6862387-1977_41_30.jpg
Digital In Arbeit

Der Mensch wird nicht der Technik unterworfen

19451960198020002020

In unserer letzten Beilage DRUCK UND PAPIER brachte die FURCHE einen Beitrag von Komm.-Rat Dr. Willi Maiwald, Präsident des Hauptverbandes der graphischen Unternehmungen Österreichs, über die Einführung des Photosatzes in Österreich „Die technische Revolution ist in Wirklichkeit eine Evolu tion“. Wir möchten es nicht versäumen, an dieser Stelle die Problematik der neuen Zeitungstechnologie auch aus der Sicht der Verleger darstellen zu lassen. Verfasser des Beitrages ist der Generalsekretär des Verbandes österreichischer Zeitungsherausgeber, Doktor Friedrich Weber.

19451960198020002020

In unserer letzten Beilage DRUCK UND PAPIER brachte die FURCHE einen Beitrag von Komm.-Rat Dr. Willi Maiwald, Präsident des Hauptverbandes der graphischen Unternehmungen Österreichs, über die Einführung des Photosatzes in Österreich „Die technische Revolution ist in Wirklichkeit eine Evolu tion“. Wir möchten es nicht versäumen, an dieser Stelle die Problematik der neuen Zeitungstechnologie auch aus der Sicht der Verleger darstellen zu lassen. Verfasser des Beitrages ist der Generalsekretär des Verbandes österreichischer Zeitungsherausgeber, Doktor Friedrich Weber.

Werbung
Werbung
Werbung

Die technische Entwicklung ist eine Herausforderung für die Unternehmensleitungen der Zeitungsindustrie. Sie verlangt die Bewertung von Alternativen, die Veränderung der Organisationsstruktur, die Neufestlegung von Verantwortungsbereichen, die Ermittlung des zukünftigen Personalbedarfs (sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht), die frühzeitige Unterrichtung und Motivierung der Mitarbeiter und ihre Vorbereitung auf die zukünftige Tätigkeit durch Ausbildung im eigenen oder in anderen Unternehmen sowie in Schulen. Die kommenden elektronischen technischen Neuerungen erfordern somit ein Maßnahmenbündel, verbunden mit enormen personellen und wirtschaftlichen Anstrengungen.

Wozu das alles? Es ist doch bisher auch ohne „Photosatz“, ohne „Bildschirmterminal“, überhaupt ohne die Anwendung elektronischer Systeme gutgegangen.

Die neue Technologie bietet die Möglichkeit, Zwischenstufen der heutigen Zeitungsproduktion künftig zu überspringen.

Die neue Zeitungstechnik hat, von - den USA kommend, bereits auf Europa, auch auf Österreich übergegriffen. Sie ermöglicht es, wirtschaftlicher als bisher zu produzieren, damit die Wettbewerbsfähigkeit der Verlage und die Pressevielfalt erhalten bleiben. Eine Zeitung kann jedoch nur dann unabhängig bleiben und zur Aufrechterhaltung der Meinungsvielfalt beitragen, wenn sie - wie jedes andere Unternehmen auch - mit Gewinn arbeitet oder zumindest keine Verluste erwirtschaftet Inflation (insbesondere die enormen Materialpreissteigerungen), und Rezession (Rückgänge bei Anzeigenumsätzen und Auflagen) haben viele Zeitungsuntemehmen von schwarzen in rote Zahlen gebracht. Es ist verständlich, daß die Zeitungsunternehmungen diese Situation durch Rationalisierungsmaßnahmen, also durch die Einführung neuer personalsparender Techniken zu überwinden versuchen.

Elektronische Redaktionssysteme kann man heute „maßgeschneidert“ kaufen. Angesichts möglicher Einsparungen lohnt sich die Anschaffung des neuen Gerätes auch schon - wie Beispiele in den USA zeigen - für mittlere und kleinere Zeitungen. Von der Technik her gibt es somit keine unüberwindbaren Schwierigkeiten.

Die Fachkräfte in den Zeitungssetzereien sind bereit, sich auf die Tätigkeiten in Photosatz und elektronischer Satzherstellung umschulen zu lassen. Da gibt es kaum Probleme. Wenn aber in Zukunft vielleicht ein Viertel des heutigen Setzereipersonals genügt, um Zeitungen zu setzen, wo bleiben dann die übrigen drei Viertel? Es gibt hierauf im Grunde nur drei Antworten:

• Der Personalstand wird während der Umstellungsperiode durch den natürlichen Abgang von selbst reduziert

• die Betroffenen übernehmen eine andere Tätigkeit

• die Betroffenen scheiden vorzeitig aus dem Arbeitsprozeß aus.

Die Übernahme einer anderen als der erlernten Tätigkeit bedeutet in den meisten Fällen, daß zumindest ein Teil der erworbenen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse nutzlos werden. Nicht immer wird man auf ähnlich hochqualifizierte Tätigkeiten innerhalb oder außerhalb des angestammten Betriebes umschulen können. Solche Arbeitsplatzwechsel ziehen mögliche Einkommensverluste nach sich und werfen somit neue Probleme der Lohngerechtigkeit auf. Die Setzer - Maschinensetzer, Handsetzer, Metteure und Korrektoren - sind ein hochqualifiziertes Fachpersonal. Es geht nicht allein um die nackte Existenzsicherung, es geht auch darum, daß jemand, der einen Spezialberuf erlernt hat, sich nicht gerne in andere, womöglich viel primitivere Tätigkeiten abdrängen läßt. Dies völlig unabhängig von seinem jetzigen und dem möglichen künftigen Einkommen.

Ein für jeden Betrieb anwendbares Patentrezept wurde noch nicht erfunden. Der einzig gangbare Weg: Jedes einzelne Unternehmen muß rechtzeitig, das heißt in der jetzt wirtschaftlich relativ stabilen Phase, einen genauen Zeitplan für die notwendige Umstellung ausarbeiten, der alle finanziellen und persönlichen Möglichkeiten berücksichtigt.

Dieser technische Strukturwandel mit seinen sozialen und wirtschaftlichen Problemen wird - wie zuvor aufgezeigt - nicht nur bei der Satzherstellung wirksam. Er findet auch Eingang in die Redaktionen: Der Journalist sitzt in Zukunft an einer Art Schreibmaschinentastatur und tippt seinen Artikel. Daran ist zunächst nichts Ungewöhnliches. Vor ihm erscheinen Buchstaben - aber nicht auf einem Bogen Papier, sondern als Leuchtschrift auf einem Bildschirm. Dazu kommt, daß er jedes Wort, jeden Satz, jeden Absatz, der ihm-nicht gefallt, durch einen einzigen Tastenanschlag wieder spurlos verschwinden lassen kann. Er kann neu schreiben, überschreiben, einfügen- ganz nach Laune und immer wieder, bis der Artikel fix- fertig „steht“. Dann - ein Tastendruck, und der Text verschwindet im Speicher des Redaktioncomputers, jederzeit wieder auffindbar und verwendbar.

Die Arbeit des Redigierens wird also mit Hilfe des Bildschirms dürchgeführt. Die Vorteile für den Redakteur: Er hat einen immer sauberen Text vor sich, soviel er auch, korrigiert, er sieht außerdem den Text so, wie er auch später in der Zeitung erscheint. Ihm ist damit die durchgehende Kontrollmöglichkeit gegeben. Nach ihm kann kein Korrektor, keine defekte Setzmaschine oder sonstwer noch Fehler in den Text bringen. Ein weiterer Vorteil ist die größere Aktualität. Der Text kann bis zur letzten Minute jederzeit aktualisiert werden.

Bei der Diskussion über die Einführung neuer Technologien stehen die Redaktion und die Satzherstellung im Vordergrund. Es ist aber nicht zu vergessen, daß die Anzeigen eine Haupteinnahmequelle der Zeitungen sind.

Und gerade auf dem Gebiet der Anzeigenannahme ist die Arbeit am Bildschirm besonders sinnvoll. Mitarbeiter, die bislang am Telephon die Anzeigen entgegengenommen haben, werden in Zukunft nicht mehr an der Schreibmaschine, sondern ah einem Bildschirm arbeiten. Alles, was in das Gerät eingegeben wird, erscheint auf dem Bildschirm und kann dort solange modifiziert werden, bis es den Vorstellungen, des Kunden am-ande- ren Ende des Telephons entspricht. Durch entsprechende Programmierung kann dann gleichzeitig abgelesen werden, was die durchgegebene Kleinanzeige kosten wird. Das Sortieren der Anzeigen nach Rubriken, Er- scheinungsdateq und dergleichen ist technisch überhaupt kein Problem.

Seit dem Frühjahr dieses Jahres stehen die beiden Arbeitgeberverbände, der Verband österreichischer Zeitungsherausgeber und Zeitungsverleger und der Hauptverband des graphischen Gewerbes einerseits, und die Gewerkschaften der Journalisten, der Drucker und kaufmännischen Angestellten andererseits in Verhandlungen, um die vorstehend skizzierten sozialen Probleme einer Lösung zuzuführen.

Hiebei haben sich die Arbeitgebervertreter zur sozialen Verantwortung bekannt und dargelegt, daß sie eine möglichst weitgehende Weiterbeschäftigung der von der neuen Technologie betroffenen Mitarbeiter anstreben. Dieses Ziel soll durch eine Reihe verschiedener Maßnahmen erreicht werden, wozu unter anderem gehören:

• Vorrangige Weiterbeschäftigung der betroffenen Mitarbeiter auf geeigneten neuen Arbeitsplätzen • Vorrangige Besetzung anderer Arbeitsplätze im Unternehmen durch interne Bewerber

• Erforderliche Einarbeitungen und Umschulungen in begrenzter Dauer unter voller Lohnfortzahlung

• Förderung des Wechsels zu freien Arbeitsplätzen in anderen Betrieben durch Mobilitätshilfen • Sicherung und Klarstellung, daß die journalistische Arbeit und Kreativität sowie die presserechtliche Verantwortung der Redaktionen nicht beeinträchtigt wird.

Diese Maßnahmen Sollen mit den Menschen und nicht gegen sie realisiert werden, was bedeutet, daß die Mitarbeiter und ihre betrieblichen Vertretungen in die Planungsarbeiten weitestgehend einbezogen werden. Je mehr die Betroffenen Zugang zu den neuen Technologien finden, um so mehr schwinden Vorbehalte und wächst das Bewußtsein, daß auch in diesem Fall die technischen Hilfsmittel dem Menschen dienen und nicht umgekehrt, der Mensch der Technik unterworfen wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung