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Der Rat des Präsidenten
Zwei Präsidenten trafen einander in Zidlochovice - ein alter und ein neuer Präsident. Der neue, Thomas Klestil, hat jüngst gemeint, es genüge nicht, die Fahne in den Wind der öffentlichen Meinung zu hängen und Unpopuläres zu leugnen oder zu ignorieren. Die Menschen hätten ein Recht darauf, zu erfahren, was auf sie zukommt.
Der alte Präsident, Vaclav Havel, ist einst (wie lang ist das schon her?), zum Präsidenten der Tschechen und Slowaken gewählt worden, weil er unter der kommunistischen Diktatur den Versuch gewagt-hat, in der Wahrheit zu leben. Jetzt ist er zurückgetreten.
Der Tscheche Havel und der Österreicher mit dem tschechischen Namen Klestil sprachen viel über die Slowaken, die nun selbständig werden und nichts mehr vom gemeinsamen Präsidenten Havel wissen wollten.
Thomas Klestil ist mit einer respektablen Mehrheit gewählt worden, weil er Distanz gegenüber einer Politik signalisierte, die zum Selbstzweck zu werden droht: Macht um der Macht willen, Scheu vor Visionen, Unlust oder Unfähigkeit, die Lösung der wirklichen Probleme in Angriff zu nehmen.
Vaclav Havel wurde als „unpolitischer" Schriftsteller in der Zeit des Totalitarismus zu einer politischen Figur. In einem Land, in dem die politische Kultur ausgerottet worden war, forderte er eine Politik als angewandte Sittlichkeit, als praktizierte Verantwortung.
Im August 1969, ein Jahr nach der Ausmerzung des „Prager Frühlings" durch Waffengewalt schrieb Havel in einem Brief an Alexander Dubcek: „Es gibt hin und wieder Augenblicke, in denen ein Politiker wirklich politischen Erfolg nur erringen kann, indem er das ganze verknüpfte Netz relativierender politischer Rücksichten, Analysen und Kalkulationen vergißt und sich einfach wie ein ehrenhafter Mensch benimmt. Die plötzliche Anwendung unmittelbar menschlicher Maßstäbe inmitten der entmenschlichenden Welt politischer Manipulationen kann wie ein Blitz wirken, der diese unübersichtliche Landschaft mit hellem Licht überstrahlt. Und auf einmal ist die Wahrheit wieder Wahrheit, die Vernunft Vernunft und die Ehre Wahrheit."
Da sprach der Schriftsteller Havel. Der Politiker Havel war zurückhaltender mit solchen Äußerungen.
Vaclav Havel hat seinem österreichischen Kollegen sein Buch „Brief an Olga" geschenkt. Gedanken, aufgeschrieben im Gefängnis, gewidmet seiner Frau. Es heißt dort einmal: „Hoffnung ist eine Dimension des Geistes. Sie ist nicht außerhalb von uns, sondern in uns. Wenn Du sie verlierst, mußt Du sie neu in Dir selbst und den Menschen um dich herum suchen - nicht in Gegenständen und Geschehnissen."
Vielleicht muß sich der Optimist Klestil, früher als er glaubt, mit diesem Rat beschäftigen.
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