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Der Mensch — wer ist das eigentlich?

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Vieles Gewaltige lebt, aber nichts ist gewaltiger als der Mensch." So schrieb Sophokles vor mehr als 2.000 Jahren in seiner Antigone. Sophokles ging es um Antigones Ankämpfen gegen Unrecht und Gewalt und um ihr Uber-sich-Hinauswachsen in der Hinnahme ihres unausweichlichen Untergangs. Heute geht es — außer um das Schicksal von Einzelmenschen — um den Menschen als Kollektiv, um die Selbstgefährdung der Menschheit durch ihren eigenen technischen Fortschritt.

Es gibt keine Zeit, die so viel über den Menschen wußte wie die

unsrige. Es scheint aber auch nur wenige geschichtliche Epochen zu geben, die durch die Fülle neuer Erkenntnisse so verunsichert waren wie die unsrige. Die Fülle disparater wissenschaftlicher Informationen und die erschreckende faktische Kraftlosigkeit der herkömmlichen weltanschaulichen Interpretationen haben zu einem gefährlichen Sinndefizit in unserer Gesellschaft geführt.

Die klassische Frage, ohne die zu stellen niemand menschlich leben kann, stellt sich heute neu: Was ist der Mensch? Daß sich der Mensch selbst zur erregenden Frage macht, entspricht seinem einzigartigen Rang im Kosmos.

Daß er diese Frage immer wieder1 neu stellen muß, beruht auf der Geschichtlichkeit seiner Existenz. Es ist das Vorrecht einer Zeit des Umbruchs, daß wir uns nicht mehr mit den alten Antworten zu begnügen brauchen, sondern daß wir es riskieren müssen, das Überkommene in Frage zu stellen und neue Perspektiven zu entwerfen.

Diese Aufgabe stellten sich die Salzburger Hochschul wochen 1982. •

Wieder sind an die tausend Menschen angereist um die Anstrengung des Nachdenkens gemeinsam auf sich zu nehmen. Vor allem aber mit der Zuversicht, daß aus einem solchen Wettbewerb neuer Erkenntnisse und vielleicht auch neuer Entwürfe die Antworten hervorgehen, die durch ihre innere Glaubwürdigkeit und durch ihre erfahrbare Wahrheit die Autorität allgemeiner Verbindlichkeit gewinnen.

Sah die traditionelle philoso-

phische und theologische Anthropologie den Menschen primär als ein mit Vernunft, Freiheit und Verantwortung begabtes Wesen, so betrachten ihn die modernen Erfahrungswissenschaften als Natur-, Sinnen- und Bedürfniswesen. Der Mensch ist in Wirklichkeit beides. Er ist ein vieldi-mensionales Wesen, das sich notwendigerweise nicht auf einen einzigen Nenner bringen läßt. Der Streit um den Menschen ist unvermeidbar, ja dringend notwendig.

Einen starken Eindruck dieser Tatsache vermittelte der Wiener Zoologe und Evolutionstheoretiker Rupert Riedl. Riedl gab einen faszinierenden Uberblick über die Geschichte unseres Wissens der physischen Entstehung des Menschen. Eingehend beschäftigte er sich dabei mit dem Problem der Aggression, sowie mit der Frage, ob Aggression angeboren oder erworben sei.

Riedl wußte zu berichten, daß es

neuesten Forschungen zufolge unter den Primaten ausgesprochene „Mörderspezies" gibt, zu denen leider Gottes auch der Mensch gehört, und daß die Tötung von Artgenossen bei der Menschwerdung des Menschen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben dürfte, bzw. daß es zwischen Intelligenzentwicklung und Waffentechnologie einen inneren Zusammenhang gibt, der sich freilich heute unter den Bedingungen der modernen ABC-Waffen ins genaue biologische Gegenteil verkehrt hat.

Angesichts der Dringlichkeit der gegenwärtigen Frage nach dem Menschen, befindet sich sowohl die Philosophie, aber auch die Theologie, in einer höchst schwierigen Situation. Denn in der Frage nach dem Menschen, wie sie heute gestellt wird, geht es ja nicht um diesen oder jenen Aspekt des Menschseins. Denn darüber wissen wir heute durch die modernen Wissenschaften

mehr als jede andere Zeit vor uns. Aber es ist die Fülle dieses Einzelwissens, das den Menschen verwirrt und verunsichert. Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn seines Menschseins erwartet der Mensch zurecht von der Philosophie und der Theologie.

Es geht heute um nicht mehr und nicht weniger als um das Eine und Ganze des Menschen: Um die Menschlichkeit des Menschen. Es geht um das, was Kant als die zusammenfassende Grundfrage aller Philosophie bezeichnet hat, um die Frage „Was ist der Mensch?" Prof. Emerich Coreth erinnerte in diesem Zusammenhang an das berühmte Wort Au-gustins vom „cor inquietum" und an Pascals Aussage der Mensch sei „ein Nichts gegenüber dem Unendlichen, ein Alles gegenüber dem Nichts, eine Mitte zwischen Allem und Nichts" und deshalb „ein unbegreifliches Monstrum", weil „der Mensch unendlich den Menschen übersteigt".

Heute ist sich der Mensch deutlicher als zuvor der Würde seiner Person bewußt geworden. Die Erkenntnis der personalen Würde des Menschen ist das entscheidende christliche Erbe, das es angesichts neuer Gefährdungen des Menschen zu aktualisieren gilt. Es wäre schon viel, wenn die Salzburger Hochschulwochen mit dazu beigetragen hätten, die Frage nach dem Menschen wieder neu wachzurufen.

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