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Digital In Arbeit

Der Moloch und der Dichter

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I.

Am Klischeebild vom armen Poeten im Dachstübchen, der gegen den durch die schlecht isolierten Fenster pfeifenden Wind, die fällige Miete, die unausgewogene Kost und dergleichen anschreibt, meist spät nachts und knapp vor Redaktionsschluß erst beginnend, ist bedauerlicherweise etwas Wahres: Nur wer die Faust im Nacken spürt, schreibt.

Die Faust im Nacken muß nicht unbedingt wie in Faust II in Gestalt von Not, Sorge, Schuld und Mangel auftreten (obwohl auch das vorkommt), es genügt, wenn sie in Form eines sogenannten produktiven Stresses unüberhörbar flüstert: „So ein unaufhaltsam Rollen, schmerzlich Lassen, widrig Sollen, bald Befreien, bald Erdrücken, halber Schlaf und schlecht Erquicken heftet ihn an seine Stelle und bereitet ihn zur Hölle.“

Mit anderen Worten: Ich kenne, mich eingeschlossen, keinen, der als freier Schriftsteller sein Brot verdient und nicht effektvoll zu stöhnen weiß.

Worüber eigentlich? Daß er sich’s selber so schwer macht und von einem aufs andere Mal nichts dazu- lemt? Korrespondierend zu diesem Stöhnen, von dem ein gewisser Prozentsatz sogar zugegebenermaßen lustvoll sein mag, kennt der geplagte Autor den Lieblingswunschtraum von einem Mäzen, der ihm ermöglicht, unabhängig von der alltäglichen Not das zu tun und das zu schreiben, was er .wirklich möchte.

Sich diesen radikalen poetischen Akt - noch dazu ohne Mäzen - zu leisten, schaffen nur wenige Auserwählte. Der gewöhnlich Schaffende teilt die Erfahrung, daß Arbeit auch einen Aspekt der Entfremdung hat, mit jedem anderweitig arbeitenden Menschen.

Merke: Der Autor, dem seine Arbeit auf die Nerven geht, ist nicht origineller als irgendwer sonst, dem seine Arbeit auf die Nerven geht. Wer schimpft, der kauft. Wer schimpft, der tut.

Wird er sich mit dem Beschimpften wirklich einlassen?

II.

Die Frage ist zweischneidig, bzw. zwiespältig. Sie spaltet sich in die Frage nach dem Erfolg und in die Frage nach der Käuflichkeit, und das Zweischneidige an ihr ist, daß sich die beiden Aspekte nicht immer sauber voneinander trennen lassen.

Wenn der Autor zu schreiben beginnt, ist er meistens noch sehr jung; aber auch dann, wenn er zu publizieren beginnt, ist er in der Regel noch ahnungslos genug, um nicht zu durchschauen, worauf er sich da eigentlich einläßt.

Erfolg erlebt der junge Autor zunächst dadurch, daß ihm freundliche Menschen sagen, daß sie das gut finden, was er da geschrieben hat. Je unverwandter, unverschwisterter und unverschwägerter die betreffenden Menschen mit dem Autor sind, um so bestätigter fühlt er sich und um so eifriger macht er weiter. Vermehrt sich die Zustimmung und mündet sie schließlich in die erste Veröffentlichung, wo der Autor dann seine Anerkennung gewissermaßen objektiviert vor sich und in den Händen zu halten glaubt - „Dies kleine Gedicht gab er dem jungen Marquard, durch welchen es in die Hände des Pastor Marquard und des Direktors kam, die ihren Beifall darüber bezeigten, so daß Reiser beinahe angefangen hätte, sich für einen Dichter zu halten“, heißt es im „Anton Reiser“ des Karl Philipp Moritz von 1785 dann kann immer noch einige Zeit alles gutgehen, bis der Autor von der Öffentlichkeit, von der er geliebt werden möchte, zum ersten Mal kalt geduscht wird.

Je älter der junge Autor inzwischen geworden ist, um so mehr hat er anderweitig gelernt, aus welcher Art von Zustimmung Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl aufzubauen sind und aus welcher Art von Zustimmung nicht, und ist dann für das anhebende Wechselbad mehr gewappnet oder weniger gewappnet.

Merke trotzdem: Die Öffentlichkeit ist eine schlechte Therapeutin. Wer schreibt, schreibe nicht, weil er persönlich Anerkennung braucht. Die kriegt er anderswo besser.

Wozu aber schreiben die Schreibenden sonst?

III.

Niemand hätte etwas dagegen, wären die beiden (grundsätzlich nicht unvereinbaren) Größen Broterwerb und Berufung etwas weniger unerquicklich miteinander verquickt, so daß man immer schön aufschlüsseln könnte, was wohin gehört. Aber im Normalfall weiß der Autor selber nicht zu sagen, warum er eigentlich schreibt - und verschleiert dieses Unwissen denen gegenüber, die ihn (neugierig oder teilnahmsvoll) fragen, indem er originelle Antworten gibt.

Originelle Antworten deuten darauf hin, daß die Frage im Grunde nicht beantwortbar ist. Peter Bichsel, dem ich diese Einsicht verdanke, hat so geantwortet: „Ich schreibe, weil ich ein schlechter Fußballspieler bin“, und dies als Kompensationsleistung begründet: die Klassenkollegen, die den Mädchen imponierten, weil sie so gut Fußballspielen konnten, wurden vom Schüler Bichsel, der ein Antikicker war, durch das Gedichteschreiben ausgetrickst, was die nicht so gut konnten.

Meine eigene originelle Antwort auf die Frage, warum ich schreibe, lautet: Weil ich nicht glauben kann, daß mir der Moloch aus der Hand frißt.

„Ach wissen Sie, Herr Dimbeck: Verlage sind gefräßige Ungeheuer, die ununterbrochen mit Manuskripten gefüttert werden müssen!“ Diesen Satz, der sich mir in vollem Wortlaut eingeprägt hat, habe ich sehr früh gesagt bekommen. Und es-war weise von dem, der ihn mir sagte, ihn mir gerade damals zu sagen, nachdem ich qualvolle drei Wochen lang ein 10-Seiten-Manuskript endlich zustandegemurkst hatte. Natürlich war ich schockiert: das, woran Herzblut, durchwachte Nächte und Kannen Kaffees klebten, sollte gar nicht wichtig sein (für die Weltgeschichte u. dgl.), sondern bloß ein Tropfen öl ins Getriebe des Literaturbetriebs, ein Opfer für den Moloch? Inzwischen habe ich die Weisheit dieser Relativitätstheorie oftmals in der Praxis erlebt, und nun gebe ich vor, deswegen zu schreiben, um herauszubekommen, ob der Moloch mir wirklich alles gnadenlos aus der Hand frißt oder ob er nicht wenigstens bei einem einzigen Manuskript zögert und sagt: Darum wäre es schade, das fresse ich nicht!

Merke: Trau keinem Autor, der dir sagt, ihm ist es wurscht, ob du ihn liest. Wär’ es ihm wurscht, wozu würde er sich hinsetzen und es seinen Lesern mitteilen?

(Der Autor ist gebürtiger Burgenländer und lebt als freier Schriftsteller in Wien)

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