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Der „Pistolero“

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Wieder sinkt Premierminister Trudeaus Stern. Selten wurde eine kanadische Stichwahl mit solchem Interesse erwartet, wie der „Kampf um Assiniboia“. Er endete mit einer Schlappe der Regierungspartei.

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Wieder sinkt Premierminister Trudeaus Stern. Selten wurde eine kanadische Stichwahl mit solchem Interesse erwartet, wie der „Kampf um Assiniboia“. Er endete mit einer Schlappe der Regierungspartei.

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Mit dem Sieger von Assiniboia, dem Sozialisten Willy Knight (24), einem Lehrer, zieht der jüngste Abgeordnete in das Parlament des zweitgrößten Landes der Erde ein. Heute ist die „Weizenprovinz“ Saskatchewan, einst der „Brotkorb“ des britischen Imperiums, nur noch mit einem einzigen Abgeordneten in der Regierungspartei vertreten — dem Einwanderungsminister Otto Lang, einem fähigen, jungen Politiker deutscher Abkunft. Doch die Regierungspartei verlor in Assiniboia nicht nur das Mandat; sie erhielt auch bloß 28 Prozent der Stimmen.

In den elf Stichwahlen seit dem

Triumph von Pierre Trudeau im Jahre 1968 siegten die Sozialisten in fünf Wahlkreisen, die Liberalen und die Konservativen in je drei — doch keinen Sieg der Regierungspartei gab es außerhalb von Quebec, der Heimatprovinz des Premierministers. Auch bei den Provinzwahlen brachte das Image von Pierre Trudeau seiner Partei kein Glück. Die Konservativen siegten in Ontario, Alberta und Neufundland, die Sozialisten in Saskatchewan. Nun hat die Stichwahl von Assiniboia die Position der Sozialisten in der Prärie — sie stellen die Regierungen von Manitoba und Saskatchewan — weiter gestärkt.

In „Saturday Night“, einer politisch neutralen Zeitschrift, die vor wiegend von Intellektuellen gelesen wird, attackiert der bekannte Publizist Peter Reilly den Regierungschef besonders vehement. Er brandmarkt Trudeaus Regime als „politische Katastrophe“, schimpft ihn einen arroganten, verächtlichen Lügner,

einen „wirtschaftlichen Ignoramus“ und einen „geheuerten Pistolero des Laissez-faire-Kapitalismus“. Der Angriff — auch von Torontos liberalem „Star“, Kanadas größter Zeitung, zitiert — war um so bemerkenswerter, als „Saturday-Night“-

Chefredakteur Robert Fulford einst Trudeau als „Denker, Staatsmann und glorreichen Führer“ verherrlicht hatte.

Sarkastisch ein Kommentar Im „Toronto Star“: „Unsere Liebesaffäre mit Pierre ist beendet!“

Die Kanadier waren seit vielen Jahren nicht so unzufrieden wie in diesen Tagen. Die Möglichkeit der baldigen Sezession Quebecs, die hohe Arbeitslosenzahl und das Auf- flackem der Inflation sind brennende Probleme, die immer wieder Unruhe stimulieren. Typisch für die Stimmung in Quebec ist die Tatsache, daß Jean Drapeau, Bürgermeister von Montreal — Stätte der Sommerolympiade von 1967 —, einen Revolver auf seinem Schreibtisch und einen Polizeihund in seinem Amtszimmer hat. Die Ermordung des Arbeitsministers Laporte durch Terroristen- Separatisten im Vorjahr ist unvergessen.

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