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Der Rahmen hat Format

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Die Schonzeit geht zu Ende, am 22. Oktober beginnt für Gerd Bacher der Emst seines zweiten Generalintendantenlebens. An diesem Tag tritt das neue groß angekündigte TV-Programmschema in Kraft, und gleich in der ersten Woche werden mit den Erfolgsfilmen „Love Story” und „Mach’s noch einmal, Sam!” sowie einer Nestroy-Ubertragung aus dem Wiener Burgtheater („Kampl”) einige glühend heiße Eisen in die Infratest-Schlacht geworfen.

Wer sich der Schwierigkeit einer möglichst vielen Wünschen gerecht werden wollenden Programmplanung bewußt ist (alle können ohnehin niemals befriedigt werden), kann nicht umhin, das neue Programmschema als Fortschritt gegenüber allen bisherigen Versuchen auf diesem Gebiet zu begrüßen. Hängt auch das Programmschema vorläufig gleichsam nur als leerer Rahmen da, den es erst mit entsprechenden Inhalten zu füllen gilt, so läßt dieser Rahmen doch bereits ein vielversprechendes Format erkennen. Was in diesem Fall nicht nur quantitativ - noch nie gab es in Österreich so viel TV-Pro- gramm wie nach dem 22. Oktober- zu verstehen ist.

Erster Pluspunkt, den der Künigl- berg-Boß verbuchen darf: Die künftigen Schwerpunkte „unterhaltend” und „anspruchsvoll” sind fast gleichmäßig auf beide Kanäle aufgeteilt und sollen jeden Abend echte Kontrastprogramme garantieren (siehe Kasten). Montag, Mittwoch,. Freitag und Samstag soll der erste Kanal vor allem „unterhaltend” sein und der zweite Kanal anspruchsvollere Kost bieten, an den übrigen Tagen ist es umgekehrt.

Ein möglicher Einwand bei diesem täglichen Kontrast: Der Seher wird nie zu Anspruchsvollem gedrängt, er kann immer in den jeweiligen Unterhaltungskanal flüchten. Künftige Infratests werden Aufschlüsse darüber geben, wie weit diese Befürchtung berechtigt ist. Möglich, daß nun nicht wie bisher meist FS 2, sondern der jeweilige „anspruchsvolle” Kanal die wesentlich niedrigere Seherbeteiligung aufweist.

Vor einer Sendung wird man allerdings nur durch Abschalten flüchten können - vor der „Zeit im Bild”, die um 19.30 Uhr in beiden Programmen ausgestrahlt wird. Als zweite Feder heftet sich ja Gerd Bacher die Tatsache an den Erfolgshut, daß nun erstmals beide Programme als Vollprogramme zu bezeichnen sind und damit erst „der Auftrag des Rundfunkgesetzes 1974 erfüllt wird”. Tatsächlich hat der zweite Kanal in der Sendezeit gleichgezogen und liegt im Budget nur mehr rund zehn Prozent zurück.

Statt der „Zeit im Bild 2” kommt als tägliche zweite Informationssendung „Zehn vor zehn” um 21.50 Uhr in FS 2, das damit sogar über das reichhaltigere Nachrichtenangebot verfügt. Ein besonders wichtiges Beispiel für die dritte Ruhmestat des ORF: die Einführung fixer Beginnzeiten im Vor- und Hauptabendprogramm.

Trotzdem findet die große Explosion diesmal nicht wie in der Ära Bacher I auf dem Informationssektor, sondern vor allem auf dem Kultur- und Wissenschaftssektor statt. Um ganze 127 Prozent (!) wurde das Budget für Wissenschaftssendungen gesteigert, die Besserstellung der Kultur kommt weniger in der Budgeterhöhung (nur 16 Prozent) als in der besseren Sendezeit für etliche Sendungen zum Ausdruck.

Nicht nur, daß die Wissenschaft nun wie Kultur und Sport auch in den aktuellen Nachrichtensendungen mehr berücksichtigt werden soll, wird sie auch im neuen Programmschema mit mehreren neuen Sendungen (speziell am Montag und Dienstag in FS 2) vertreten sein. Ein ziger Wermutstropfen für Wissenschaftsfreunde: die Sendezeiten liegen in Randzonen (vor 19.30 Uhr oder nach 21 Uhr).

Das neue „Cafė Zentral” (nach dem legendären Wiener Literaten- und Künstlertreff der Jahrhundertwende benannt) dürfte ein Herzensanliegen von FS-2-Intendant Ernst Wolfram Marboe sein, der dort aber keineswegs nostalgischen Gefühlen nachhängen, sondern die moderne Kunst- und Kulturszene von allen Seiten (mit. Einspielungen, Gesprächen, Live-Auftritten) beleuchten will. Eine wöchentliche Kultursendung zur Hauptsendezeit Mittwoch, 20.15 Uhr, FS 2), noch dazu als eine Art „Live-Open-House” auf dem Künigl- berg, ist zweifellos ein Wagnis. Aber ein wünschenswertes, zu dem man dem ORF nur alles Gute wünschen kann.

Daß über Kultur nicht nur geredet werden, sondern auch vieles direkt aus Theatern und Opernhäusern gesendet werden dürfte, signalisieren die vielen Theatertermine am Wochenende.

Aus der Fülle neuer Sendungen ließe sich noch viel herausgreifen, etwa die neue Jugendsendung „okay”, die „eine unterhaltsame und informative ,Femseh-Illustrierte’ für die Jugend mit Beispielen aus der Jugendszene des In- und Auslandes” sein will. Und vielleicht kommt man auch darauf, daß an diesem Programmschema einiges gar nicht so neu ist, daß sich beispielsweise am Montag-Schema, am Krimi am Freitagabend oder am samstäglichen Ca- rell (alternierend mit Kulenkampff, „Musik ist Trumpf’ und dergleichen) gar nichts ändert. Dabei hätte gerade eine vom ORF ausgehende neue Samstagabend-Sendung (es muß ja nicht „Wünsch dir was” sein) einiges Aufsehen erregen können.

Und wo bleibt Gott im neuen TV- Programm? Auf den ersten Blick hat das Ressort „Religion” die „Theologie im Gespräch” verloren und dafür zweimal wöchentlich ein fünfminütiges „Bibelquiz” eingetauscht, während „Orientierung”, „Christ in der Zeit” und „Die Fragen des Christen” in üblicher Länge im Programm bleiben. Allerdings soll die Religion, abgesehen von speziellen Dokumentationen und Übertragungen an Feiertagen, auch im dienstäglichen „kleinen Fernsehspiel” (21 Uhr, FS 1) und im „Nachtstudio” am Freitag (22.20 Uhr, FS 1) fallweise zum Zug kommen. Wie oft und in welcher Form wird zu beachten sein.

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