6954104-1984_23_04.jpg
Digital In Arbeit

Der öffentliche Reformdruck fehlt

19451960198020002020

Seit 1964 arbeitet eine Juristenkommission an einem neuen Grundrechtskatalog - ohne erkennbare Ergebnisse. Höchste Zeit, daß sich nun auch der Bürger zu Wort meldet.

19451960198020002020

Seit 1964 arbeitet eine Juristenkommission an einem neuen Grundrechtskatalog - ohne erkennbare Ergebnisse. Höchste Zeit, daß sich nun auch der Bürger zu Wort meldet.

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn in diesem Land erst einmal eine Expertenkommission eingesetzt wird und zu tagen beginnt, dann dauern deren Tagungen im Regelfall jedenfalls nicht Tage, auch nicht Monate, sondern Jahre, viele Jahre. Dabei stellt sich dann immer noch die Frage,

ob eine solche Expertenkommission überhaupt jemals zu einem brauchbaren Ergebnis kommt.

Als ein seltenes Exemplar letzterer Spezies präsentiert sich jenes Expertenkollegium, das vor nunmehr 20 (in Worten: zwanzig!) Jahren ins Leben gerufen wurde, um Vorschläge für eine Reform der Grundrechte in unserer Verfassung zu erarbeiten.

Diese Grundrechtskommission muß es im Verlauf der zwanzig Jahre auf Sitzungen sonder Zahl gebracht haben. Das kann man allein schon aus der Tatsache errechnen, daß sich — laut einer parlamentarischen Anfragebeantwortung durch Bundeskanzler Fred Sinowatz — das Redaktionskomitee besagter Grundrechtskommission zwischen 5. Juni 1979 und 19. Mai 1983 ganze 55mal zu Sitzungen getroffen hat.

Und wie viele vor ihr versprach auch die Regierungserklärung der rot-blauen Koalitionsregierung, daß sie „die Reform der Grund- und Freiheitsrechte als ein überaus wichtiges Anliegen" betrachte. Um dann Hoffnung zu verbreiten: Die Bundesregierung werde „nach geeigneten Wegen suchen, um unter Verwertung der bisherigen Arbeit der Grundrechtskommission so bald wie möglich eine konsensfähige Regierungsvorlage im Hohen Haus einbringen zu können".

Aber schon bei einem Expertengespräch über die „Grundrechtsreform in Österreich" Ende März an der Universität Graz machte Wissenschaftsminister Heinz Fischer in Pessimismus über eine zügige Reform der Grundrechte. Für diesen Pessimismus gibt es zumindest zwei gute Gründe.

Einmal geht die Diskussion über einen neuen Grundrechtskatalog schon deshalb nur im Schneckentempo voran, weil in der Materie selbst naturgemäß viel politischer Sprengsatz steckt.

Dann aber kommt als Ursache für die scheinbare Endlosarbeit der Expertenriege dazu, was der Grazer Politikwissenschafter Wolfgang Mantl wie folgt beschreibt:

Die Grundrechtsdiskussion ist in Österreich „von oben" initiiert, verläuft fast ausschließlich innerhalb der österreichischen Juristenkultur, nicht nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit, sondern auch ohne öffentlichen Reformdruck, ohne öffentliche Diskussion und ohne breites Grundrechtsbewußtsein.

Umso erfreulicher, daß das scheidende Präsidium des Studentenverbandes des österreichischen Cartellverbandes (ÖCV) jüngst in Wien ein sogenanntes Colloquium Austriacum, ein „Gespräch über Österreich", organisierte und die Reform der Grundrechte dabei zu einem zentralen Thema machte.

Vergleicht man das schriftliche

Ergebnis des Arbeitskreises „Grundrechte" bei diesem Colloquium mit den zahlreichen Papieren zum gleichen Thema, dann fällt zunächst die konkrete und verständliche Sprache wohltuend auf.

So steht denn am Beginn die Forderung nach Öffnung der Grundrechtsdiskussion. Nicht nur juristische Experten sollen die Möglichkeit haben, an der Reformdebatte teilzunehmen und Vorschläge einzubringen.

Grundsätzlich stellen die Collo-quiumsteilnehmer fest, daß „die Verankerung von Grund- und Freiheitsrechten mehr ist als ein bloßer Katalog von Rechten und Ansprüchen, sie ist die Festlegung von Werten menschlichen Zusammenlebens".

Moderne Grund- und Freiheitsrechte müßten „die Grundlagen eines menschenwürdigen Daseins" garantieren: „Sie dienen einem freien Leben mit individuellen Entfaltungsmöglichkeiten unter Beachtung gesamtgesellschaftlicher Mitverantwortung."

Ein moderner Grundrechtskatalog ist aber nicht denkbar ohne die Einbeziehung jener Fragen, die vor allem die künftigen Generationen in ihrer Existenz bedrohen: Stichwort „ökologische Grundrechte", Umweltschutz in einem weiteren Sinn.

Uber die klassischen Grundrechte hinaus, die in erster Linie als „Abwehrrechte" des einzelnen Bürgers gegen Ubergriffe der Staatsgewalt formuliert wurden, geht die Forderung heute auch nach einem festgeschriebenen Anspruch auf das „positive Tun des Staates und der Gemeinschaft" für den einzelnen. Gemeint ist damit der Einbau sozialer Grundrechte in die Verfassung.

Wem diese allgemein formulierten Grundsätze nun wieder doch zu „schwammig" ausgefallen sind, für den halten die Autoren des Papiers dann in einzelnen Kapiteln viele interessante und auch brisante Konkretisierungen parat.

So findet sich unter den ökologischen Grundrechten die Forderung: „Jedermann hat das Recht auf freien Zugang zur Natur, insbesondere zu Waldungen, Weide-und Bergland und den natürlichen Gewässern."

Oder: Das System der Sozialpartnerschaft soll nicht länger quasi „außergesetzlich" funktionieren, sondern in den sozialen Grundrechten dahingehend verankert werden, daß der Ausgleich zwischen den das Wirtschaftsleben bestimmenden Kräften (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) verlangt wird.

Wenn auch manche Grundrechtsforderung im vorliegenden Colloquiums-Papier allzu sehr ins Detail geht (etwa jene nach Ersatz der Bürgermeister als erste Bauinstanz durch weisungsfreie Kollegialbehörden unter Mitwirkung der Betroffenen), so bleibt unter dem Strich doch ein beachtenswertes Ergebnis.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung