6935444-1983_08_05.jpg
Digital In Arbeit

Der Menschheit ganzer Jammer

Werbung
Werbung
Werbung

Die Reaktionen waren etwas gemischt, nachdem sich Kurt Herndl Vertretern der Presse, der nichtstaatlicheri Organisationen und schließlich der Menschenrechtskommission anläßlich ihrer 39. ordentlichen Tagung in Genf als neuer Leiter der zum Menschenrechtszentrum aufgewerteten Menschenrechtsabteilung der UNO vorgestellt hatte. Eine Aufwertung, die für ihn zugleich eine Rangerhöhung zum „Assistant Secretary-General" (Beistand des Generalsekretärs) bedeutete.

Tatsächlich hatte sich der österreichische Völkerrechtler seit seiner Ernennung fünf Monate Zeit gelassen, ehe er seine erste Pressekonferenz abhielt - hauptsäch-

lich darum, weil er sich, wie er erklärte, zunächst mit seiner Aufgabe voll vertraut machen wollte.

Herndl gilt als ausgezeichneter Fachmann in Menschenrechtsfragen. Aber er ist vorsichtig, wohl von Natur aus. Und er hat auch allen Grund es zu sein:

Sein Vorgänger, der Niederländer Theo van Boven, hatte sich — zur Freude vieler Menschenrechtskämpfer, zum Ärger der Menschenrechtsverletzer — sehr stark exponiert und war politischem Intrigenspiel zum Opfer gefallen und vorzeitig ausgeschieden. Ahnliches ist von Herndl kaum zu erwarten. Daher wohl auch die Enttäuschung eines Teils der Presse.

Bei Herndl ist alles genau belegt, zu jeder Stellungnahme zi-

tiert er ausführlich Charta, Konventionen, Resolutionen und Erklärungen des Generalsekretärs der UNO.

Der Österreicher redet dem schrittweisen, diskreten Vorgehen das Wort. Die praktischen Vorschläge, die er zu machen hat, sind denn auch alles andere als spektakulär, wohl aber realistischer als große Phrasen. Er befürwortet die Einsetzung regionaler Vertreter, die gegebenenfalls auch mit oder durch bereits bestehende UN-Stellen wirken, die die Ideen der Menschenrechte an die Menschen, sozusagen an die Wurzel herantragen sollten.

Mit diesem Realismus kontrastiert — tragisch oder grotesk — ein großer Teil dessen, was der Kommission zur Behandlung vorliegt. Da gibt es den Bericht einer Arbeitsgruppe Sachverständiger, die eine „Deklaration über das Recht auf Entwicklung" vorbereiten soll — seit rund vier Jahren; ein Recht, das sich aus der Charta der Vereinten Nationen, der Menschenrechtsdeklaration und Dutzenden anderer, ähnlicher Konventionen und Resolutionen eigentlich von selbst ableitet.

Trotzdem sollen all die Grundforderungen von Gleichheit und Gerechtigkeit, Freiheit und Friede, Selbstbestimmung etc. nicht bloß wiederholt, sondern überdies allerlei Sonderaspekte dieser Rechte, Sonderformulierungen hineinredigiert werden.

Da gibt es etwa ein Dokument, das Mitteilungen von Mitgliedstaaten darüber enthält, was sie zur Verwirklichung einer Resolution der Menschenrechtskommission vom Vorjahr getan haben, welche besagt, daß der „Einsatz von Söldnern gegen nationale Befreiungsbewegungen und’ gegen souveräne Staaten ein Verbrechen, und die Söldner selbst Verbrecher sind". Ausgerechnet Kuba „begrüßt" darin die Bemühungen zur Schaffung einer „Internationalen Konvention" gegen „Söldneraktivitäten als Werkzeug imperialistischer Aggression" und meldet, daß es darauf 10 bis 20 Jahre Freiheitsentzug oder Todesstrafe gesetzt habe.

Übrigens: auch die Todesstrafe steht auf der Traktandenliste der gegenwärtigen Sitzung der Menschenrechtskommission, insbesondere Hinrichtungen im Schnellverfahren..

Kompensation für Schäden und Ausbeutung, verursacht durch Kolonialismus und Neokolonialismus, wird gefordert, sowie die Rückstellung geraubten Kulturguts; ebenso die Umwandlung von Wohltätigkeit in einen Rechtsanspruch und von Hilfe in eine Verpflichtung. Da ist die Rede von Analphabetentum, Hunger, Krankheit, Rechten für Gastarbeiter, Arbeitslosigkeit und selbstverständlich auch Palästina, Polen, Chile, El Salvador und, und, und: Der tragische Katalog, der Menschheit ganzer Jammer …

Besonders tragisch ist, daß in dem Bemühen, dies alles in feierlichen Deklarationen niederzulegen, vielfach der naive Glaube an eine Magie des Wortes steckt, das allein schon die Welt verbessern wird, ohne zugleich auch denjenigen, der die Forderungen erhebt, selbst zu verpflichten.

In dem 17 Seiten umfassenden Dokument der Arbeitsgruppe, die den Entwurf zu einer „Erklärung über das Recht auf Entwicklung" vorbereiten soll, gibt es - von einem einzigen, fünf Zeilen langen Paragraphen abgesehen — keinen einzigen, der nicht zum Teil wenigstens eingeklartimert wäre. „Was anzeigt, daß diese Formulierung nicht diskutiert oder keine Ubereinstimmung erzielt worden ist" - nach rund vier Jahren Tätigkeit.

Kurt Herndl meint, Priorität sollte der weltweiten Ratifizierung der schon beschlossenen Konventionen über Menschenrechte und gegen Rassendiskriminierung gegeben werden und deren bestmöglichen Einsatz. Bescheiden, aber realistisch …

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung