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Der Papst des Volkes

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Die Schüsse, die am 13. Mai um 17.17 Uhr Papst Johannes Paul II. schwer verletzten, fielen nicht ohne Ahnungen und ohne Hintermänner. Genau eine Woche zuvor hatte der Papst den Schweizer Gardisten gesagt: „Wir wollen den Herrn bitten, daß er Gewalt und Fanatismus von den vatikanischen Mauern fernhalte. Aber die Bereitschaft, notfalls das Leben hinzugeben, kann sich auch in Eurem Dienst verwirklichen ..."

Für den 16. Mai war im Programm der US-Fernsehgesellschaft CBS der Film „Foul Play“ („Falsches Spiel“) angesetzt, der von einem Mordanschlag auf einen Papst handelt. Er wurde nach dem Attentat auf dem Pe- tersplatz abgesetzt.

Wiederholt wurde Johannes Paul II. von vatikanischen, italienischen, ja auch internationalen Sicherheitsexperten auf das höhe Risiko aufmerksam gemacht, welches er mit seiner so direkten Kontaktnahme mit den Gläubigen auf sich nimmt. Dem Papst liegt aber mehr an dem Wert dieser unmittelbaren Kontaktnahme als an seiner persönlichen Sicherheit.

Karol Wojtyla hatte im Verlauf der 32 Monate seines Pontifikates deutlich gezeigt, daß er gewillt ist, neue Wege in der Ausübung des Petrusamtes einzuschlagen, bereit ist, einen unkonventionellen Stil zu entwickeln und in nicht wesentlichen Belangen Konzessionen zu machen; daß er sich aber fest und entschieden zeigen kann, wenn es um wesentliche Aussagen des Glaubens und um hohe Werte des Lebens geht.

Die neue Betonung der missionarischen Art der Kirche ist für Karol Wojtyla eine der wichtigsten Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils und gehört zu den tragenden Ideen seines Pontifikates. „Ich glaube, daß der Heilige Vater in keiner Weise seine Reisen und seine Kontakte mit der Außenwelt aufgeben wird“, erklärte der Dekan des Hl. Kollegiums, Kardinal Confalo- nieri. „Das ist seine Eigenart, und es liegt auch in der von ihm bevorzugten Art der Ausübung des Apostolats.“

„Dieser Papst ist zum Verteidiger kat exochen der menschlichen Person und ihrer Würde, der Menschenrechte und der moralischen sowie spirituellen Werte der menschlichen Person geworden“, erklärt Metropolit Meliton von Chalcedon, den der ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Dimitrios . L, sofort nach Erhalt der Attentatsnachricht mit einer persönlichen Botschaft nach Rom geschickt hatte.

Am Sonntagnachmittag erklärte Papst Johannes Paul II. von seinem Krankenlager aus in einer über Radio Vatikan ausgestrahlten Kurzansprache: „Ich bete für den Bruder, der mich verwundet hat und dem ich aufrichtig verziehen habe.“ Die Annahme, daß Mechemed Ali Agca nicht allein handelte, sondern ihm Hintermänner zur Verfügung standen, ist inzwischen zur Gewißheit geworden.

Mit großer Wahrscheinlichkeit sind die Hintermänner in einer politisch-religiösen Gruppierung einzuordnen, die von einem Großtürkischen Reich träumen. Agca hat Kontakt zur Partei der nationalen Bewegung und erhielt von ihr Hilfe. Wie konnte er zum Beispiel aus einem türkischen Gefängnis entkommen, in dem er wegen Mordes an einem Journalisten inhaftiert war?

Dieses erste Opfer, der Chefredakteur der angesehenen türkischen Zeitung „Milliyet“, hatte kurz vor dem Papstbesuch in der Türkei einen Leitartikel geschrieben, in dem er für eine versöhnlichere Haltung der Muslims zu den Christen eintrat.

Der türkische Psychiater Aklay Yo- rükoglü erstellte die Diagnose, Agca leide unter paranoider Schizophrenie und habe gehofft, durch den Mord am Papst in der islamischen Welt zum Helden zu werden. Religiöse Motive habe Agca nicht gehabt, da die Partei der nationalen Bewegung keine eigentlich religiösen, sondern hauptsächlich nationale Motive vertrete. Die italienische Polizei, die über große Erfahrung im

Umgang mit Terroristen verfügt, bezeichnet Agca als den Typ eines gut geschulten Terroristen. Nur eine türkische Szene?

Wer die zahlreichen Verflechtungen der internationalen Terrorszenen kennt, weiß, daß Großmächte immer wieder versuchen, örtliche Terroristengruppen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Es dürfte außer Diskussion stehen, daß Karol Wojtyla in gewaltloser Weise zu einem mächtigen Gegenspieler der marxistischen Weltrevolution geworden ist.

Durch seine Pastoralpolitik, die zentralen Werte der christlichen Botschaft zu stärken, leitete er einen Prozeß der inneren Festigung der katholischen Kirche ein. Durch den mäßigenden Einfluß, den er zusammen mit dem polnischen Primas auf die jüngsten Entwicklungen jn Polen nahm, trug er zum Erfolg der Arbeiterbewegung dieses Landes bei, durch seine apostolischen Reisen in die Länder der Dritten Welt bremste er marxistisch-revolutionäre Prozesse, die sich auch in der Kirche bemerkbar zu machen begannen. Vor allem aber verunsicherte dieser Papst aus Polen ein Grundthese des Marxismus, derzufolge die Kirche auf 'der Seite der Ausbeuter der Arbeiterklasse stünde.

Die Schüsse, die am 13. Mai um 17.17 Uhr auf dem Petersplatz fielen, zeigen, wie schnell etwas gestört oder zerstört werden kann, das zur Entwicklung und Entfaltung Jahrzehnte benötigt. Diese Schüsse trafen nicht nur den Papst, sie trafen unsere moderne Gesellschaft. Sie zeigen die Folgen der weitverbreiteten gesellschaftlichen Dekadenz, in deren Schatten sich der Terrorismus entfaltet.

Der Besuch des Papstes in der Schweiz und bei den internationalen Behörden in Genf wurde gestrichen, die Teilnahme am Eucharistischen Kongreß in Lourdes (Juli) ist ernstlich in Frage gestellt. Ob der Papst im Oktober Spanien besuchen kann, ist ungewiß.

Gestört ist auch die Weiterentwicklung in der römischen Kurie. In der geplanten Mittwoch-Generalaudienz hatte der Papst die Neugründung eines „päpstlichen Rates für die Familie“ bekanntgeben wollen. Mit einem Apostolischen Schreiben, in dem die Ergebnisse der Weltbischofssynode 1980 über die Aufgaben der christlichen Familie zusammengefaßt werden sollen, war in absehbarer Zeit zu rechnen. Fällige Ernennungen in der Kurie und von Bischöfen in der Welt werden sich verzögern.

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