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Der provozierte Klassenkampf

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Sind Unternehmer wirklich nur smarte, trickreiche Produzenten? Die Verfasser des Sozialhirtenbrief-Entwurfes vermitteln jedenfalls ein falsches Bild des Wirtschaftens.

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Sind Unternehmer wirklich nur smarte, trickreiche Produzenten? Die Verfasser des Sozialhirtenbrief-Entwurfes vermitteln jedenfalls ein falsches Bild des Wirtschaftens.

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Bei Lektüre der Diskussionsgrundlage zum Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe muß man sehr an sich halten, um nicht in starke Unmutsäußerungen auszubrechen, so sehr haben nicht nur schiere Unkenntnis der österreichischen Gegebenheiten von 1988, sondern — das muß in aller Offenheit ausgesprochen werden — auch böser Wille, bewußtes Negieren der Tatsachen, die Feder geführt. Aber wer die geistigen Väter dieses Entwurfes kennt, wundert sich nicht mehr. Der Kirche in Österreich wurde damit kein guter Dienst erwiesen, ganz abgesehen davon, daß ein solches Dokument doch nicht als offizielle Meinung des Episkopates veröffentlicht werden kann. Hoffen wir also, daß nun Vernunft, soziales und politisches Verantwortungsgefühl und vor allem Bemühen, bei selbstverständlicher Anerkennung des überzeitlichen Auftrages der Kirche, Objektivität auch in wirtschaftlichen und sozialen Fragen zu wahren, letztlich obsiegen werden.

Ohne im einzelnen auf die Abschnitte und Fragen der Diskussionsgrundlage einzugehen, fällt doch auf, daß zwei wesentliche Daten nicht zur Kenntnis genommen wurden: zum einen die Funktion des Unternehmers, besser: des unternehmerischen Menschen, um jedes Mißverständnis auszuschließen, zum anderen die Position der sozialpartnerschaftlichen Institutionen nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft.

Zunächst zum „Unternehmer“: Niemand verlangt von der Kirche, daß sie sich gewissermaßen als verlängerter Arm von Bundeskammer und Industriellenvereinigung fühlt oder verhält, wohl aber muß man hoffen können, daß den Autoren Aufgabe und gesellschaftliche Verantwortung des schöpferischen, innovativen, eben unternehmerischen Menschen nicht entgangen sind, gerade im Zusammenhang mit der Schaffung der nötigen materiellen Grundlagen für die Erfüllung berechtigter sozialer Anliegen. Es geht nicht um den — symbolisch gesprochen — „Kommerzialrat“, sondern um den „entrepreneur“, um jenen, der Werte schafft. Das kann in vielen Bereichen des Lebens, nicht nur im engeren Unternehmensbereich, der Fall sein.

Hier wäre auch Gelegenheit zur Adhortation: etwa gegen das „Yuppy“-Phänomen, den rücksichtslosen, nur dem Materiellen und dem Lebensgenuß zugewandten, sich oft in ethischen Grauzonen bewegenden Spieler, für den der große „Crash“ vom Oktober 1987 zumindest Warnlichter aufleuchten ließ. Es wäre hier ohne weiteres möglich, darauf hinzuweisen, daß Schaffen von Werten nicht primär von raffinierten finanziellen Transaktionen abhängt, mit einem Wort: daß es eine zutiefst moralische unternehmerische Verantwortung gibt — gegenüber der Allgemeinheit, vor allem auch gegenüber den Mitarbeitern.

Starke mahnende Worte könnten zu Recht gesprochen werden etwa auch zur Sozialpflichtigkeit des Eigentums, das doch von der Katholischen Soziallehre so ernsthaft behandelt wird.

Man würde sich aber auch wünschen, daß eine für Österreich besonders gefährliche Erscheinung bedacht wird: der Umstand, daß die Zahl der „Kontrollierenden“ zu Lasten der „Kontrollierten“, die aber die Werte schaffen und — no-tabene — den „Kontrollierenden“ auch die Existenz ermöglichen, immer größer wird. Kein Wort davon!

Zum zweiten, der Sozialpartnerschaft: Niemand erwartet von der Kirche, daß sie diese in Jahrzehnten bewährte Institution mystisch verklärt, sie kann und soll deren Funktion jetzt und in einer im Wandel befindlichen Welt analysieren und auch neue Ziele setzen. Auch hier leider wieder: Fehlanzeige. Warum wird nicht auf neue Verpflichtungen eingegangen, etwa in der Bildungsund in der Umweltpolitik, zu welchen beiden auch die Sozialpartner, die doch in einem inneren Evolutionsprozeß begriffen sind, ihren Beitrag zu leisten haben?

Noch eines sei angemerkt: Gerade in Unternehmerkreisen wird sehr ernsthaft über Ethik der Wirtschaft, teils fundiert, teils oberflächlich, aber sicher immer mit lauteren Absichten, diskutiert. Läßt man sich hier nicht eine Gelegenheit zu klaren Aussagen entgehen?

Nur ein blinder, besser: blindwütiger Vertreter unternehmerischer Interessen könnte leugnen, daß der Kirche auch auf den genannten Gebieten eine Aufgabe als „Mutter und Lehrerin“ zukommt. Aber dann, bitte, nicht wehleidig-realitätsfern, sondern offen, mutig und auch mit der gehörigen Portion Optimismus, daß, wenn man die soziale Entwicklung der letzten hundert

Jahre — etwa seit „Rerum nova-rum“ — Revue passieren läßt, die Welt doch anders geworden ist, auch und gerade in Österreich, nicht zuletzt dank den Erkenntnisprozessen bei beiden Sozialpartnern seit 1945.

Einäugige Sicht

Seit wann ist es Auftrag der Kirche, einen neuen Klassenkampf zu fördern, statt — bei aller Aufrichtigkeit der ihr zustehenden Forderungen aus überzeitlicher Sicht — zur vielzitierten „Versöhnung“ und Besinnung auf den Menschen beizutragen, ohne auf einem Auge blind zu sein?

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