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Der Patient darf nicht schlafen

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Für die Behandlung von akuten Depressionen gibt es eine Methode, die auf Medikamente weitgehend verzichten kann, aber nicht sehr bekannt zu sein scheint und sicher nicht generell empfohlen werden kann. Sie ist keineswegs neu - in den USA, Holland, Deutschland und auch in Österreich wird sie seit etwa zehn Jahren in vielen Fällen erfolgreich angewendet.

Das Ungewöhnliche daran: Bei der Überbrückung einer Depres-

sionsphase steht nicht die Ruhigstellung des Patienten im Vordergrund, sondern das Gegenteil, nämlich, daß man ihm den Schlaf entzieht. Bleibt der Patient nämlich in der Zeit, in der sich die Depression anbahnt, das ist in der Regel zwischen zwei und vier Uhr morgens, wach, erreicht die Depression nicht ihren Höhepunkt und wird gewissermaßen abgefangen.

Eine ähnliche Wirkung, wird berichtet, kann erzielt werden, wenn der Patient am Träumen gehindert wird, man den Schlaf also in der REM-Phase, dem intensiven Traumzyklus am Ende einer rund hundert Minuten langen Tiefschlafphase, unterbricht.

Derartige Eingriffe in den Schlaf, die sich beim gesunden Menschen bekanntlich verheerend auswirken, haben auf den Depressiven einen normalisierenden, ausgleichenden Effekt, und zwar überraschend schnell. Wenn eine solche Maßnahme zwei- bis dreimal hintereinander gezielt eingesetzt wird, kann man damit rechnen, daß eine akute Depressionsphase ausklingt.

Man erklärt sich die Erfolge dieser Schlafentzugstherapie damit, daß beim depressiven Menschen die „innere Uhr“, die den regelmäßigen Ablauf der biologischen Funktionen mit den Verän derungen im Wechsel von Tag und Nacht und im Jahreszeitenzyklus koordiniert, „verstellt“ sei. Mit dem Entzug des Schlafes, der auch untertags nicht nachgeholt werden darf, wenn man nicht einen neuen Anfall riskieren will, gelingt es offenbar, die Uhr wieder „nachzustellen“.

Voraussetzung ist, daß ein neues Schlafschema mit insgesamt weniger Schlafdauer erlernt und während der Depressionsphase konsequent eingehalten wird.

Bei Depressionen, die regelmäßig im Winter wiederkehren, wird die .jahreszeitliche Uhr“ mit Lichttherapie beeinflußt, indem durch künstliches Licht ein längerer Tag vorgetäuscht wird.

Margot Dietzel, die an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Wien derartige Therapien durchführt, begründet die Tatsache, daß diese bereits bewährten Methoden in der Psychiatrie nicht häufiger angewendet werden, damit, daß sie eine sehr große Kooperationsbereitschaft des Patienten voraussetzen. Auch vom Arzt wird hohes Engagement gefordert, er muß den Patienten davon überzeugen können, daß der Erfolg der Therapie vor allem an ihm selbst liegt. Dies stellt ,einą zusätzliche Schwierigkeit dar, weil gerade beim Depressiven die passive Erwartungshaltung dem Arzt gegenüber vorherrscht.

Gelingt es jedoch, mit einem gemeinsam ausgearbeiteten Modus, der die Persönlichkeit und die Lebensgewohnheiten des Patienten berücksichtigt, eine akute Depressionsphase zu überbrücken, macht der Patient meist auch zusätzlich einen Schritt aus seiner Passivität heraus.

Fundierte Erklärungen für die Erfolge der Schlafentzugs- und Lichttherapie gibt es noch nicht. Die Depression verschwindet auch nicht vollständig. Sie kann aber, wenn sie nicht reaktiv bedingt ist und zyklisch wiederkommt, gut unter Kontrolle gebracht werden.

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