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Der Reibebaum

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Wo rohe Kräfte sinnlos walten — da ist man als Vater einer 13j ährigen machtlos. Besagte Kräfte stellten sich meinen Erziehungsbestrebungen, die darum bemüht waren, zwischen den Extremen der Taschenbuchpädagogik eine undogmatische Mitte zu halten, in Form des Anpassungsdrucks jener Altersgruppe entgegen. Und gegen den bist du machtlos.

Aber bevor mir diese Erkenntnis dämmerte, mußte ich etliche leidvolle Erfahrungen machen.

Da war einmal die Sache mit den Turnschuhen. Die Erstgeborene setzte es sich nämlich in den Kopf, ausgerechnet mit diesem unpassenden Schuhwerk die Schule (wohlgemerkt jenes Gymnasium, dem traditionellerweise die Bildung der höheren Töchter der Stadt obliegt) zu besuchen.

„Bist du meschugge?", meldete ich einen vorsichtigen Zweifel an. „Du willst doch nicht im Ernst so in die Schule gehen?"

„Laß sie doch", ließ sich da die Angetraute vernehmen, „alle gehen jetzt so!"

„Als ob das ein Argument wäre!" donnerte ich. Aber ich sah schon, da war mit Appellen an Stilgefühl und guten Geschmack nichts auszurichten. Vielleicht half eine volkstümliche Bezugnahme auf das eigene Verhalten.

„Kinder", schaltete ich auf leutselig um, „ich bin, wie jedermann weiß, ein Mensch, dem das, was alle andern tun, schon seit jeher Powidl war. Denn ich lasse mir doch nicht von einem blödsinnigen Massengeschmack vorschreiben, etwas zu tun, von dem ich genau weiß, daß ebenderselbe Massen-geschmack mich ein halbes Jahr später zwingen wird, darüber die Nase zu rümpfen und es als Gipfel der Geschmacksverirrung zu verdammen. Nein, ich bin Gott sei Dank schon von Kindheit an ein autonomer Mensch, der sich nicht manipulieren läßt."

„Du vielleicht, aber ich nicht", beendete die Filia meine Tirade.

„Und mir gefallen eben die Sportschuhe, und wenn sie alle haben, warum soll ich sie nicht haben?"

Ich raffte mich noch einmal auf. „Kind — so kapier* doch endlich, worum es mir geht! Es geht darum, daß man irgendwann einmal lernen muß, einen eigenen Geschmack zu entwickeln..."

„Aber doch nicht mit 13!", schallte es wieder aus der Küche.

„Wann denn sonst?", konterte ich, zunehmend um Fassung ringend. Ich werde euch schon noch kleinkriegen durch eine überlegen geführte Argumentation!

„Geh' denn ich mit Goiserern ins Büro?" Da seid ihr sprachlos, was? Ich legte noch zu.

„Das ist genauso wie in der Musik. Dieses stillose, monotone Geplärr, mit dem du dir neuerdings pausenlos die Ohren volldröhnen läßt, mag meinetwegen in einer Diskothek zum Zweck des Tanzens angebracht sein, aber außerhalb derselben wirkt es deplaziert und öd."

Genüßlich bereitete ich den Einsatz eines schweren Geschützes vor: „Stellt euch einmal vor, in Grönland würden sie andauernd Schuhplattler spielen... Genauso blödsinnig ist es aber, bei uns beinahe ausschließlich, ob zum

Frühstück, bei der Arbeit, zum Kaffee oder im Schwimmbad, englisches Geschrei und Gestampfe immer des gleichen Stils zu konsumieren. Es gibt sehr gute moderne Musik aus Italien, aus Frankreich, aus Brasilien..."

„Aber mir gefallen eben der Michael Jackson und die Niena!"

Ein Gefühl von Müdigkeit und Ohnmacht überkam mich. Ich ging ins Stammbeisel.

„Sei doch nicht so ungeschickt", sagte mein Freund, der Psychiater. „Was regst du dich so auf? Natürlich gefallen ihr diese Dinge auch nicht — schließlich ist sie deine Tochter. Sie will dich damit bloß ärgern. Gib deine ablehnende Haltung auf, ja, übernimm ihren Stil — und du wirst sehen, der ganze Plunder wird sie nicht mehr interessieren."

Das klang einleuchtend. Ich stellte meine Garderobe also auf Freizeit-Look um, kaufte Jog-ging-Schuhe, Docker- und Sweat-shirts und einen Western-An-zug. Im Plattenladen erstand ich alles an Singles und LPs, was momentan „in" war. Zur Abrundung des Ganzen legte ich mir einen Walkman zu und ließ mir im Gymnastik-Studio einige Lektionen erteilen, um den rhythmischfedernden Schritt zu erlernen, den die Kopfhörerberieselung bei den wahren Adepten hervorruft.

Ich hätte es nicht tun sollen. Statt in der gewünschten Weise zu reagieren, verfiel meine Tochter in eine schwere depressive Verstimmung. Ich verstand die Welt nicht mehr.

„Das ist wieder einmal typisch für dich", ätzte die Angetraute. „Weißt du überhaupt, welchen Schaden du ihrer psychischen Entwicklung zufügst?"

„Bis jetzt hat es zwar ständig gekracht zwischen euch, aber das war notwendig für die Ausbildung ihrer Persönlichkeit. Begreifst du nicht, daß sie dich als Reibebaum braucht? Den hast du ihr in deiner Phantasie- und Verantwortungslosigkeit genommen. Jetzt sieh zu, wie du das wieder auf gleich bringst!"

Ich sah zu. Jetzt reiben wir uns wieder — zur allgemeinen lärmenden Zufriedenheit.

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