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DER NEUE FEIND ISLAM

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Nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums ist sogleich die Frage gestellt worden, ob es einen Nachfolger für den Feind des Westens und der Freien Welt gebe, und wenn, wo man diesen Nachfolger zu suchen habe. Einer der meist genannten Kandidaten für diese Rolle ist die Welt des Islam.

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Nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums ist sogleich die Frage gestellt worden, ob es einen Nachfolger für den Feind des Westens und der Freien Welt gebe, und wenn, wo man diesen Nachfolger zu suchen habe. Einer der meist genannten Kandidaten für diese Rolle ist die Welt des Islam.

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Im gleichen Atemzug wurde oft gesagt, daß es sich dabei um eine Hypothese handele, die sich wohl kaum belegen lasse. Bisweilen wurde der Islam nur indirekt genannt, insofern als manche Analytiker sich darauf beschränkten zu sagen, der Islam sei es nicht, womit sie verrieten, daß immerhin der Islam ihnen als erster in den Sinn kam, oder sie sich zumindest bewußt waren, daß andere an erster Stelle den Islam nennen würden.

Eigentlich sollte es sich erübrigen, auf die friedensfördernden Elemente in der islamischen Lehre zu verweisen, doch zeigt sich immer wieder, wie sehr diese in der westlichen Welt unterschätzt werden. Dabei ist es gerade diese Unterschätzung der positiven Werte im Islam, die die Moslems so gegen den Westen aufbringt. Im abendländischen Kulturbereich herrscht ein Image vom Islam vor, aus dem Militanz nicht wegzudenken ist. Doch umgekehrt ist es nicht anders. Das moslemische Bild vom Abendland ließe sich umschreiben als: „Christen sind Bellizisten".

Moslems werden nicht müde darauf hinzuweisen, daß Islam und Sa-lam (Friede) Synonyme seien. Die Hauptstadt von Tansania heißt Dares-salam („Haus des Friedens"), ein Name, der von den Moslems vielen Orten in der Welt gegeben wurde, und der auf ein Ideal hinweist, das durch die islamische Lehre gegeben ist: die Priorität des Friedens. Dafür ließen sich zahllose Beispiele anführen, tiefschürfende und vordergründige, auf jeden Fall eine Fülle von Friedensverweisen, die, wenn man sie kennt, in ihrer Gesamtheit eindrucksvoll, wenn nicht gar überwältigend sind. Daraus ergibt sich ein Bild von der Lehre, das sich vom herkömmlichen/landläufigen Islam-Image kraß unterscheidet.

Ob zu Recht oder Unrecht, Moslems sehen sich selbst als diejenigen, die für Frieden eintreten, und die anderen als diejenigen, die sich der Herstellung des Friedens widersetzen. Beschränkt man sich auf die groben Züge, dann muß man konstatieren, daß vom Islam, zumindest von der Lehre her, starke Friedensimpulse ausgehen. Der Historiker stellt fest, daß es neben der militanten Tradition auch stets eine pazifistische Tradition gegeben hat, und daß bisweilen sogar die pazifistische Theorie sich gegen die militante Praxis behauptete, zum Beispiel als es im 16. Jahrhundert dem marokkanischen Sultan Al-Mansur nicht gelang, seinen Raubzug in die sagenumwobenen afrikanischen Goldreiche als Dschihad (Krieg zur Verteidigung des Glaubens) deklarieren zu lassen. Die obersten Religionsgelehrten traten entschieden gegen den Timbuktu-Feldzug auf, weil dieser sich islamisch nicht rechtfertigen ließ.

In seiner Anfangsphase in Mekka war der Prophet Mohammed 13 Jahre lang ein Verkünder der Gewaltlosig-keit. Während der anschließenden zehn Jahre in Medina nahm er allerhand pragmatische Abstriche an seinem erstweiligen Pazifismus vor. Nun beruft sich der Fundamentalismus beziehungsweise Islamismus auf jene letzten zehn Jahre als Orientierungsphase. Die Mystik dagegen, das Sufi-tum, betrachtet die ersten 13 Jahre als grundlegend und verzichtet auf die in Medina gemachten Abstriche, das heißt sie stellt die höheren ethischen Normen von Mekka über die weniger anspruchsvollen von Medina. Damit wird die in Medina erteilte Erlaubnis zum bewaffneten Kampf rückgängig gemacht und zurückgegriffen auf den Pazifismus von Mekka.

Diese Gedankengänge werden zwar nur von relativ wenigen so deutlich nachvollzogen oder systematisiert, doch existieren sie in der einen oder anderen Form und sind oft sogar tonangebend gewesen. Die pazifistische Tradition versteckte sich nicht immer in esoterischen Sufizirkeln und die bürgerkriegsähnliche Situation in vielen moslemischen Staaten dieser Tage hat unter anderem mit solchen traditionellen Gegensätzen zu tun. Konkret bedeutet das die Existenz einer breiten Strömung, die den Islam als friedensfördernd versteht, als eine Methodik zur Beendigung von bewaffneten Konflikten. Gandhi konnte sich mit seiner Lehre von der Gewalt-losigkeit auf die hervorragendsten islamischen Theologen seiner Zeit stützen, wie Maulana Abu 1-Kalam Azad. Die Tatsache, daß eine Mehrheit der indischen Moslems Gandhi dann doch ablehnte, hatte mit dessen widersprüchlicher Bindung an den Hindu-Fundamentalismus zu tun. Es beruhte nicht auf einer Ablehnung seiner Lehre von der Gewaltlosigkeit.

Im Sudan wurde 1985 der Befreiungstheologe Mahmud M. Taha, genannt „der afrikanische Gandhi", öffentlich hingerichtet. Er hatte auf öffentlichen Versammlungen ein sofortiges Einstellen der Kampfhandlungen im Südsudan und die Beilegung des Bürgerkriegs durch Aufnahme von Verhandlungen gefordert. Sein Gegenspieler, der Islamistenchef Hasan At-Turabi, gelangte 1989 durch einen Militärputsch an die Macht (nicht offiziell, doch als eminence grise). Seither ist Sudan, neben Iran, der zweite voll-islamische Staat, im Sinne des von den Islamisten angestrebten ideologischen Staates, der etwas völlig anderes ist als ein moslemischer Staat, also ein Staat der Moslems (wozu dann auch Atheisten oder Kommunisten moslemischer Herkunft zählen).

Doch das Regime des Hasan At-Turabi kann sich nur dank massiver Unterstützung aus Iran halten, dazu gehört speziell Waffenhilfe im Krieg gegen die nicht-moslemischen Schwarzafrikaner im Süden des Landes sowie Abschirmung durch die internationalen Sicherheitsorgane, die Teheran sich herangebildet hat. So ist Turabi selbst auf Auslandsreisen nicht von sudanesischen, sondern von iranischen Leibwächtern umgeben.

Die Mehrzahl der Sudanesen, und das bezieht sich auch auf die Bildungsschicht der moslemischen Nordsudanesen und deren arabisierte politische Elite, ist durch die Erfahrung mit dem militanten Islamismus erst recht in Abwehr zu diesem geraten. Die Führung des Nordens und des Südens ist sich dadurch näher gekommen. Eine solche Einigkeit zwischen den traditionell verfeindeten Landesteilen hat es zuvor nie gegeben, und dabei handelt es sich nicht nur um eine momentane Stimmung. Der Geist des Pazifisten Mahmud M. Taha hat sich gegenüber dem Terror des Hasan At-Turabi als stärker erwiesen. Doch der Held der Sudanesen in Nord und Süd heißt Mahmud Taha. Der hingerichtete Mystikermeister und Friedensapostel wird mit jedem Tag mehr zur entscheidenen Inspirationsquelle.

Auch Bosniens Präsident Izetbegovic" hat man einen Gandhi genannt, und zwar nicht nur bewundernd, sondern abfällig, mit Verachtung. Die einstigen kroatischen Verbündeten suchten ihn mit der Bezeichnung Gandhi lächerlich zu machen. Er habe die Aufrüstung Bosniens nicht rechtzeitig in Angriff genommen, keine Kriegsvorbereitungen getroffen.

Im bosnischen Fall brauchte es keinen Pazifisten, um die Sinnlosigkeit eines Waffengangs mit Serbien zu erkennen. Dennoch war es nicht nur Pragmatismus, der Izetbegovic auf einen Ausgleich mit Belgrad setzen ließ, statt sich zu einer Konfrontationspolitik hinreißen zu lassen. Der Krieg wurde den Bosniern dennoch aufgezwungen, als nämlich im April 1992 die Parteiführer der Groß-Ser-ben von ihrem Hauptquartier in Sarajewo aus das Feuer auf eine Friedensdemonstration eröffneten.

Dabei handelt es sich nicht nur um Äußerlichkeiten oder Zufälligkeiten. Die moslemische Gesellschaft Bosniens, deren Geschichte auch militante Phasen kennt, besitzt eine uralte pazifistische Tradition im Bogomi-lentum als Fortsatz des arianischen Christentums. Der Begründer der im bosnischen Königreich (bis 1463) vorherrschenden Sekte, der aus Bulgarien stammende Mönch Bogomil, lehrte einen strengen Pazifismus. Später wurde dann der Islam nicht als Bruch empfunden, im Gegenteil. Allerdings verband man sich weniger mit der osmanischen ,JReichskirche" (soweit man einen solchen Ausdruck auf den sunnitischen Islam bezogen überhaupt verwenden darf), sondern mit dem Sufitum und seinen pazifistischen Tendenzen.

Andererseits ist die unkriegerische Haltung der Moslems im heutigen Bosnien primär ein Ausdruck der Modernisierung, die ihre Gesellschaft durchgemacht hat. Ironischerweise war es gerade eine Folge der Hintansetzung der Bosnier durch die herrschenden Serben und Kroaten, die sie diese entwicklungsmäßig überholen ließ. Im ehemaligen Jugoslawien fand Europäisierung beziehungsweise „Verwestlichung" - im Sinne einer Verinnerlichung von Demokratie und Pluralismus - nicht nur in Ljubljana, sondern auch in Sarajewo statt. Belgrad und Zagreb gerieten ins Hintertreffen. Das soll im gegenwärtigen Zusammenhang weniger als Bemerkung zum Jugoslawien-Konflikt dienen, sondern zum Verweis auf die Möglichkeiten moslemischer Gesellschaften, sich gänzlich unterschiedlich voneinander zu entwickeln, sei es trotz Islam, oder gerade wegen des Islam. Sarajewo war ein Gegenmodell zu Teheran.

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