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Der „neue“ Jimmy Carter: hart, selbstbewußt und zäh

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In gewissen Phasen ihrer Amtstätigkeit ziehen US-Präsidenten eine Bilanz über ihre Leistungen und wie diese beim Wähler ankommen. Sie finden es dann mitunter angebracht, ihren Stil, ihre Taktik, ja sogar ihre Persönlichkeit zu ändern, was natürlich mit Schwierigkeiten verbunden ist. So gab es einen „neuen Nixon“, der nach der Wahlniederlage gegen Kennedy und dann gegen den Gouverneur von Kalifornien, Brown, als neuer Politiker-Typ aus der Versenkung stieg und auch gewählt wurde. Präsident Johnson versuchte ebenfalls kosmetische Eingriffe, als ihn der Sturm des Vietnamprotestes hinwegzufegen drohte. Nun glaubt auch Jimmy Carter, daß er durch Zulegung eines neuen „Image“ der sinkenden Popularitätskurve Einhalt gebieten kann.

Zumeist sind solche Eingriffe zum Scheitern verurteilt, weil das Bild eines Präsidenten nach über einjähriger Amtstätigkeit bereits so stark geprägt und profiliert ist, daß jegliche Manipulation mit Mißtrauen aufgenommen wird. Nixon war im Grund auch keine Ausnahme. Sein Wahlsieg gegen Mc Govern war nicht das Ergebnis eines neuen Bildes, vielmehr war er auf die Furcht vor der radikalen Reformpolitik .seines Gegners zurückzuführen.

Carters Profil ist in der öffentlichen Meinung bereits geprägt, obgleich er noch immer zahlreichen Intellektuellen als unergründliches Rätsel erscheint. Dem breiten Publikum ist er jedoch ein wohlmeinender, moralisierender, schwacher, oft konfuser Politiker, der den ihm gestellten Aufgaben häufig nicht gewachsen erscheint. Niemand zweifelt an seiner abstrakten Intelligenz, einem oft verblüffenden Gedächtnis und schneller Auffassungsgabe - viele vermissen jedoch den gesunden, praktischen Hausverstand, eine der wesentlichen Voraussetzungen zur Ausübung einer Führungsaufgabe.

Jimmy Carter hat also beschlossen, sein Gesicht zu verändern und der ge-

samte Stab des Weißen Hauses, das Kabinett und außenstehende Beobachter wurden in der Landresidenz Camp David vergattert, dabei mitzumachen. Das Ergebnis war ein „neuer Carter“: Ein harter, selbstbewußter Führer, der seine Ziele mit Zähigkeit verfolgt und für diese auch kämpft. Rückzieher sollen, wenn nur irgend möglich, vermieden werden. In dieses Bild paßt auch eine Straffung des Beamtenstabes im Weißen Haus und innerhalb der Administration. Während Carter bis jetzt immer auftrumpfte, er führe zum Unterschied von seinen Vorgängern eine „offene Administration“, die jedem Mitarbeiter Zutritt zu ihm gewähre, soll jetzt ein weniger lockeres Regime eingeführt werden.

Das sei keine Anleihe aus der Zeit Nixons oder Fords, aber es gehe nicht mehr, daß jeder höhere Beamte mit seinen unausgegorenen Plänen vor die Presse trete und zuletzt niemand mehr wisse, was eigentlich die Regierungspolitik sei. Vor allem in der Außenpolitik ist das schwer zu analysieren, geben doch der Präsident, Außenminister Vance und Sicherheitsberater Brze-zinski oft von einander abweichende und nicht selten sich widersprechende Erklärungen ab.

Daß die Geburt des „neuen Carter“ mit dem Panamakanal-Sieg im Kongreß zusammenfiel ist kein Zufall. Man wartete schon sehnsüchtig auf „den Erfolg“, auf den man dann auch psychologisch aufbauen wollte. Doch gleich die erste Konfrontation mit dem Kongreß beweist, wie schwer es ist, dem neuen Bild gerecht zu werden: Es geht um die Approbierung von Flugzeuglieferungen an Israel, Ägypten und Saudi-Arabien durch den Kongreß. Der Präsident hatte diese Vorlage in ein Paket verschnürt, das als Ganzes angenommen hätte werden müssen. Wenn der Kongreß bloß die Lieferungen an Israel zugelassen hätte, jene an die Saudis jedoch abgelehnt, hätte der Präsident sein Paket geschlossen wieder zurücknehmen müssen. Carter

verfolgte mit dieser „Verbündelung“ zwei Ziele: Er wollte Druck auf Israel ausüben und die Saudis für ihre maßvolle Haltung in der ölpreisgestaltung und ihren mäßigenden Einfluß im Nahen Osten belohnen. Die Abgeordneten und Senatoren indessen waren empört. Schließlich wollen sie individuell entscheiden und nicht zu einem „alles oder nichts“ gezwungen werden.

So hat Carter den Ausdruck „Paket“ fallen gelassen, jedoch nicht die Verschnürung, hat aber zugleich durchblicken lassen, daß der Inhalt verändert werden kann: Etwa mehr Flugzeuge an Israel oder längere Lieferfristen an die Saudis, was einem ursprünglich keineswegs beabsichtigten Kompromiß entspricht.

Wird Carter auch in der Angelegenheit Steuerreduktion nachgeben? Er hat seit langem ein 25-Müliarden-Dol-lar-Steuergeschenk versprochen. Das war damals, als die Arbeitslosigkeit ein vordringliches Problem darstellte.

Jetzt drückt der Schuh anderswo: Die Inflationsrate liegt nur mehr knapp unter den ominösen zehn Prozent und verantwortliche Wirtschaftsführer fordern eine Verschiebung der Steuerermäßigung. Die Inflation will Carter durch Ermahnungen und gutes Zureden bekämpfen: Keine gesetzlichen Lohn- oder Preiskontrollen. Ob jedoch der Appell an die Vernunft bei den radikalen Gewerkschaftsführern ziehen wird?

Es gibt also im politischen Tagesablauf eines Präsidenten ungezählte Situationen, in denen der unnachgiebige Führer dem Kompromiß Platz machen muß. Demokratie besteht aus Kompromissen und ein starker Präsident wird man nicht, wenn man nur an seiner einseitigen Meinung festhält. Die unnatürliche Verkrampfung, die sich aus dieser Konstellation ergibt, ist nicht nur für den Politiker gefährlich, der sich ein neues Bild geben will, sondern für die ganze beteiligte Mitwelt.

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