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Der Mensch als Ersatzteillager

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Die Behandlung von Leichen ist in Österreich bis ins kleinste Detail geregelt. Entgegen anderslautenden Behauptungen fehlen jedoch in Österreich ähnliche gesetzliche Schutzbestimmungen für abgetriebene Embryos.

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Die Behandlung von Leichen ist in Österreich bis ins kleinste Detail geregelt. Entgegen anderslautenden Behauptungen fehlen jedoch in Österreich ähnliche gesetzliche Schutzbestimmungen für abgetriebene Embryos.

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Der verstorbene Mensch als „Ersatzteillager”:

Der positive Wert einer Organspende zugunsten lebender Menschen, deren Gesundheit dadurch verbessert oder deren Leben dadurch vielleicht sogar gerettet werden kann, steht grundsätzlich außer Streit. Freilich muß dabei dem Leichnam immer jene Achtung entgegengebracht werden, die man dem Körper eines Menschen auch über dessen Tod hinaus schuldig ist. Auch muß auf das Pietätsgefühl der Angehörigen Rücksicht genommen werden.

Diese Aspekte hat der Gesetzgeber bei der Regelung dieser Materie im Krankenanstaltengesetz im Jahre 1981 auch berücksichtigt, indem er die Zulässigkeit der Organentnahme aus Leichen von folgenden Voraussetzungen abhängig machte:

• Die Organentnahme muß zu dem Zweck erfolgen, durch die Transplantation dieses Organs das Leben eines anderen Menschen zu retten oder dessen Gesundheit wiederherzustellen.

• Es darf dem Arzt zum Zeitpunkt der Entnahme keine Erklärung vorliegen, mit der der Verstorbene oder — zu dessen Lebzeiten - sein gesetzlicher Vertreter einer Organentnahme ausdrücklich widersprochen hat.

• Jener Arzt, der den Tod festgestellt hat, darf weder an der Organentnahme noch an der Transplantation in irgendeiner Weise beteiligt oder sonstwie betroffen sein.

• Es dürfen nur einzelne Organe oder Organteile entnommen werden, und die Entnahme darf nicht zu einer „die Pietät verletzenden Verunstaltung der Leiche” führen. Ein .Ausschlachten” des Leichnams ist verboten.

• Entnommene Organe dürfen nicht Gegenstand von Rechtsgeschäften sein, die auf Gewinn gerichtet sind. Handel mit Leichenteilen ist verboten.

Diese Regelung ist vorbildlich in ihrer Klarheit und Eindeutigkeit. Jede Organentnahme, die den genannten gesetzlichen Erfordernissen nicht entspricht, ist rechtswidrig und wird jedenfalls nach dem Krankenanstaltengesetz selbst als Verwaltungsübertretung mit Geldstrafe bis zu 30.000 Schilling, unter Umständen sogar gerichtlich als „Störung der Totenruhe” geahndet.

Dies gilt auch für die Entnahme von Hirnanhangsdrüsen (Hypophysen) zwecks Verwertung in der pharmazeutischen Industrie. Es ist daher erstaunlich, daß in diesem Zusammenhang von einer „Lücke im Transplantationsgesetz” die Rede ist. Unzweifelhaft fällt auch die Hirnanhangsdrüse unter den Organbegriff des Krankenanstaltengesetzes. Ihre Entnahme ist daher nur unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig.

Die „Lücke” liegt daher-jedenfalls was die Entnahme von Leichenteilen betrifft — sicher nicht in diesem Gesetz, sondern eher in seiner Befolgung.

Man mag eine noch liberalere Regelung der Organentnahme aus Leichen fordern; solange es eine solche jedoch nicht gibt, hat man sich an das bestehende Gesetz zu halten.

Der lebende Mensch als „Ersatzteillager”:

Der Bereich der Organspende unter Lebenden ist um vieles problematischer, da die Organentnahme beim im Regelfall ja völlig gesunden Spender im Prinzip eine Körperverletzung darstellt, die aber unter Umständen durch „Einwilligung des Verletzten” gerechtfertigt sein kann.

Dieser Rechtfertigungsgrund ist im Strafgesetzbuch normiert und sieht vor, daß eine Körperverletzung dann nicht rechtswidrig und damit straflos ist, wenn der Verletzte in sie einwilligt und die Verletzung „als solche” nicht gegen die „guten Sitten” verstößt.

Dies wird etwa bei Hauttransplantationen der Fall sein, aber auch die Entnahme paariger Organe - z. B. der Nieren — kann in Ausnahmefällen (enge Verwandtschaft zwischen Spender und Empfänger) noch den „guten Sitten” entsprechen, soferne wirklich nur die edlen Motive des unmittelbaren Heilens und Helfens, im Vordergrund stehen und nicht etwa finanzielle Interessen oder Forschungs- und Experimentierzwecke.

Die Regelung in diesem Bereich ist jedenfalls mit Recht restriktiv.

Der ungeborene Mensch als „Ersatzteillager”: Unter diesem Aspekt sind derzeit drei Verwertungsmöglichkeiten zu beachten:

# Die Verwendung abgetriebener Embryos zur Herstellung chemisch-pharmazeutischer Produkte;

O die gezielte Züchtung von Embryos zu dem alleinigen Zweck, sie nach Bedarf als Organ- oder Zellenspender — z. B. für Knochenmarkstransplantationen — zu verwenden;

# die im Tierversuch bereits erprobte Möglichkeit, Embryos bis auf ein bestimmtes Organ abzutreiben, wobei dann das im Mutterleib verbliebene Organ des Embryos die Funktion des kranken mütterlichen Organs teilweise übernehmen kann.

Schmerzliche Lücke

Gerade in diesem wohl problematischsten Bereich der „Organbzw. Gewebsverwertung” — von „Spende” kann ja hier keine Rede mehr sein—gibt es nun tatsächlich eine besonders schmerzliche Gesetzeslücke.

Das Krankenanstaltengesetz stellt nämlich ausdrücklich auf „Verstorbene” ab. Dieser Begriff setzt eine Lebendgeburt voraus. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, daß abgetriebene Embryos nicht durch die Regelung des Krankenanstaltengesetzes erfaßt werden.

Innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate ist die Tötung des Embryos im Mutterleib nach vorheriger Beratung der Schwangeren zulässig, wobei jener Arzt, der die Beratung vornimmt, auch die Abtreibung durchführen darf. Es fehlt also hier sogar an einer psychologischen Schutzvorschrift zur sauberen Trennung der Interessen, wie sie das Krankenanstaltengesetz hinsichtlich der Leichen in Form der strikten Trennung zwischen jenem Arzt, der den Tod feststellt, und jenem, der dem Leichnam Organe entnimmt, vorsieht.

Genießt schon der Embryo im Mutterleib innerhalb der ersten drei Lebensmonate keinen Schutz, so umso weniger die im Mutterleib getötete und abgetriebene Leibesfrucht.

Krasser Widerspruch

Gewinnbringende Geschäfte mit Organen Verstorbener sowie eine die Pietät verletzende Verstümmelung von Leichen sind durch das Krankenanstaltengesetz verboten. Es fehlt jedoch an einer ähnlichen bundesgesetzlichen Bestimmung für den Bereich abgetriebener Embryos. Diese sind daher einer „Verwertung” — entgegen allen anderslautenden Beteuerungen — schutzlos ausgeliefert.

Eigentlich ein krasser Wertungswiderspruch, wenn man bedenkt, daß es im einen Fall um den Leichnam Verstorbener, im anderen aber um die Uberreste bewußt abgetöteten werdenden Lebens geht, dem man nie die Chance gegeben hat, der eigenen Organspenderfunktion zuzustimmen oder ihr zu Lebzeiten für den Fall des eigenen Todes zu widersprechen.

Der Autor ist Assistent am Institut für Strafrecht der Universität Wien.

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