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Der reale Austriazismus
Mir ist ein Politiker, der ein Gauner ist, aber Erfolg hat, lieber als einer, der anständig, aber erfolglos ist." Dieser Satz, von einem Wiener Taxichauffeur im Lokalakzent ausgesprochen, verfolgt mich seit einiger Zeit, weil er kennzeichnend ist für eine demoralisierte Haltung, wie man sie dieser Tage so häufig vorfindet - in einer Zeit also, in der man bei uns vom Sieg des demokratischen Gesellschaftssystems über das kommunistische spricht. Triumph scheint mir aber solange unangebracht zu sein, als wir Österreicher nicht auf die Fragen antworten: welche Konsequenzen ziehen wir aus den Umwälzungen und dem Aufbruch in Osteuropa für uns selbst, inwieweit sind unsere so oft beschworenen „westlichen Werte" tatsächlich für die Mitbürger richtungweisend, und wo ist unsere Gesellschaft verbesserungsbedürftig?
Als Bürger wird mir das vielfache Demokratiemanko, das im österreichischen Wahlrecht liegt, gerade jetzt wieder bewußt: Während man in Ungarn auf das Persönlichkeitswahlrecht zugeht, dürfen wir Österreicher nur große Elefanten auf Listen ankreuzen, und die Wahl über Vorzugsstimmen ist nur eine Ausnahme. Oder welch ein Mißgriff ist diese prohibitive Regelung des Wahlrechtes für Auslandsösterreicher, die zu notariellen Beglaubigungen und anderen Schikanen gezwungen werden. Die Briefwahl wäre einfacher gewesen. Und im Parlament vollziehen die Abgeordneten mit Hilfe des Clubzwanges Entscheidungen nach, die in verfassungsmäßig nicht gedeckten, nicht kontrollierbaren Gremien bereits gefaßt worden sind. Nicht einmal „absegnen" kann man diesen Vorgang noch nennen! Hier gilt es, überholte Strukturen aufzubrechen; in der Tschechoslowakei macht sich ein Vaclav Havel Gedanken darüber, wie Strukturen gebildet werden können, die keine Machtkumulation darstellen, sondern Gemeinschaften sind, kleinere Einheiten, deren Mitglieder volle Verantwortung tragen. Wir Österreicher sollten hier mitdenken.
Unsere Gesellschaft, unsere politische Kultur, unsere Verwaltung sind geprägt durch das gegenseitige Mißtrauen der Menschen - und sie leiden darunter. In der politischen Atmosphäre Österreichs kastelt jeder den anderen ein, so nach dem Motto: „Du mußt ja einer Partei angehören." Derartige Einstufungen passieren überall in der Welt, aber bei uns wirken sie häufiger berufsschädigend, manchmal auch -fördernd, jedenfalls unsachlich. Hier ist eine Änderung in der Geisteshaltung jedes einzelnen erforderlich.
Eine herablassende Haltung des „kapitalistischen Siegers" gegenüber Bürgern osteuropäischer Staaten ist ebenfalls unangebracht. Ein Freund in der Slowakei stellte vor 1968 einmal fest, es gebe ein inneres Kulturgefälle von Ost nach West, denn sie im Osten müßten um ihre Kultur kämpfen und legten daher größeren Wert darauf als wir. Einundzwanzig Jahre danach kann man erfreut sehen, daß es nicht gelungen ist, diese innere Kultur durch kommunistische Diktatur zu zerstören. Gott sei Dank hatte Milan Kundera da einmal nicht ganz recht.
Der Humanismus der Kirche kann meiner Meinung nach auch bei uns dazu beitragen, Werte wie Vertrauen, Offenheit, Verantwortung, Solidarität, Liebe zu rehabilitieren. Auch wenn Bruno Kreisky die Sozialdemokratie heute in entideolo-gisierter Weise definiert, sie bedeute die Demokratisierung aller Lebensbereiche, kann man sich im Interesse einer echten Liberalisierung versteinerter Strukturen, die ihren ursprünglichen Zweck verloren haben, durchaus einverstanden erklären.
Es geht um einen Wandel der Verhaltensweisen in der österreichischen Gesellschaft. Und da können wir von den Amerikanern lernen. Taucht in Amerika ein Problem auf, wird dessen Lösung zumeist als Herausforderung empfunden, während in Österreich zunächst daraus ein Haufen von Bedenken, Einwänden und neuen Problemen gemacht wird. Der Amerikaner sucht selbst nach Problemlösungen. Dies hängt vielleicht mit seinem von Europäern vielfach belächelten Glauben zusammen, daß der Mensch grundsätzlich gut und die Gesellschaft verbesserungsfähig ist.
Das Sichtbarmachen von Entscheidungen der Administration ist in Amerika weniger mühsam als hierzulande, wo Transparenz ein Fremdwort ist. Hier sind Reformen nötig, die die österreichischen Bürger durchsetzen sollten, auch gegen unwillige Politiker - reihenweise Untersuchungsausschüsse genügen nicht mehr, um irgendetwas für die Zukunft zu ändern. Man kann freilich optimistisch sein, auch die österreichische Gesellschaft ist fähig zur Verbesserung, wobei die Hoffnung vom Volk ausgeht, nicht von den etablierten Parteien.
Der Autor ist Pressereferent im Generalsekretariat des Außenministeriums.
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