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Der Nobelpreis und Wien

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Umgerechnet auf seine Bevölkerungszahl besitzt Osterreich die größte Kopf quote an Nobelpreisträgem, allerdings gehören diese durchwegs dem Bereich der Naturwissenschaften und der Medizin an.

Zum ersten Mal seit dem Bestehen dieser Auszeichnung ist nun ein Schriftsteller geehrt worden, der sich zu Wien bekennt, denn Elias Ca-netti, 1905 auf dem Boden des heutigen Bulgarien geboren, derzeit als englischer Staatsbürger in der Schweiz, Ehrenmitglied des Osterr. PEN-Clubs, ist durch ein ganzes Netz von Schicksalsfäden an Wien gebunden:

Die Fackel von Karl Kraus vor Augen und im Ohr, lernte er Sehen und Hören. In seinem Lebensbericht heißt es: JDer tägliche B lick auf Steinhof, wo 6000 Irre lebten, u>ar der Stachel in meinem Fleisch. Ich bin ganz sicher, daß ich ohne dieses Zimmer (nahe dem Lainzer Tiergarten) JDie Blendung" (den in Wien 1935 erschienenen Roman) nie geschrieben hätte…"

JEs könnte sein, daß die Substanz des 15. Juli 1927 (Brand des Justizpalastes) in JAasse und Macht" (das essayistische Hauptwerk) ein-gegangenist…"

Uberraschenderweise gehört auch die Naturunssen-schaft zum Beziehungsnetz Wiens. Im Juni 1929 promovierte Elias Canetti hier zum Dr. phü. nat Mögen diese Wiener Chemiker-Jahre auch nur ein GehorsaTnstrai-ning des Sohnes gewesen sein, wer vermöchte abzuschätzen, wieviel die Erfahrungen im Laboratorium dazu beigetragen haben, um Canetti zum künstlerischen Mittler zwischen Begriff und Ausdruck, zunschen Analyse und Identifikation heranreifen zu lassen.

Wenn die schwedische Akademie in ihrer Begründung Canetti einen „umfassenden Gelehrten" nennt, so mirden die Grundvoraxtsset-zungen dazu in Wien gelegt, und zwar auch in der Begegnung mit dem Spezialistentum.

Diese Aufmerksamkeit aber immer weiter und weiter kreisen zu lassen, darin bestand die jahrzehntelange und erfolgreiche Arbeit Ca-nettis. Die StilkuTist, mit der er seine Ergebnisse und Erlebnisse vermittelt, ist gekennzeichnet durch überlegene Einfachheit, sprachliche Gestalt dessen, für den die Nähe der Menschen Bedürfnis und Pflicht zugleich ist.

Entgegen aller Berührungsfurcht uns in die wechselseitige warme Nähe hereinzuholen vermag aber nur das Erbarmen. Im Erbarmen liegt das Ziel all der stufenweisen Verwandlungen, von denen Canettis Werk Zeugnis ablegt.

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