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Der Preis für Goldmedaillen

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Während der Olympischen Spiele in Lake Placid ist weniger der Sport als vielmehr das Verhältnis von Sport und Politik Tagesgespräch. Zu kurz kommt auch das für den einzelnen Sportler wichtigere Thema „Sport und Gesundheit". FURCHE-Redakteur Heiner Boberski befragte deshalb dazu Univ.-Doz. Alfred Aigner, Leiter des Instituts für Sportmedizin des Landes Salzburg. Resümee: Sportmedizin ist heute Arbeitsmedizin.

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Während der Olympischen Spiele in Lake Placid ist weniger der Sport als vielmehr das Verhältnis von Sport und Politik Tagesgespräch. Zu kurz kommt auch das für den einzelnen Sportler wichtigere Thema „Sport und Gesundheit". FURCHE-Redakteur Heiner Boberski befragte deshalb dazu Univ.-Doz. Alfred Aigner, Leiter des Instituts für Sportmedizin des Landes Salzburg. Resümee: Sportmedizin ist heute Arbeitsmedizin.

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FURCHE: Hat heute Spitzensport noch etwas mit Gesundheit zu tun?

AIGNER: Beim Gesundheitssportler kommt es darauf an, sich eine allgemeine Gesundheit entweder neu zu erwerben oder zu erhalten. Das muß ganz streng getrennt werden vom Hochleistungssport, der ja die Erbringung von Spitzenleistungen zum Ziel hat. Spitzenleistungen sind nur mit außergewöhnlichen Anstrengungen zu erreichen unter Hintansetzung vieler anderer persönlicher Bedürfnisse. Daher kommt es im Spitzensport durchaus auch dazu, daß die Gesundheit - zumindest vorübergehend - hintangestellt wird, wenn es gilt, eine Weltmeisterschaft oder einen Olympiasieg zu erringen.

Anders ist es beim sogenannten Gesundheitssport. Todesursache Nr. 1 ist ja bei uns nicht der gefürchtete Krebs, sondern in den zivilisierten Ländern mit etwa 50 Prozent und mehr aller Todesursachen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und -Komplikationen. Und wenn man nun Sportarten wählt, die diese Erkrankungen zurückdrängen können, hat man echt etwas für die Gesundheit getan. Zu diesen Sportarten zählen alle Ausdauersportarten, also Laufen, besonders in Form von Skilanglauf, Schwimmen und Radfahren.

FURCHE: Ist ein Spitzensport, bei dem die Gefahr von Schädigungen bereits sehr groß ist, übetfiSfapt noch hinnvoü?

AIGNER: Man muß sich vor Augen halten, daß für viele dieserSpitzensportler derSport zur Arbeit geworden ist. Bei den Professionellen, die vom Sport leben, ist es ja geradezu Verpflichtung, im Sport mithalten zu können, damit sie den Lebensunterhalt verdienen.

Es ist klar, daß ein Olympiasieg ungeheures Prestige hat und daher auch die Olympiateilnehmer bestrebt sind, sich bis zum letzten auszugeben. Wenn man an die Grenze des Menschenmöglichen geht, dann ist damit zwangsläufig eine gewisse Mehrgefährdung verbunden.

FURCHE: Sind nicht für bestimmte Sportarten bestimmte Schädigungen schon so typisch, daß man von Berufskrankheiten sprechen kann?

AIGNER: Es gibt sportartenspezifische Schädigungsmöglichkeiten, die mit dem Bewegungsablauf in diesen Sportarten zusammenhängen. Ein Großteil der Turner und Turnerinnen leidet unter Wirbelsäulenbeschwerden. Wenn Sie sich zum Beispiel die sogenannte ideale Haltung der Turner beim Abgang anschauen, dann ist die vielleicht für das Auge schön, aber physiologisch für die Wirbelsäule ist sie ganz gewiß nicht. Und wenn solche Belastungen schon im Kindesalter einsetzen, dann muß man eben damit rechnen, daß während der Wachstumsphase die eine oder andere Wirbelsäule diesen Belastungen nicht gewachsen ist.

Man kann auch die Abfahrtsläufer oder Kraftsportarten anführen. Uberall, wo es zu großen Krafteinwirkungen auf Gelenke kommt, ist damit zu rechnen, daß bei dem einen oder anderen die gewählte Belastung zu groß ist für seinen Gelenks- und Bandapparat. Es ist praktisch bei jeder Sportart so eine Art Muster von typischen Verletzungen möglich.

FURCHE: Gibt es überhaupt noch Spitzensportler die von solchen Beschwerden verschont geblieben sind?

AIGNER: Es gibt selbstverständlich in jedem Spitzensport solche, die von diesen Leiden verschont geblieben sind, aber ich möchte keine Wetten abschließen, wie hoch dieser Prozentsatz ist.

FURCHE: Welche Bedeutung kommt Ihrer Erfahrung nach im Spitzensport dem Doping zu?

AIGNER: Es gibt verschiedene Arten der Aufputschmittel; solche, die das Herz-Kreislauf-System ankurbeln sollen, die über die

Ermüdungsgrenze hinweghelfen sollen, solche Aufputschmittel werden offenbar immer wieder genommen, wie die Dopinganalysen ja ergeben, desgleichen Anabolika.

In Kraftsportarten ist die Anwendung von Anabolika - das sind Hormonabkömmlinge -seit Jahren üblich gewesen und hat schließlich dazu geführt, daß diese Substanzen auf die Dopingliste gesetzt wurden.

FURCHE: Man weiß von Sportlern, die aus der DDR geflüchtet sind, daß dort den Sportlern regelmäßig gewisse Substanzen verabreicht werden, die dann nicht nachgewiesen werden konnten. Wie weit ist die Wissenschaft überhaupt beim Nachweis all dieser Substanzen?

AIGNER: Der Nachweis gelingt an und für sich vom rein analytischen Verfahren her selbst in kleinsten Spuren, nur, wenn man zeitgerecht vor einem Wettkampf diese Präparate absetzt, dann ist es gerade bei den Anabolika so, daß man dann noch in den Genuß der günstigen Wirkung im Wettkampf kommt, ohne daß diese Substanzen, die ja inzwischen vom Körper ausgeschieden wurden, nachgewiesen werden können.

FURCHE: Aber der Anwendungsbereich dieser Mittel ist begrenzt?

AIGNER: Ja, und zwar nur auf Sportarten, wo es auf Kraft oder Schnellkraft ankommt. Es kommt nur auf die Dosis an und den Zeitraum, in dem man solche Substanzen verabreicht, wie stark - auch im Zusammenhang mit einem entsprechenden Training - der Muskelzuwachs ist.

FURCHE: Können nicht Dopingmittel wie die Anabolika zu schweren gesundheitlichen Schädigungen führen?

AIGNER: Bei Langzeitanwendung und in hohen Dosenbereichen können sie zu Leberschädigungen führen. Die Betonung liegt auf „können", das ist keine zwangsläufige Folge. Es handelt sich hier um Leberzellenschädigungen, die zum Teil reversibel sind, es gibt aber auch bereits Hinweise auf Lebertumoren, die durch solche Substanzen ausgelöst werden können.

Aber da sind die Zeiten noch zu kurz, weil die Entwicklung solcher Lebertumoren etwa zehn bis fünfzehn Jahre beträgt. Sie können sich vorstellen, wie schwer es nachzuweisen ist, daß das dann auf die Anabolika zurückzuführen ist. Es wird ja jeder Sportler verneinen, Anabolika genommen zu haben.

FURCHE: Ist es möglich, in bestimmten Sportarten durch Änderung der Regeln die Zahl der Schädigungen zu senken?

AIGNER: Natürlich könnte man in manchen Sportarten, indem man bestimmte Übungen aus dem Programm nimmt, dazu beitragen, daß einiges gesünder abläuft. Ich denke besonders an Übungen beim Turnen oder Frauengymnastik. Aber das sind Dinge, die nicht die Mediziner zu entscheiden haben, sondern die Sportvereine.

Es ist nicht notwendig, daß bei Kindern gewisse Übungen schon so stattfinden, daß es zu Wirbelsäulenschädigungen im Wachstumsalter kommt. Es muß nicht sein, daß der Turner in einer unphysiologischen Haltung den Abgang von den Geräten vollzieht. Das ist eine Konvention, aber Konventionen könnte man ja ändern.

FURCHE: Geht von den Medizinern manchmal eine Initiative aus, in dieser Hinsicht Änderungen durchzuführen?

AIGNER: Wie lange reden wir schon von den Skischuhen, die nicht optimal sind, passieren tut relativ wenig oder nichts! Wie lange reden wir schon von sportlichen Übungen, die ungeeignet erscheinen, und trotzdem passiert überhaupt nichts!

Am ehesten ist es möglich, daß der einzelne Athlet sich an Ratschläge hält, die man ihm gibt, damit er bestimmte Übungen - zumindest zeitweise - meidet oder Ausgleichsübungen macht, aber von einer generellen Linie kann man nicht sprechen.

FURCHE: Denn der einzelne Sportler kann die Abgangshaltung beim Turnen nicht ändern ...

AIGNER: Völlig richtig, das kann er nicht. Vielleicht im Training, aber wenn er sie im Wettkampf ändert, ist er bei der Benotung weg. Vieles ist ja irrational, das ist Konvention, und es ist egal, ob es diesem oder jenem wehtut. Da stehen wir eben vor der Tatsache, daß man nur mit langjähriger Aufklärungsarbeit vielleicht etwas erreichen kann.

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