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Der Provinzgeschmack siegt auf allen Linien …

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Denkmalschutz und Revitalisierung alter Baudenkmäler sind zum großen Schlager geworden: 1975, das UNESCO-Jahr des Denkmalschutzes, wird auch in Österreich mit zahlreichen Großvorhaben, Restaurierungsaktionen uiid nicht geringem Geldaufwand begangen. Und doch droht um das Gesamtschaffen eines der größten Architekten.an:der. Wende zutß urn das Werk Otto Wagners, eines der skandalösesten Debakel auszubrechen: Rücksichtslos wird Wagners Schaffen, das zur „unbegrenzten Großstadt“ die Metropole Wien formte und heute noch prägt, gewissenlos zerstört Auf allen Linien.

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Denkmalschutz und Revitalisierung alter Baudenkmäler sind zum großen Schlager geworden: 1975, das UNESCO-Jahr des Denkmalschutzes, wird auch in Österreich mit zahlreichen Großvorhaben, Restaurierungsaktionen uiid nicht geringem Geldaufwand begangen. Und doch droht um das Gesamtschaffen eines der größten Architekten.an:der. Wende zutß urn das Werk Otto Wagners, eines der skandalösesten Debakel auszubrechen: Rücksichtslos wird Wagners Schaffen, das zur „unbegrenzten Großstadt“ die Metropole Wien formte und heute noch prägt, gewissenlos zerstört Auf allen Linien.

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Eine Zerstörungsaktion von verheerenden Ausmaßen, die vom radikalen Abbruch seiner monumentalen Stadtbahnanlage bis zur Verschandelung provinziell-peinlichen Ausmaßes reicht. Und wenn die Verwüstungen nicht gestoppt werden, wird vom Gesamtwerk Wagners, der uns heute mindestens ebenso bedeutend, ja geradezu als Gegenpol zu Adolf Loos erscheint, fast nichts mehr im Originalzustand erhalten sein.

Der Wirbel um Wagner begann erst vor kurzem und eigentlich ganz zufällig: Es hagelte plötzlich Pro’test- telegramme prominenter ausländischer Architekten und Architektenvereinigungen, das Bundesdenkmalamt wurde alarmiert, die Zentralvereinigung österreichischer Architekten schlug Alarm, das Bauzentrum warnte und rief zur Sofortaktion auf. Der Grund: Otto Wagners Hauptwerk, die Postparkasse, ist in Gefahr, zum kläglichen Torso zurechtrenoviert, modernisiert und damit eigentlich, dilettantisch verpfuscht zu werden. Zwar hatten Architekt Sepp Steiners Entwürfe zur Instandsetzung des berühmten Wiener Postsparkassengebäudes beim Landeskonservator für Wien zuerst Anklang gefunden. Und auch die Öffentlichkeit glaubte an mustergültige Arbeit: Denn die Fassaden des Bauwerks und der Innenhof wurden beispielhaft restauriert, Wagners erlesen ausgestaltete Gouverneursräume sollten mit viel Einfühlung erneuert werden, wobei sogar die Originalmuster der Möbelbespannungen nachgewebt werden; und auch für die Kassen- und Nebenhallen legte man Neugestaltungsversuche vor, die Wagners Konzept in keiner Weise störten. Der Eindruck, daß hier Traditionsbewußt- •sein, Verständnis für Wagners Stil und Meisterschaft, kultivierter Geschmack das Emeuerungskonzept bestimmten, wurde durch nichts getrübt.

Der Schrecken packte alle erst bei der Präsentation des zur Hälfte adaptierten Hauptkassenraumes. Und jetzt war der Skandal nicht mehr abzuwenden: Was übelster Provinzgeschmack nur auszuhecken vermochte, wurde da als zeitgemäße Lösung angeboten. Akademiestudenten konnten originate Eichentüren und Beschläge Wagners vom Misthaufen retten … Die Demolierung war perfekt, der Schaden ist kaum wieder gutzumachen. Die neue „Hauptkasse“ präsentiert sich, wie man sich schlechte Sparkassenarchitektur in einem deutschen Provinzstädtchen nicht übler im Geschmack, nicht katastrophaler vorstellen kann: Natürlich, noch ist glücklicherweise nicht die weltberühmte Haupthalle der Postsparkasse in Angriff genommen, die fast in jeder Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ihren Platz hat. Noch ist sie also zu retten. Aber was sich allein in diesem Nebenraum präsentiert, entspricht genau dem, was Adolf Loos schon vor Jahrzehnten über den Wiener Baugeschmack und seine Zukunft voraussag’te: „Mährisch-Ostrau, in fünf Etagen“.

In der Postsparkasse hat man sich nämlich nicht einmal überlegt, daß durch die Zerstörung auch dieses Nebensaals letztlich Otto Wagners geniales Baukonzept, die Baustruktur dieses vielleicht bedeutendsten Werks der österreichischen Architektur um 1900, gewissenlos, ohne jedes Verantwortungsbewußtsein zertrümmert wurde. Was-Schutz und Erhaltung eines „Baudenkmals“, was Wagners Stil, was Geschmack bedeuten, scheint dem verantwortlichen Architekten völlig fremd zu sein. Denn sonst hätte er wohl vor allem jene prinzipiellen Eigenheiten Wagner- schen Bauens nicht zerstört: Prinzipien, wie die offene optische Gestaltung technischer Einbauten — man denke nur an seine ebenso originellen wie praktischen Belüftungssäulen und Heizungen —, wie die klare Formung, entsprechend der Eigenart der Materialien, wobei es keine falschen Verkleidungen und versteckten Pfeiler, keine das Raumkonzept zerstörenden Beleuchtungsanlagen und falschen Träger gibt…

Das alles wurde hier ignoriert. Ein Denkmal steuert seiner Entstellung entgegen. Bis zur Gesichtslosigkeit. Und es gibt nur noch einen Ausweg: Sofortigen Baustopp! Und genaueste Prüfung, wie modernste technische Errungenschaften, wie sie nun einmal für ein Bankunternehmen notwendig sind, mit der Struktur dieses Wagner-Bauwerks zu koordinieren sind. Denn sonst werden letztlich auch alle positiven Aktionen, wird aller erfreuliche Aufwand der Postsparkasse (wie die Bemühungen um den Originalzustand der Gouverneursräume) zur Farce degradiert. Und wirken nicht gerade alle mutwilligen Verfälschungen von Architektur just am Wenk Otto Wagners besonders peinlich, weil er zugleich Meister eines modernen Funktionalismus war, und dekorative Elemente stets aus dem Geist eines Bauwerks, aus seinem Konstruktionskonzept entwickelte? Wagner so zu verschandeln, wie dies in der Postsparkasse geschehen ist, ist das, was Loos an der Architektur am meisten gegeißelt hat: die „Lüge in der Architektur“. Und man kann sich nur beeilen, Wien die internationale Blamage zu ersparen.

Doch der Wirbel um die Postsparkasse ist nur ein Teil der Katastrophe um Wagner: Daß gleichzeitig sein Stadtbahnkonzept zertrümmert, seine schönsten Stadtbahnstationen demnächst serienweise demoliert werden sollen, ist eine noch größere Katastropne. Man kann nur immer wieder hoffen, daß sich Wege finden werden, wenigstens einzelne zu bewahren, so wie Paris einen Teil seiner Metro-Abgänge erhalten hat.

Aber mit der Stadtbahn drohen auch Wagners Bahnbrücken zu fallen, die in ihrer Verbindung von Schönheit der Konstruktion, Material- und Funktionsgerechtheit zur bedeutendsten Eisenarchitektur des ausgehenden 19. und 20. Jahrhunderts gehören; und mit der Stadtautobahnplanung auch die Wienfluß- und Donaukanaluferbauten … Und sonst: Da hat die Zentralspar- kasse der Gemeinde Wien eine Sanierung des berühmten Schützenhauses am Donaukanal versprochen, ja sogar elnė Errichtung eines Wagner-Museums angedeutet, aber der Zustand dieses originellen Baus wird immer schlechter, ohne daß etwas dafür geschehen wäre. Und auch seine Lupusheilstätte ist längst nur noch ein Torso …

Man wird sich also im Fall Wagner bald an seine wenigen beispielhaften Häuser in der Wienzeile, in der Stadiongasse, im 13. Bezirk halten müssen: Denn die meisten seiner Hauptwerke, wie die Stadtbahnbauten oder die Kanalregulierungsanlagen, wird man bald nur noch auf alten Postkarten studieren können.

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