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Der Nazi-Terror im Ländle

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Der Widerstand und die Verfolgung in Vorarlberg von 1933 bis 1945 stehen im Mittelpunkt eines Buches, das dieser Tage in Bregenz erschien. Die darin präsentierten Ergebnisse gehen über das Ausmaß des bisher Bekannten weit hinaus.

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Der Widerstand und die Verfolgung in Vorarlberg von 1933 bis 1945 stehen im Mittelpunkt eines Buches, das dieser Tage in Bregenz erschien. Die darin präsentierten Ergebnisse gehen über das Ausmaß des bisher Bekannten weit hinaus.

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Die Autoren des Sammelbandes, Hermann Brändle, Gernot Egger, Kurt Greußing, Meinrad Pichler und Harald Walser, alle Historiker beziehungsweise Politologen, versuchen in mehreren Beiträgen die bisher nur unzureichend bearbeitete Zeit von 1933-1945 in Vorarlberg genauer zu durchleuchten, auch unter dem Gesichtspunkt der kritischen Uberprüfung der vielerorts vertretenen Meinung, in Vorarlberg habe der Nationalsozialismus weniger Auswirkungen gezeitigt als in anderen Gebieten des „Deutschen Reiches”.

Die Einbeziehung der Zeit von 1933—1938 als Austrofaschismus — als politischer Begriff schon innerhalb der Heimwehr gebräuchlich, im vorliegenden Buch im sozialwissenschaftlichen Sinne verwendet - wird nicht ohne Widerspruch bleiben.

Das funktionelle Ende der Ersten Republik bildete gleichzeitig den Anfang der politischen Verfolgung, vor allem der „illegalen” Arbeiterbewegung. Darin sehen die Autoren einen gewissen Zusammenhang mit dem deutschen Faschismus.

Die Begriffstrias „Widerstand-Widersetzlichkeit — Verfolgung” kann als Ausgangspunkt der Untersuchung angesehen werden: Widerstand als bewußte Handlung gegen das faschistische System, Widersetzlichkeit als Handlung gegen typische Normen des Nationalsozialismus oder gegen systembedingten politischen, ökonomischen und sozialen Druck.

Eine genaue Grenzziehung zwischen den Begriffen kann nur schwerlich gelingen, vor allem deshalb, weil in den wenigsten Fällen von Widerstand das Motiv eindeutig feststellbar ist. Andererseits wird ein zu weit gefaßter Widerstandsbegriff, der jegliches Handeln, „das im faschistischen System störend wirkt”, miteinbezieht, denjenigen Menschen nicht gerecht, die sich ganz bewußt dem totalitären Regime widersetzten oder sich diesem entzogen. Dann könnten nämlich nur allzuleicht ganz persönlich motivierte Handlungen gegenüber einem Nationalsozialisten, die gegen die Person — nicht gegen den Vertreter eines Regimes — gerichtet sind, dem Widerstand zugerechnet werden.

Widerstand und Verfolgung werden in den verschiedensten Formen der Quellenlage entsprechend — das Vorarlberger Lan-desarchiy als eine der wichtigsten Quellen unterliegt für den größten Teü des bearbeiteten Zeitraumes der Archivsperre—dokumentiert und besprochen. Trotzdem warten die Autoren mit überwiegend neuen Ergebnissen auf.

Dabei geht das Ausmaß über das bisher Bekannte weit hinaus. So wurden in Vorarlberg mindestens 115 Personen in Konzentrationslager eingewiesen, von denen 36 den Tod fanden. Insgesamt mindestens 80 Vorarlberger und Vorarlbergerinnen kamen aus politischen Gründen ums Leben oder entzogen sich durch Freitod einer weiteren Verfolgung. Mehr als 300 Menschen fielen der „Euthanasie” zum Opfer.

Dazu kommen die in die Hunderte gehenden Verhaftungen von Fremdarbeitern und Fremdarbeiterinnen und deren Einlieferung in sogenannte „Arbeits- und Konzentrationslager”. Gerade die Fremd- und Zwangsarbeiter (die Grenze zwischen beiden ist fließend) waren in verschiedenen Vorarlberger Musterbetrieben nicht unwesentlich an deren wirtschaftlichem Aufschwung beteiligt. Am Höhepunkt ihres Einsatzes im März 1945 stellten sie ein Viertel aller Vorarlberger Arbeiter.

Da in der bisherigen Landesgeschichtsschreibung über die NS-Zeit hauptsächlich Widerständler und Verfolgte, die dem christlichsozialen Lager zuzurechnen sind, aufscheinen, legen die Autoren ein Hauptaugenmerk auf den Widerstand von Angehörigen anderer Lager (Sozialdemokraten, Kommunisten etc.), ebenso auf das Schicksal der „einfachen Leute”, die bisher weitgehend unerwähnt blieben, wie Fremdarbeiter und Kriegsgefangene, Juden, „Zigeuner”.

Die Bilanz der „nüchternen” Zahlen wird durch die Beschreibung einer ganzen Anzahl persönlicher Schicksale verdeutlicht, die die ganze Brutalität und Unmenschlichkeit, die Verfolgung, die oft in keinem Verhältnis zur „Tat” stand, noch augenscheinlicher: so im Falle der Anna Gut-tenberger, die unberechtigterweise Kleider des „Winterhilfswerkes” an sich nahm und dafür zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Ihrer noch minderjährigen Tochter sollte auf Grund ihrer „körperlichen Reife” ebenfalls der Prozeß gemacht werden.

Anhand anderer Beispiele läßt sich nachweisen, daß es oft die Menschlichkeit war, die Vorarlberger und Vorarlbergerinnen veranlaßte, Handlungen zu setzen, die mitunter harte Bestrafung mit sich brachten.

Josef Anton King, als Dolmetsch bei der Bregenzer Gestapo dienstverpflichtet, leistete gegenüber Ostarbeitern humanitäre Hilfe. Nachdem die Gestapo dahinter kam, folgte seine Verhaftung und nach mehreren Zwischenstationen schließlich die Einlieferung in das Konzentrationslager Mauthausen, wo er zusammen mit weiteren 300 bis 400 österreichischen Häftlingen erschossen wurde.

Die Bewertung des Widerstandes im bäuerlichen Milieu, die aufgrund verschiedener Umstände im vorliegenden Band zu kurz kommt, setzt sozialgeschichtliche Untersuchungen im ländlichen Bereich voraus, die derzeit noch fehlen. Denn gerade dort dürfte das soziale Umfeld für die Beurteilung besonders wichtig sein, hat doch der Nationalsozialismus mehrfach eine Umkehr der zumeist „konservativen Gesellschaftsordnung” gebracht.

Ein biographisches Lexikon, das annähernd 1000 Namen von Verfolgten enthält, erleichtert einerseits dem interessierten Leser den Einstieg in die Lektüre und bildet gleichzeitig einen soliden Grundstock für weitere Forschungsarbeiten.

Wenngleich die Autoren keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, darf das Buch als wichtiger Bestandteil in der Aufarbeitung der Vorarlberger Zeitgeschichte bezeichnet werden. Die Art der Herausgabe, nicht als reine Dokumentensammlung, sondern als leserliche Darstellung, ohne Verlust an wissenschaftlicher Seriosität, vermag auch Nicht-Fachleute zu interessieren.

Die Bearbeitung des „vergessenen und verdrängten” Kapitels trägt auch dazu bei, „daß den antifaschistischen Kämpfern und Opfern des NS-Regimes wenigstens im Gedenken Gerechtigkeit widerfährt”, wie es sich der Bregenzer Hermann Sinz in seinem Abschiedsbrief erhofft hatte.

Der Autor ist stellvertretender Leiter der Vorarlberger Landesbibliothek.

VON HERREN UND MENSCHEN. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg 1933-1945. Hrsg. von der Johann-August-Malin-Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs, Band 5. Fink's Verlag, Bregenz 1985. 411 Seiten, viele Abb., Pbck.. öS 285.-.

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