Totalität” einer ungeheuren Ordnung der 479,001.600 Melosmöglichkeiten der zwölf Töne, die außer mir noch meinen Schülern Franz Ertel und Hermann Picht bekannt ist. Die Anordnung der 44 Tropen in meiner Broschüre „Zwölftonmusik” ist verworren, so daß keiner daraus lernen kann. Es liegt immer noch ganz und gar in meiner Hand, den Schleier eines Tages zu lüften und anderen in die heiligen Geheimnisse der Zwölftonmusik Einblick zu gestatten. Dazu ist natürlich ein persönlicher Unterricht und ein intensives Studium mit vielen, vielen Beispielen absolut notwendig. Die Zwölftonmusik und alles rein Wissenschaftliche, was drum und dran ist, beinhaltet nicht mehr und nicht weniger als die geistige Neugestaltung der ganzen Welt. Man wird in Zukunft von der Zwölftonmusik sprechen müssen, die sich über alle Gebiete erstreckt, auch über alle Zweige des sozialen Lebens. Da heißt es für jeden, der etwas Vernünftiges schaffen will (egal ob staatsmännisch oder privat!) in die Schule gehen!

Die erste Veröffentlichung meiner Zwölftonmusik geschah im Spätherbst 1912 in Wiener Neustadt, wo ich damals Volksschullehrer war. Plötzlich, sozusagen über Nacht, fiel mir mein Opus 1 ein, der „Nomos” in sieben Teilen. Diese Geistigkeit war Durchbruch und nahm dann eine geradlinige Entwicklung bis zum heutigen Tage. Der „Nomos” zeigt bereits alle Stilmerkmale meiner Zwölftonmusik, die monodisch ist (aus der „einen Ode” der zwölf Töne herausgehend) und deren Formenbau auf alles (von „außen” kommende!) Musikfremde verzichtet, also auf der rein musikalischen Intuition beruht. Zwölftonmusik ist Musik an sich und alle bisherige Musik hat ihren Rang je nach der weiteren oder engeren Entfernung von ihr. Der lineare Kontrapunkt, die Thematik (mit den Durchführungen) ist ihr fremd; sie ist aufgebaut auf der Melodie und deren eindeutiger Harmonie. Um die zwölf Töne einer Reihe in Harmonie zu bringen, ist unbedingt absolute Ge nialität erforderlich. Die Zwölftonmusik kennt keine Harmonielehre! Wie wäre eine solche möglich?

Arnold Schönberg nahm seinen Weg über Wagner und Brahms. Bei ihm war kein Durchbruch des Geistigen, sondern eine bloße geschichtliche Weiterentwicklung und Zuen- deführung der Epoche von Beethoven und Wagner angefangen. Ich schrieb schon mehr als 10 Jahre Zwölftonmusik, hatte bereits einige theoretische Schriften veröffentlicht und die 44 Tropen gefunden, als ich eines Tages erfuhr, Schönberg arbeite ähnlich wie ich. Hierauf besuchte ich ihn in Mödling und fragte ihn, ob das wahr sei. Nun zeigte er mir Analysen einiger Kompositionen von mir und sagte: „Sie sehen, ich habe Ihre Sachen eingehend studiert und versuche es jetzt auch in dieser Art In- meiner Serer nade sind einige Sätze bereits so geschrieben Und’ das- BläsCTdüsVrtett ist ganz durchgeführt mit Zwölftonreihen.” Ich besah mir die Werke und fand sofort den wesentlichen Unterschied zwischen meiner harmonischen, melodischen Zwölftonmusik und der Kompositionsweise Schönbergs, die auf den alten Formprinzi-r pien aufgebaut ist und bei der die Zwölftonreihen eine im Grunde genommen unnötige, man könnte sagen störende Beigabe sind. Schönberg selbst mußte dies spüren, denn er sagte: „Eine amerikanische Musikzeitschrift hat mir den Antrag gestellt, mit Ihnen, Herr Hauer, eine Polemik in Briefform einzugehen. Ich würde dabei meine Sachen bezeichnen: Komposition mit zwölf Tönen, während Sie, Ihre Art ja ohnehin schon Zwölftonmusik nennen, welcher Ausdruck bei Ihnen den ganzen eigenartigen Stil, das Zwölftonformprinzip, auch die Zwölftonharmonie umfassen soll.” Ich ging aber auf diesen Vorschlag nicht ein, da ich darin (wie sich später zeigte) mit Recht eine „Palle” witterte. Nun wurde Schönberg von seiner internationalen Clique als der „Erfinder” der „Zwölftonmusik” proklamiert — ich aber mußte mich dieser erdrückenden Übermacht gegenüber zurückziehen und geduldig den Zeitpunkt abwarten, wie das „Mißverständnis” (oder wie man es sonst benennen will) vielleicht einmal’seine’AtrfklärUng fmdet.JIch will Schönberg in keiner Weise nahe treten, und wenn er und seine Anhänger ihre Art „Komposition mit zwölf Tönen” nennen und sich weißlich von meiner — mir ureigenen Zwölftonmusik scheiden, von meinem ausgesprochenen Zwölftonstil, den ich seit 1912 fast unverändert beibehalten habe, so bin ich zufrieden. Uber den kulturellen Wert unserer Werke müssen wir das große Publikum, das Volk, seine musikalischen und musikliebenden Schichten entscheiden lassen. Lieber Herr von Klenau, hoffentlich haben wir uns ein wenig verstanden; denn es ist sehr schwer, fast unmöglich, solche Fragen literarisch zu erledigen!

Mit herzlichem Gruß auch an alle bekannten Frankfurter Ihr sehr verbundener J. M. Hauer

Wien, 15. August 1931

Lieber Freund Ertel!

Deine Karte ging von Wien nach Altmünster und wieder zurück; daher die verspätete Antwort. Die Ausbeute aus den chinesischen Büchern war enorm. Du wirst staunen, was die Chinesen schon vor 2000 Jahren gedacht und geschrieben haben. Im Grunde genommen genau dasselbe, was ich schon hundertmal gesagt habe. Aber die Sache ist die: Das Gehirn von unsereinem ist durch europäischen Einfluß so verbogen, daß man diese Weisheiten doch nicht so klar zum Ausdruck bringen könnte. Aber nun habe ich durch Studium und reichliche Notizen für das Buch sehr viel gewonnen. Ein Satz ist darunter, der mir mein Werk geradezu rettet. Er ist wohl das Gescheiteste, was ich in meinem Leben gelesen habe. Die Chinesen sind noch viel, viel höher, als wir sie bisher gekannt haben. Wenn Du kommst, werden wir darüber reden. Grüße einstweilen herzlich Deine Frau und sei herzlich gegrüßt! von Deinem alten Freunde J. M. Hauer

Wien, den 22. August 1931

Lieber Ertel!

Du wirst ein bißchen erschrecken, wenn ich Dir mitteile, ich habe mein bereits bis zur Hälfte gediehenes Buchmanuskript eingeheizt. Alles habe ich verbrannt, auch alle Notizen aus den chinesischen Büchern, die wir uns ja gelegentlich von Frau Köchert ausleihen können. Die Sache kam so: Wanecek war bei mir zu Besuch und ich las ihm (absichtlich!) aus der Reinschrift vor. Ich hatte viel geändert und dachte, in dieser Form könnte er mich vielleicht verstehen. Allein das schärfste Gegenteil traf ein. Er nahm Stellung dagegen, und zwar so, daß ich erschrak. Es hatte den Anschein, als habe er sich über den Inhalt des Buches mit einigen seiner Freunde eingehend besprochen; denn er brachte für alles die im Umlauf befindlichen wissenschaftlichen Argumente vor und sprach fortwährend von fehlenden Beweisen in einem Tone, als wenn wir in einer politischen Versammlung aneinanderkämen. Seine ganze Einstellung war direkt feindlich. Auch was wir über Musik sprachen war so, als wenn er niemals mein Schüler gewesen wäre. Es war trostlos, und ich dachte mir: wenn so ein Werk von denen mißverstanden wird, die doch von der Zwölftonmusik etwas wissen sollten, die doch wissen sollten, wie ein Mensch denkt, der in dieser Sphäre daheim ist, wie viel weniger ist erst von den anderen zu erwarten. Wanecek transponierte alles ins rein Politische, stellte sich auf seinen Rassenstandpunkt, machte mir Vorwürfe, daß ich ein politisches Gesindel unterstütze usw. Kaum war er fort, warf ich die ganze Schreiberei in den Ofen und verbrannte sie. Ich dachte: wozu soll ich meinen Kindern, meinen Freunden Unannehmlichkeiten bereiten, wenn von einem Verständnis der Sache ohnehin keine Rede sein kann. Aufheben wollte ich die Schriften auch nicht, damit ich eventuellen Verrätern keine Mittel in die Hand gebe, mir schaden zu können. Eine solche Sache läßt sich selbstverständlich von der einen wie von der anderen Seite betrachten. Wanecek steht auf der Seite, die mir schadet und immer schon geschadet hat. Er sagte: es hätte chinesische Bücher, in denen immer genau das Gegenteil von dem stünde, was Richard Wilhelm sagt. Kurzum: Wanecek kam mir sehr gefährlich vor, und ich bereue es nicht, meine Sachen eingeheizt zu haben. Es gibt wahrscheinlich außer uns beiden keinen Menschen mehr auf der Welt, die eine geistige Sache geistig sachlich nehmen; die andern sind mehr oder weniger Spekulanten, die sich über produktive Menschen einfach hinwegsetzen. Wanecek setzt isich über meine Urheberschaft der Zwölftonmusik bestimmt hinweg und betrachtet sie als etwas Gleichgültiges, Untergeordnetes, gerade gut genug, daß man es sich unter anderm aneigne und benütze wie man ein Stück Holz benützt und daraus etwas macht. Er versteht es absolut nicht, daß an einer solchen Sache eine gewisse Reinkultur hängt, die sich so fügen muß, damit etwas Derartiges überhaupt entstehen kann! Seine Einstellung ist vielleicht noch ärger wie die von Steinbauer und Konsorten. Die fühlen wenigstens in der Zwölftonmusik irgendeine Stimme von oben, irgend ein Geschenk des Himmels und haben doch trotz allem eine gewisse Ehrfurcht vor dem Genialen. Bei Wanecek fehlt das vollständig. Er musiziert gern, sagt er. Musik macht ihm Freude, so wie irgendwas. Meine Sache war ihm gerade gut genug als Vergnügen, damit ihm die Zeit vergeht. Mit Wanecek werde ich in Zukunft äußerst vorsichtig verkehren. Wir sind auch bei unserer letzten Aussprache gut auseinander gekommen. Ich bat ihn noch einmal, über die Sache mit anderen nichts zu reden und sagte ihm auch, daß ich die Blätter gleich nach seinem Weggehen verheizen werde. Es wäre gut, wenn auch Du ihm das wiederholen wolltest. Ich gebe Dir hiemit mein Ehrenwort, daß ich die Schriften alle wirklich eingeheizt habe. Sage ihm das! Ich gehe sogar so weit, ihm zuzugestehn, daß ich vielleicht durch diese Schriften seinen Unwillen erregt habe, und das soll nicht sein. Ich will niemanden kränken in seinem Rassenstolz, in seinem Stolz auf sein Werk. Eines hat die ganze Arbeit sicher gehabt: ich bin mir jetzt über die Frage vollständig im klaren, weiß aber auch, daß da nichhr zu wollen ist! Für meine Schüler bin ich ein Sprungbrett, über das sie sich hinwegsetzen wie über einen Gegenstand. Das hat sich bisher in jeder Weise gezeigt, bei allen. Auch Picht schreibt mir einen merkwürdigen Brief über den „garstigen Zwölftonschulmeister” der auf die Wünsche seiner Schüler nicht so ohne weiters eingeht. Sie sind im Gründe genommen- ‘alle auf- der feindlichen Seite, auf jener, bei der man nicht anstoßt, bei der Majorität. Lieber Ertel, alles andere mündlich!

Grüße herzlich Deine Frau und sei selbst gegrüßt von Deinem alten J. M. Hauer

Wien, den 23. Juni 1930 Lieber Ertel!

Dein Rückfall ist wohl eine unangenehme Beigabe zu Deiner Sommerfrische und sehr bedauerlich. Hoffentlich hält Deine Gesundheit jetzt an! Mir geht es leidlich. Ich fahre wahrscheinlich am 8. Juli nach Hollereck zu Köcherst. Clemens Krauss hat mir die Partitur zurück- geschickt mit einem Absagebrief, der sehr charakteristisch ist. Du kannst ihn später einmal gelegentlich lesen, oder ich schreibe ihn gleich auf, damit Du Dich unterhälst:

„Sehr geehrter Herr Hauer! Ihr Opernwerk „Salambo” habe ich eingehend durchgesehen. Was den Text und die Handlung betrifft, so halte ich das Buch in der Fassung, wie es jetzt vorliegt, nicht für aufführungsreif, d. h. ich halte einen Erfolg nicht für wahrscheinlich. Über die Musik möchte ich mir kein abschließendes Urteil erlauben. — Eine gewisse Monotonie in der Führung der Singstimmen, sowohl rhythmisch, als auch melodisch erscheint mir als ein schädliches Moment. Trotzdem möchte ich das Werk vorgespielt hören. Für den Rest des Monates — ich verreise nächste Woche — finde ich leider keine Zeit und Sammlung mehr. Vielleicht ist es Ihnen möglich, mir im Herbste einiges aus Ihrem Werke vorzuspielen. — Die Partitur stelle ich Ihnen inzwischen mit Dank retour.

Mit freundlichen Grüßen Ihr sehr ergebener Clemens Krauss”

Der Brief ist ein „Kulturdenkmal” und gibt wohl jedem Menschen (auch wenn er nicht Musiker ist) zu denken. Solche Leute befinden sich an der Spitze von Instituten, Leute, die etwas lernen sollten, anstatt sich Urteile anzumaßen. Pech! Pech! Da kannst nix machen.

Herzlich grüßt Dein alter Freund J. M. Hauer

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