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Der prolongierte Winterschlaf

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Eher in einem krassen Widerspruch zu den Ankündigungen von Bundeskanzler Dr. Kreisky, die Regierung werde verstärkt auf die parlamentarische Realisierung ihres Programms drängen, steht die nüchterne Realität des Parlamentsfahrplanes für die nächste Zeit:

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Eher in einem krassen Widerspruch zu den Ankündigungen von Bundeskanzler Dr. Kreisky, die Regierung werde verstärkt auf die parlamentarische Realisierung ihres Programms drängen, steht die nüchterne Realität des Parlamentsfahrplanes für die nächste Zeit:

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Mindestens bis Mitte Juni wird sich lim Hohen Haus am Ring nahezu nichts tun.

Im Lichte der wenige Tage zuvor abgegebenen Erklärung des Bundeskanzlers, die eher heiße Parlaments- debatten um nicht minder heiße Eisen versprachen, nimmt sich gleich die Tagesordnung der ersten Sitzung der Frühjahrssession geradezu grotesk armselig aus.

Schon der erste Tagesordnungspunkt war keineswegs angetan, einen Hund hinter dem Ofen hervorzulocken: Denn eine Debatte über die XX. Sitzung des Europarates hatte der politische Durchschnittsbürger nacht als Auftakt zu einer allgemein mit Spannung voraus gesagten Konfrontation der Parteien erwartet. Doch selbst diesen Punkt auf die Tagesordnung zu bringen (was übrigens einem Herzensbedürfnis des SPÖ-Kluib- chefs Dr. Pittermann entsprach), war nicht einfach. Man mußte in Windeseile eigens noch für den Vortag einen Außenpolitischen Ausschuß einberufen und auf die „Auflagefrist” (die in der Geschäftsordnung vorgesehene Frist zwischen Behandlung im Ausschuß und im Plenum) verzichten, damit dieses Ereignis über die innenpolitische Bühne gehen konnte. Die restliche Sitzung bestritt die ÖVP mit drei Gesetzes- entwürfen (Lebensmitteigesetz. Woh- nungsverbesserungsgesetz, Wohnungsbegünstigungsgesetz).

Eher schmal sieht auch das Programm der nächsten Zeit aus: Während des ganzen Monats Mai wird das Parlament nur eine weitere Sitzung (12. Mai) ebhaltem und sich dann bis zum 8. Juni ausrasten. Eingeplant haben die Fahrplanbastler in der Präsidialsitzung — ihr gehören die drei Parlamentspräsidenten und die drei Kiubobmänner an — auch noch eine Sitzung am 16. Juni.

Die großen Brocken liegen in Unterausschüssen, in die man sie gegen Ende der Herbstsession abgeschoben hatte, weil keine Einigungschance bestand. Diese Unterausschüsse aufzutauen, ist mühsam und vor allem zeitraubend. Noch im Unterausschuß schlummern beispielsweise die Strafrechtsreform, das Kraftfahrgesetz, das Wohmmgsreformpaket und das Bundesstraßengesetz.

Davon arbeitet augenblicklich und fallweise nur der Unterausschuß zur Beratung der kleinen Strafrechtsreform. Doch auch dort gehen die Arbeiten im Schneckentempo weiter. Was ist also los mit dem Parlament? Wo bleibt die von Dr. Kreisky angekündigte Konfrontation, von der die Frage entschieden werden soll, ob die Österreicher in nächster Zeit wieder zur Wahlurne gebeten werden?

Etwas verblüfft waren die Vertreter von ÖVP und FPÖ jedenfalls aus der Präsidialsitzung vom 29. April herausgekommen, denn man hatte erwartet, daß die Sozialisten in dieser Sitzung mit einem Bündel von Beratungswünschen anrücken würden. Doch nichts geschah. Dr. Pittermanns Hauptwunsch war, man möge es doch zulassen, daß am 5. Mai eben dieser Europaratsbericht behandelt werden könne…

So hatte schließlich die ÖVP leichtes Spiel, diesen Parlamentstag zum

„Hochjubeln” ihrer Initiativen zu nützen.

Das eigenartig lethargische Verhalten der Sozialisten hat natürlich bereits die politischen Astrologen aller Preisklassen auf den Plan gerufen, die sich nun emsig mit der Frage beschäftigen, welche Taktik sich wohl hinter diesem seltsamen Verhalten der Regierungspartei verborgen halten mag.

Eher weniger ernst ziu nehmen sind jene, die mutmaßen, der SPÖ-Klub sei nicht willens, sich der Arbeitswut Kreiskys zu beugen. Sie spekulieren dabei auf Dr. Pittermann, der nicht eben Kreiskys Frerund ist.

Sie verweisen dabei auch auf eine Parallele zur verflossenen Legislatur periode, in der der ÖVP-Klub mitunter recht heftig gegen die Arbeitswut des damaligen Bundeskanzlers Klaus demonstrierte.

Doch die SPÖ ist nicht die ÖVP, Dr. Kreisky nicht Klaus …

Die SPÖ ist diszipliniert und Doktor Kreisky so unumstritten ihre dominierende Persönlichkeit, daß gegen ihn ernstlich kaum jemand ..aufzumucken” wagt. Wahrscheinlich haben jene recht, die meinen, der prolongierte parlamentarische Winterschlaf passe sogar recht gut in das Konzept des Bundeskanzlers. Zunächst ist eine geringere Zahl von Plenarsitzungen für die Regierung von Vorteil, weil damit die Chance der Opposition geschmälert wird, sich von ihrer wirksamsten Plattform aus an die Öffentlichkeit zu wenden. Außerdem enthält jede Parlamentssitzung für die Minderheits- regierung eine gewisse Gefahr, zur Abstimmungsniederlage zu werden. Gewiß, Dr. Kreisky sucht bereits nach einer Absprungsbasis zu Neuwahlen, doch den günstigsten Zeitpunkt möchte er bestimmen. Er möchte abspringen, nicht wegkatapultiert werden:

Und gerade für den Fall baldiger Neuwahlen kann es Dr. Kreisky nur recht sein, wenn jene Gesetze, von denen er immer in der Öffentlichkeit spricht, jetzt tunlichst nicht zur Behandlung kommen.

Das mag auf den ersten, Blick widersinnig scheinen, ist es aber in keiner Weise.

Wenn das Parlament in den nächsten Monaten so gut wie nichts arbeitet, dann kann er mit guten Erfolgsaussichten darauf hoffen, daß ihm die Bevölkerung die Klage abkauft, man habe ihn und sein Team nicht arbeiten lassen. Wie viele Menschen in diesem Land werden es wissen, daß nicht gearbeitet wurde, weil die Sozialisten das Parlament nicht bemühten?

Für den geeigneten Augenblick kann der Kanzler jedenfalls alle jene Themen wieder aus der Tiefkühltruhe des Parlaments holen und zu neuen Wahlparolen auftauen, die bereits vor geraumer Zeit dort deponiert warden sind.

Er weicht damit auch der Gefahr aus, daß diese publikumswirksamen Themen eventuell bereits im Parlament zerredet, als unrealistisch und unbrauchbar abgewertet sein könnten: Gerade damit hat Dr. Kreisky seine bitteren Erfahrungen.

Schiebt Kreisky die Dinge vor sich her und redet er darüber, hat er alle Trümpfe weiter in der Hand, sich dem Volk in einigen Monaten wahlattraktiv zu präsentieren. Welche Trümpfe aber hat die Gegenr Seite in der Hand, dieses Spiel zu durchkreuzen?

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