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Der nationalistische Afrikander denkt nach eigenen Maßstäben

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Als 1948 die Afrikander (Buren) in Südafrika an die Macht kamen, führten sie die Politik der Rassentrennung ein, um ihre Kultur zu bewahren. Wird die Apartheid das Afrikandertum aber nicht zerstören?

Der Sturz Caetanos in Portugal am 25. April 1974 hallte in ganz Afrika wider, am lautesten im Süden. Für die Weißen Südafrikas war es der erste Hinweis auf das Ende ihrer jahrhundertelangen Vorherrschaft. So kündigte denn im November 1974 Pik Botha, der damalige südafrikanische Botschafter bei den Vereinten Nationen, an, daß seine Regierung nun die Rassendiskriminierung abzubauen beginne. Einen Monat später forderte Premierminister Vorster die Welt auf, Südafrika eine Frist von sechs bis zwölf Monaten zu geben; sie werde überrascht sein, wo sein Land dann stehen werde.

Diese Ankündigungen klangen vielversprechend und erfüllten viele mit Hoffnung. Waren sich der Premierminister und sein Botschafter aber der Bedeutung ihrer Versprechungen voll bewußt? Wie beseitigt man die Rassendiskriminierung, wenn man seit 29 Jahren eine neue Ordnung errichtet hat, die auf ihr beruht? Der nationalistische Afrikander glaubt, nicht zu diskriminieren, sondern lediglich zu differenzieren, aber niemand versteht das, außer ihm selbst. Wie aber gibt man Diskriminierung auf und behält dennoch Differenzierung bei?

Der nationalistische Afrikander ist jedoch kein Mensch des Entweder- Oder. E r ist ein calvinischer Christ, der entschlossen ist, Nationalist zu blei ben. Er hat eine Kultur geschaffen, die er christlichen Nationalismus nennt. Es ist eine Kultur, die Erziehung, Literatur, Kunst, Moral, Religion, Gesetzgebung, sexuelles Verhalten und selbst das Denken mit ihren eigenen Maßstäben mißt.

Die Vernunft ist in dieser Kultur nicht frei. Man darf nur vernünftig denken, wenn man innerhalb der Inte rnationalität dieser Kultur vernünftig denkt. Das Afrikandertum hat so kluge Leute hervorgebracht wie jede andere Kultur auch, aber die Klugen sind es nur in den Grenzen der allgemeinen Irrationalität. Südafrikas Mathematiker, Physiker, Ingenieure und Ärzte können sich ohne weiteres mit jenen der übrigen Welt messen, aber die Philosophen, Psychologen, Soziologen und vor allem die politischen Theoretiker, die dem Afrikandertum entspringen, verkümmern an dessen irrationalen Axiomen.

Das oberste irrationale Axiom besagt, daß sich die verschiedenen Rassen mit ihren verschiedenen Sprachen getrennt entwickeln und gesetzlich sogar dazu gezwungen werden können, obwohl sie ein und dasselbe Stück Land bewohnen. Es ist das fundamentale Axiom der getrennten Entwicklung.

Warum ist der calvinisch-christliche Nationalismus im Grunde so irrational? Er ist es, weil der Glaube, daß die Rassenzugehörigkeit eines Menschen sein Leben entscheide, völlig unvereinbar ist mit dem christlichen Glauben, daß der wichtigste Besitz eines Menschen seine Menschlichkeit darstellt und daß seine Würde nicht von seiner Nation und Rasse, sondern von seinem Schöpfer ausgeht.

Warum versucht der Afrikander, beidem gerecht zu werdem? Damals, als er auf der einen Seite von den wilden Kriegern der Xhosas und der Zulus, auf der anderen von den empiregierigen Engländern bedroht wurde, baute er mehr auf die irdische Sicherheit, ein Sohn Afrikas zu sein, nicht nur ein Sohn Gottes. Niemand hielt sich jemals fester an das Motto: Glaube an Gott, aber halte dein Pulver trok- ken.

Die Zeiten, in denen er das Gewehr gebrauchte, sind für ihn vorbei. Er wagt es nicht mehr, zu schießen; denn wenn er es wieder täte - von beschränkten Polizeiaktionen abgesehen -, würde der Zorn der Welt, einschließlich der westlichen, dem Afrikandertum ein Ende machen. Mehr und mehr Afrikander wissen das. So erfolgte der Polizeieinsatz bei den letzten Unruhen eher zurückhaltend.

Wenn also nicht mit dem Gewehr, wie wehrt man sich dann? Hier sind die nationalistischen Afrikander gespalten. Ein Teil meint, daß die Unruhen von feindlichen Mächten - Kom munisten, Liberalen, Radikalen, Black Power - geschürt werden und daß man durch schärfere Gesetze ihrer Herr werden könne. Der andere Teil ist der Ansicht, daß die Gründe tiefer lägen, daß der Aufruhr der Ausdruck von Unmut und Frustration sei.

Es ist für einen eingefleischten Afrikander indessen psychologisch schwierig, einen Schritt weiter zu gehen und zu erkennen, daß der Unmut und die Frustration auf die Gesetze der Apartheid zurückzuführen sind, die Dr. Verwoerd, der Amtsvorgänger Vorsters,* nahezu in den Rang eines Evangeliums erhoben hat. Solche Gesetze anzuzweifeln, gilt demnach als eine Art von Ketzerei. Fanatische Nationalisten schlugen vor, daß das Infragestellen der getrennten Entwicklung zu einem Verbrechen erklärt werden sollte.

Das oberste politische Ziel der nationalistischen Partei ist es jetzt, ihre Einigkeit zu bewahren. Nur so kann sie sich in einer feindlichen Umwelt behaupten. Apartheid ernsthaft in Frage stellen, heißt, die Einigkeit der Afrikander bedrohen; deshalb stellt man Apartheid auch nicht ernstlich in Frage. Wie aber versucht das Afrikandertum die tödliche Gefahr, der es sich heute gegenübersieht, abzuwenden?

Die Antwort auf diese Frage scheint niemand zu kennen. Die Politiker der Afrikander haben so in den letzten 29 Jahren für ihr Volk und darüber hinaus für alle Weißen Südafrikas ein riesiges und tiefes Grab geschaufelt. Sie wissen, daß Reformen dringend geboten wären, aber sie haben vor Änderungen ebenso Angst wie vor deren Unterlassung. Ein schwarzer Priester soll einmal gesagt haben: „Wenn sie uns eines Tages zu lieben gedenken, werden sie feststellen, daß wir sie nur noch hassen können.”

Was mag wohl der Grund sein, daß Vorster bis jetzt so wenig zur Lösung der gefährlichen Krise getan hat, obwohl er der mächtigste Premierminister ist, den Südafrika je gehabt hat? Diese Frage stellt man sich nicht nur in Südafrika.

Es ist gefährlich, den Deckel eines brodelnden Kessels niederzuhalten; es ist aber auch gefährlich, ihn abzunehmen. Zuerst muß das Feuer darunter abgeschwächt werden. Das bedeutet, daß die Innenpolitik geändert werden muß, wenn Interventionen von außen und Unruhen im Inneren vermieden werden wollen.

Die Hauptverantwortung für die Zukunft aller Bürger Südafrikas tragen der Premierminister und seine Regierung. Werden sie politisch und psychisch imstande sein, die anstehenden Probleme zu lösen?

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