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Der Poet, mit dem ein Engel sprach

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Wenn wir Hilaire Belloc Glauben schenken, dann sprach ihn einmal ein steinerner Engel der Kathedrale von Chartres an, um ein Motto für eine Sonnenuhr zu bekommen. Doch leider kam es zu keiner Übereinkunft. Die allzu irdische Eitelkeit des Engels erwies sich als ebenso störend wie die schlechten Reime Bellocs. Mit derartigen Geschichten gelang es Belloc meisterhaft, Emst hinter Scherzen zu verstecken und seine Leser zu überraschen. Belloc war nicht nur ein origineller Kauz, sondern auch ein ungemein fleißiger Schreiber: 156 Bücher stammen von ihm, Gedichte und Vers- geschichten für Kinder in der Art des „Struwwelpeter”, Novellen, Romane, soziale und politische Studien, zeitkritische Essays und Glossen; ferner eine Fülle historischer Untersuchungen, darunter eine umfangreiche Geschichte Englands. Sein alleiniges Verdienst ist es, daß die offizielle Geschichtswissenschaft zahlreiche Vorurteile und Unwahrheiten zuungunsten der Katholiken revidieren mußte, ganz abgesehen davon, daß Belloc mit seinem Freund Chesterton und Francis Thompson zu den Begründern einer katholischen Literatur in England gehört.

So überraschend wie der Inhalt seiner Bücher, so kunterbunt verlief auch sein Leben. Der im Jahre 1870 in Frankreich geborene Dichter ist in England aufgewachsen und gehörte noch zu den Schülern von Kardinal Newman. Nach dem Studium in Oxford nahm Belloc die britische Staatsangehörigkeit an und zog 1906 als Liberaler ins Unterhaus ein. Doch aus Protest gegen jegliche Parteidisziplin, vertrat er schließlich nur noch seine eigene Meinung. In seiner letzten Par- lamentsrede sagte Belloc: „Einer Stimme in einer Körperschaft, die nicht frei ist, ziehe ich eine unabhängige Feder vor.” Eine von ihm gegründete Zeitung, in der Belloc gegen den Strom schwimmen wollte, boykottierten selbst die spleenigen Engländer. Belloc warnte stets vor dem naiven Fortschrittsglauben, vor der Illusion eines Schlaraffenlandes auf Erden. In berühmt gewordenen Fehden mit Shaw und Wells beschrieb er ein neues Heidentum, das die Einführung der Sklaverei mit sich bringen müsse, jener Sklaverei, wie sie in der Antike bestand und erst unter dem Einfluß des Christentums allmählich verschwand. Belloc trauerte der Monarchie nicht nach. Aber er war sich darüber im klaren, daß der moderne Industriekapitalismus lediglich Menschen zum Nutzen anderer arbeiten läßt. Als konservativerRevolutionär schloß Belloc keineswegs bestimmte Gesellschaftsprinzipien aus, bekämpfte jedoch leidenschaftlich alle Theoretiker, die den freien Willen des Einzelnen ignorierten.

Die Wirkung seiner polemisch und satirisch zugespitzten Prosa liegt in einer mitreißenden Kraft, einer Logik, die alle Einwände kennt und widerlegt, um zu überzeugen statt zu überreden, und in einer Einfachheit des Stils. Seine Essays, für die er oft voller Schabernack einen nichtigen Anlaß als Köder aufgriff, wie zum Beispiel die Existenz der Seeschlange, Symbol des Aberglaubens, treffen stets den Kern eines Problems. Der Besuch historischer Stätten, wie die der Wälder von Kent, wo die Engländer einst römischen Legionen gegenüberstanden, diente ihm immer wieder als Zeichen für die geradezu erschreckende Vergänglichkeit des Menschen auf Erden. Die Einsicht, das eigene Leben verfehlt zu haben, nannte er nichts Ungewöhnliches, weil der Christ sein Leben nach Zielen ausrichten müsse, die nicht in dieser Welt liegen. Dem temperamentvollen Polterer waren subtile Themen keineswegs fremd. Die Unschuld nannte er einen verborgenen, nur selten ans Tageslicht kommenden

Schatz. In der Kunst entdeckte Belloc die Unschuld in den kindlichen Engeln Boticellis und in der Musik Mozarts.

Mit 50jähriger Verspätung erschien als Herder-Taschenbuch sein „Weg nach Rom”, nach Seumes „Wanderung nach Syrakus” wohl die unkonventionellste Reisebeschreibung in deutscher Sprache. Auf Schusters Rappen machte sich Belloc auf eine Pilgerfahrt. Seine Sache waren die einsamen Orte und Berge, die Sammlung des Geistes. Dazu genügten ihm Brot, Speck und Wein. Belloc schilderte die majestätische Größe der Natur, beschreibt jene „Reiche, die keine Mauern haben und aufgebaut sind aus Schatten”. Mit der Gewissenhaftigkeit des Historikers beschreibt er Städte, Dörfer und vor allem Kirchen. Mit der Fabulierfreudigkeit des Poeten unterhält er gleichzeitig den Leser mit Anekdoten und amüsiert durch ironische Streitgespräche zwischen Autor und Lektor. Seine Parodie eines Dialogs aus Satzzeichen ist ein echter Morgenstemscher Einfall. Und aus blankem Übermut endet die Romreise mit Knüttelversen. Sigismund von Radecki, der Belloc stets als Vorbild betrachtete, zitierte einmal jenen englischen Staatsmann, der vor Bismarck mit den Worten warnte: „Der ist gefährlich, der glaubt wirklich, was er sagt.” Dieser Satz paßt auch auf Hilaire Belloc, von dessen vielen Büchern hoffentlich auch bald wieder einige in deutscher Spraehe erscheinen werden.

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