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Der Name ist ein Programm

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Der neue Papst heißt Johannes Paul I. Mit Albino Luciani ist zum dritten Mal in diesem Jahrhundert ein Patriarch von Venedig zum Nachfolger Petri und Stellvertreter Christi auf Erden gewählt worden. Mit Pius X. und Johannes XXIII. verbindet den neuen Papst nicht nur die Liebe zur Lagunenstadt und ihren Menschen, sondern mehr noch die tiefe Verankerung in der Seelsorge, die Frömmigkeit, die unerschütterliche Treue zur Kirche und zum Evangelium, die Einfachheit, die Aufgeschlossenheit den Mitmenschen gegenüber.

Als er am Sonntag zum erstenmal von der Benediktionsloggia auf dem Petersplatz den Zehntausenden von Gläubigen den Segen erteilte, war ihm anzusehen, daß er - wie er selbst sagte - drei Tage vorher noch nicht echt an die Möglichkeit gedacht habe. Als man ihn aber dann fragte, welchen Namen er annehmen wollte, da habe er sich an seine zwei Vorgänger erinnert, denen er in Verehrung verbunden war: an Johannes XXIII., seinen doppelten Vorgänger in Venedig wie im Vatikan, und an Paul VI., der ihm zum Patriarchen von Venedig und zum Kardinal gemacht hatte. Zwei ganz verschiedene Auffassungen vom Petrusamt. Eine doppelte Erbschaft, die der Nachfolger auf sich genommen hat. Wird er sie bewältigen können?

Wie bei Pius X. und Johannes XXIII. scheinen sich - darauf deutet auch die Kürze des Konklaves - die Kardinale weitgehend einig gewesen zu sein, daß es diesmal eines Seelsorgers bedarf, eines Mannes, der die schier unlösbaren Probleme der Kirche vor allem aus der Tiefe des Glaubens, vertrauend auf das Evangelium und den Heiligen Geist, anzugehen imstande wäre, unbekümmert um die Regeln der Diplomatie, die nationalen Bedenken der (Kirchen)-Politik, mehr aus gesundem Menschenverstand, aus einem tiefen Vertrauen auf Gott handelnd, als aus gezielter Berechnung.

Dies scheint mit Albino Luciani erreicht zu sein. Der Mann, den die Zeitungen schon des Sonntags wegen seiner Einfachheit überschwenglich feierten, der auch als Bischof „mit Nagelschuhen“ den Landpfarrer der auslaufenden Dolomitentäler markierte und heute noch dort als „Don Albino“ bekannt ist, ist vor knapp 66 Jahren am 12. Oktober 1912 in Canale d’Agordo in der Provinz Belluno geboren. Der Vater, „pfaffenfressender“ sozialistischer Maurer, hatte sich nach vergeblichen Bemühungen, in der Schweiz Arbeit zu finden, dort niedergelassen. Wie so viele frühere große Kirchenmänner scheint auch der kleine Albino von einem aufmerksamen Dorfpfarrer entdeckt und ins Knabenseminar vermittelt worden zu sein.

Jedenfalls führte ihn sein Weg zunächst genau dorthin, wo normaler- weise die Landpfarrer herauskommen - durch die Seminare von Feltre und Belluno bis zur Priesterweihe des 23jährigen und zu Kaplansdiensten in Bergnestern seiner Diözese, bis zum Religionsunterricht in Fachschulen.

Die erste Weichenstellung in höhere Aufgaben bedeutete dann die Abkommandierung nach Rom zum Studium an die Gregoriana, wo der junge Luciani 1935 mit einer Dissertation über Rosmini sein Doktorat der Theologie erwarb. Darauf folgten (1937 bis 1948) elf Jahre Lehrtätigkeit als Vizedirektor an jenem Seminar in Belluno, das er selbst erst wenige Jahre vorher frequentiert hatte. Nun unterrichtete er selbst den Nachwuchs in Dogmatik, Moral, Kirchenrecht und kirchlicher Kunst. 1948 wurde er stellvertretender Generalvikar der Diözese Belluno und Verantwortlicher für das Seelsorgeamt, 1954 Generalvikar, dann kam am 15. Dezember 1958 der Ruf zum Bischof von Vittorio Veneto und am 27. Dezember die Bischofsweihe durch Johannes XXIII.

Wieder war es ein 15. Dezember, als ihn 1969 Papst Paul VI. zum Patriarchen von Venedig und Nachfolger des verstorbenen Kardinals Urbani ernannte. Die damit zu erwartende Kardinalwürde kündigte ihm der Papst selbst vor 20.000 Menschen in Venedig an, als er ihm während eines Besuches die eigene Stola umlegte.

In diesen neun Jahren stellte der Patriarch seine traditionsreiche, aber total verarmte Diözese auf eine völlig neue Basis. Er verzichtete bei den Visitationen auf die traditionellen Fahrten über das Wasser, kam vielmehr im Auto, sprach mit den Menschen, ließ sich von seinen Gondolieri feiern. Als für die behinderten Kinder seiner Diözese kein Geld vorhanden war, verkaufte er zwei Brustkreuze im Wert von 14 Millionen Lire, Geschenke der beiden Päpste Johannes und Paul. „Es ist nur wenig“, meinte er, „aber die wahren Schätze der Kirche sind die Armen, die Enterbten, die Kleinen“.

Johannes und Paul - „Fortschritt“ und „Bewahrung“ in einem vereinigt? Die Traditionalisten, denen das Konzil ein Dorn im Auge ist, die die dort festgelegten Reformen am liebsten rückgängig machen wollten - sie setzten einst ihre Hoffnungen auf einen Papst Luciani. Aber er ließ keinen Zweifel daran, daß er mit ganzem Herzen vertrete, was er im Konzil mitbeschlossen hatte

Aber er hatte auch den anderen Halt geboten, die glaubten, der Aufbruch des Konzils bedeute gleich ein Ubergehen aller bisher geltenden Regeln. So war er einer der ersten gewesen, die Pauls VI. Enzyklika „Humanae Vitae" verteidigten und als bindend erklär-, ten, obwohl er zuvor Bedenken geltend gemacht hatte.

Die doppelte Botschaft scheint zu lauten: Fortsetzung der Entwicklungen, die unter Johannes XXIII. begonnen haben, aber unter Bedachtnahme darauf, daß nicht durch Übereifer Fehlleistungen entstehen. „Ein Papst, der keine Änderungen unklug ange- hen wird“, schrieb .„II Tempo“ in einem ersten Kommentar.

Diese Erbschaft schließt auch die Entwicklung der Weltkirche ein, das Verhältnis zwischen der Zentrale und den „örtlichen Kirchen“, das Verhältnis zwischen der notwendigen Eigenständigkeit der Kirchen in nichteuropäischen Kulturen und der ebenso notwendigen Einheit der Einen Kirche. Zu dieser Erbschaft gehören ebenso Ostpolitik, und ökumenismus.

Alle diese Punkte zählte er auf, als er sein Programm am Sonntag in der Six- tina den stimmberechtigten Kardinalen vorlegte. Dazu die Ausbreitung des Evangeliums und vor allem den Schutz und die Festigung des Friedens in der Welt. Er schloß mit einem Gruß an die Jungen, die Hoffnung auf ein besseres Morgen, an die Familien, das häusliche Heiligtum der Kirche, an die Kranken, die Verfolgten, die Opfer der Bürgerkriege.

Hieß es nicht immer, der neue Papst müßte „Welterfahrung“ besitzen, er sollte aus der Kurie kommen, Praxis in der päpstlichen Diplomatie gewonnen haben, zumindest in längeren Auslandsreisen? Don Albino dürfte bisher nicht viel aus Italien hinausgekommen sein - in diesem Punkt auch ein echter Nachfolger Pius X. -, aber sein strahlendes Gottvertrauen wird ihm mehr helfen als alle diplomatischen Erfahrungen. Dafür dürfte es ihm als Außenstehendem leichter fallen, auch in der Kurie die nötigen Reformen anzusetzen, als wenn er ihr entstammte.

Albino Luciani hat nicht nur die Namen seiner beiden Vorgänger für sich als Programm vereinigt. Er wählt auch die Nummer „I.“ - als erster Papst seit dem frühen Mittelalter. Auch das ist ein Programm.

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