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Der peinliche Absturz

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Damit, daß ungarische Offiziere, Mitglieder der internationalen Waffenstillstands-Kontrollkommission, in Vietnam von Vietkongs abgeschossen werden, hat niemand in Budapest rechnen können. Die ungarischen Massenmedien mußten die Nachricht zwei Tage lang zurückhalten und konnten sie später auch nur vernebelt mitteilen, daß nämlich Grenzwachenhauptmann Aurel

Dylski und Oberleutnant Csaba Czi-boly in Südvietnam „bei der Erfüllung ihrer Dienstaufgaben Opfer eines Helikopterunglücks“ geworden seien. In Wirklichkeit wurden sie von nordvietnamesischen „Kameraden“ abgeschossen. Um die äußerst peinliche Angelegenheit zu verschleiern, hatte der Kommentator des Budapester Senders „kaum Worte gefunden“ und er versuchte den Schock damit zu lindern, daß „seit Inkrafttreten der Feuerpause, dem 28. Jänner 1973 also, ungefähr 40.000 Personen auf dem Territorium Vietnams gestorben, verwundet worden oder vermißt“ seien. Die beiden ungarischen Opfer waren einst als verdiente Arbeiter auf Offiziersschulen abkommandiert worden. Hauptmann Dylski war 33 Jahre alt und seit 1962 KP-Mitglied, Oberleutnant Cziboly 32 Jahre alt, kein Parteimitglied, Absolvent der Universität zu Veszprem und Ingenieur.

Der Tod der beiden ungarischen Offiziere brachte das Kädär-Regime in eine peinliche Situation, nachdem die Massenmedien wochenlang die USA verschiedener Verletzungen

des Waffenstillstandsabkommens bezichtigt hatten. Der Stellvertretende Außenminister, Jözsef Marjai, war besonders eifrig bei der Verbreitung antiamerikanischer Gerüchte gewesen

An der Spitze der internationalen Waffenstillstands-Kontrollkommission stand im besagten Monat Botschafter Ferenc Esztergälyos, der seine politische Karriere als Offizier der kommunistischen Geheimpolizei begonnen hat und, zur Diplomatie hinüberwechselnd, im Rang eines Botschafters nach der Niederwer-

fung der ungarischen Revolution nach Wien entsandt wurde, um den ganzen peinlichen Fragenkomplex des* Volksaufstandes — in Österreich hielten sich damals mehr als 170.000 Flüchtlinge auf — rasch und unauffällig zu liquidieren.

Nun aber verursachte die eindeutige Parteilichkeit des Botschafters eine internationale Krise in Vietnam. Die Situation verschlechterte sich derart, daß man sehr bald mit dem Auszug der verstimmten Kanadier rechnen mußte. Die ungarische Regierung befand es schließlich für notwendig, den Stellvertretenden Ministerpräsidenten, Dr. Peter Välyi, der gerade in Washington Wirtschaftsverhandlungen führte, eiligst nach Kanada zwecks Rechtfertigung der Arbeit der ungarischen Waffenstillstandsaufpasser zu entsenden. Dr. Välyi verhandelte mehrmals mit Außenminister Sharp und erklärte nach Erledigung seiner heiklen Mission im Radio: „Die ungarische Regierung ist zutiefst ihrer Verantwortung in der Internationalen Kontrollkommission bewußt.“ Daraus wurde eine Falle für Ungarn. Dem ungarischen Volk jedenfalls wurde bis heute verschwiegen, daß der Abschuß zweier ungarischer Offiziere durch Raketen des Vietkong erfolgt ist. ,

Der Hubschrauber war 25 km süd-lioh der Landstraße 9, in der Provinz Quang-tri, im Distrikt Lao Bao „abgestürzt“. Die Opfer wurden nach Ungarn transportiert und mit militärischen Ehren bestattet. Nach der Katastrophe jedoch waren nordvietnamesische Transporthelikopter auf dem Schauplatz erschienen, hatten die Reste der abgeschossenen Hubschrauber der Kontrollkommission emporgehoben und 25 km weiter befördert. Aus unerklärlichen Gründen fuhr man am folgenden Tage mit den Überlebenden kreuz und quer durchs Land, bevor man sie auf dem neuen und angeblichen „Schauplatz“ der Katastrophe wieder aussetzte. Die Piloten erstatteten darüber allerdings Meldung, worauf die ungarische Regierung stillschweigend, ohne den üblichen Protest, den ganzen Vorfall zur Kenntnis nahm.

Zwei tote ungarische Offiziere kehrten in ihre Heimat zurück. Man befürchtet beim ungarischen Kontingent, das aus 286 Personen besteht, daß sie nicht die letzten waren, die ihre Rückreise nicht lebend antreten können. Der junge ungarische Feldwebel György Völlner, der alsbald begriffen hatte, daß der Weg in die Freiheit über Saigon führt, flog schnurstracks nach Australien und suchte dort um politisches Asyl an.

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