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Der Preis des Politikers

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Es ist nicht nötig, an Aldo Moro zu denken, um die Frage aufzuwerfen, welchen Preis Spitzenpolitiker heutzutage für ihr öffentliches Amt zu zahlen haben. Die Entführung, Terrorisierung und Ermordung ist (noch) der schreckliche Ausnahmefall. Doch es mehren sich die Vorfälle, bei denen die Grenzen des Zumutbaren überschritten erscheinen. Uber den Lohn der Politiker wird genug geschrieben und geredet; was manche von ihnen dafür

zahlen müssen, wird allzu gern vergessen.

Stichwort Terror: Moro ist die Ausnahme. Am Terror gestorben sind erst wenige. Mit dem Terror zu leben, haben sich viele Politiker angewöhnen müssen. Wenn ein Helmut Schmidt buchstäblich auf Schritt und Tritt bewacht wird, wenn er nichts tun kann, ohne schwerbewaffnete Leibwächter in der Nähe zu wissen, dann sind diese Maßnahmen sicherlich berechtigt und damit auch richtig. Ob man sich jedoch an sie gewöhnen lpnn?

Die Angst vor dem Terror ist nicht nur etwas, das von den Massenmedien in breiten Bevölkerungsschichten geweckt wird. Mit welchen Gefühlen werden Frauen und Kinder der Nachfolger eines Schleyer, eines Buback, eines Ponto die Ernennung ihres Mannes und Vaters erleben? Mit welchen Ängsten gehen in Italien Journalisten, Industrielle, Justizbeamte an ihre Arbeit, wenn sie wissen, daß täglich einer der ihren mit durchschossenen Knien und damit gelähmt für sein weiteres Leben in ein Spital eingeliefert wird - oder ins Leichenhaus, wenn die „Roten Brigaden“ einmal schlecht gezielt haben. Das Klima der Angst ist nicht jenes, das der Demokratie am bekömmlichsten ist. Entscheidungen, die aus Angst getroffen werden, sind nicht die, auf die man unser Gesellschaftssystem basiert sehen möchte. Es ist die teuflische Strategie der Terrorgruppen, die Entscheidungsträger in Angst zu halten, in ganz persönlicher Angst. Und wenn einer dieser Entscheidungsträger kalt genug ist, diese Angst wirklich nicht zu kennen (und nicht nur nach außen hin so zu

tun) -, die nächsten Angehörigen bangen doch um ihn.

Die Familie zahlt aber auch den Preis für eine Politikerkarriere, die ohne jene schreckliche Dramatik verläuft. Glückliches Österreich, in dem nicht nur der „politische“ Terror noch weitgehend unbekannt ist, in dem auch die intakte Ehe eines Politikers noch durchaus der Normalfall ist. Doch es ist bestimmt kein Zufall, daß gerade jene Politiker, die an der Spitze ihres Landes stehen, so oft

ernste Probleme mit den eigenen Kindern haben. Und nicht nur Politiker, auch andere Topkräfte des öffentlichen Lebens.

Es gibt eine Anekdote, die erzählt, Präsident Roosevelt habe zu Gästen gesagt, die sich über die mangelnden Manieren seiner Tochter wunderten: „Ich kann nicht gleichzeitig die Vereinigten Staaten von Amerika regieren und mein Kind erziehen.“ Das ist kein Witz, das ist traurige Wahrheit.

In Schweden hat sich der Chef der liberalen Partei, noch keine 40 Jahre alt, aus der Spitzenpolitik zurückgezogen, als seine junge Lebenspartnerin an Krebs starb. Ihr Tod habe ihm gezeigt, daß es andere Werte im Leben gebe als die Karriere, begründete er seinen ungewöhnlichen Schritt, und daß kein Beruf es wert sei, sich ihm so auszuliefern, daß dabei das zu kurz komme, was das Leben wirklich ausmacht.

In Schweden war es auch, wo zuletzt Ministerpräsident Thorbjörn Fälldin mit Rücktrittsgedanken spielte. Er hat einen Prozeß gegen eine Zeitung verloren, die ihn in einer „Satire“ als geistesgestörtes Alkohol-Wrack geschildert hatte, das nicht mehr Herr seiner Entschlüsse sei. Er habe gesehen, sagte Fälldin, wie seine Familie auf diesen Artikel reagiert habe, und er frage sich, ob das der Preis sei, den man für ein öffentliches Amt zu zahlen habe. Politische Gegner und Kommentatoren der schwedischen Politszene haben Fälldin vorgeworfen, die Situation als Deckmantel zu mißbrauchen, um

sich mit wohlklingenden Argumenten aus der in ernste Probleme verstrickten Regierung abzusetzen. Diese Deutung mag stimmen oder auch nicht, sie zielt am Kern der Sache vorbei: Sicherlich darf ein Top-Politiker keine „dünne Haut“ haben, sicherlich sollte er nicht so leicht zu beleidigen sein - aber wo ist die Grenze?

Fälldin mußte seinen Namen auch auf einer offensichtlich erlogenen Liste finden, die eine Bordellwirtin

über ihre „Kunden“ angelegt hat. (Es dient Olof Palme übrigens zur Ehre, daß er, der die Liste kannte, sie nicht im letzten Wahlkampf verwendete, sondern den Rapport einer Untersuchungskommission über Prostitution unveröffentlicht seinem Nachfolger Fälldin übergab. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, sie auf Umwegen einem der sensationslüsternen Boulevardblätter zuzuspielen und damit Fälldin entscheidende Wählerstimmen zu nehmen.) Wir leben in einer Zeit, in der die „Öffentlichkeit“ durch die Massenmedien so weit reicht, wie kein Politiker früherer Generationen es sich hätte träumen lassen. Die Kontrollfunktion der Presse sei selbstverständlich unbestritten; aber reicht der Schutz, den es gegen Ubergriffe gibt, wirklich aus?

Die Demokratien werden nicht darum herumkommen, sich auch über den Preis der Politiker Gedanken zu machen, den sie für ihre Arbeit zu zahlen haben. Es könnte sonst eines Tages dazu kommen, daß eine eigene Politikerkaste entsteht, die Kaste jener Menschen, die bereit sind, für ein Spitzenamt im öffentlichen Leben alles auf sich-zu nehmen. Menschen „in den besten Jahren“, um eine 80-Stunden-Woche meistern zu können, telegen, unanfechtbar und ohne hinderliche familiäre Bindung. Das Ideal der repräsentativen Demokratie, in der die Besten .einer Gesellschaft sich bereit stellen, um als Leitende den Volkswillen zu verwirklichen, wäre dann freilich dem Zeitgeist geopfert.

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