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Der republikanische Rückgang

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Präsident Nixon hat eine wichtige Wahl verloren. In einem gemischt industriell-agrarischen Wahlkreis im Staate Michigan gab es eine Nachwahl zum Repräsentantenhaus, wobei der demokratische Kandidat über einen menschlich weit überlegenen und beruflich besser qualifizierten Republikaner siegte. Die Presse und die Mehrzahl der politischen Kommentatoren sind der Ansicht, daß „Watergate“ und Präsident Nixon für den Republikaner eine zu große Hypothek dargestellt hätten.

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Präsident Nixon hat eine wichtige Wahl verloren. In einem gemischt industriell-agrarischen Wahlkreis im Staate Michigan gab es eine Nachwahl zum Repräsentantenhaus, wobei der demokratische Kandidat über einen menschlich weit überlegenen und beruflich besser qualifizierten Republikaner siegte. Die Presse und die Mehrzahl der politischen Kommentatoren sind der Ansicht, daß „Watergate“ und Präsident Nixon für den Republikaner eine zu große Hypothek dargestellt hätten.

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Es äst die vierte republikanische Niederlage in fünf Nachwahlen, davon drei in traditionell republikanischen Hochburgen. Diese Schlappen stellen in den Augen vieler Politiker ein echtes Mißtrauensvotum gegen den Präsidenten dar und verstärken den Ruf nach Rücktritt aus den Reihen der eigenen Parteigenossen, die mit Dangen den sogenannten Halbzeitwahlen im November entgegensehen.

An sdch war die Niederlage ziffernmäßig knapp: Der Demokrat gewann mit nur 51 Prozent der abgegebenen Stimmen. Gravierend ist aber, daß Nixon persönlich in den Waihlkampf eingegriffen und daher einen persönlichen Prestigeverllist erlitten hat

Im Weißen Haus betont man, daß Nixon auf jeden Fall für die Niederlage verantwortlich gemacht worden wäre. Überdies habe sein Eingreifen die sich schon seit Wochen abzeichnende Niederlage erheblich knapper gestaltet. Aber Schlappe bleibt Schlappe — niemand fragt mehr nach Prozenten und nach dem Abstand zwischen den Kandidaten zu einem bestimmten Zeitpunkt vor der Wahl. Überdies war dieser Wahlkreis seit 40 Jahren in republikanischer Hand, und wer Nixon übel will, verschweigt auch, daß der Wahlkreis eine für die Demokraten soziologisch günstige Umstrukturierung erfahren hat.

In normalen Zeiten würde man wegen dieser Wahl nicht viel Druk-kerschwärze vergeuden. Im Vorfeld eines Impeachmentverfahrens gegen den Präsidenten gewinnt sie jedoch erheblich an Gewicht.

In einigen Monaten wird das Repräsentantenhaus über die von seinem Justizausschuß zu formulierende Impeachmentresolution abstimmen, und viele Abgeordnete werden sich die Inspiration für ihre Entscheidung aus den Ergebnissen der Mednungsbefragung und aus politischen Entscheidungen ä la Michigan holen. Nur wenige halben eine unabhängige, profilierte Meinung. Die meisten Abgeordneten wollen dem Willen ihrer Wähler gerecht werden, denen sie sich jedes zweite Jahr zur Wiederwahl stellen müssen. Da eine einfache Mehrheit ta Repräsentantenhaus genügt um die Impeachmentresolution durchzubringen und an den Senat zum Urteilsspruch wei-terzudeiten, mehren sich jene Stimmen, die ein Impeachment erwarten. Das Impeachment ist ja eigentlich nur eine Anklageerhebimg. Wenn Abgeordnete für ein Impeachment stimmen, heißt das noch lange nicht, daß der Präsident tatsächlich seines Amtes enthoben wird. Darüber hat der Senat mit Zweidrittelmehrheit zu befinden.

Das ist der Grund, warum die Ergebnisse von Meinungsumfragen im ! Augenblick so wichtig sind und von den Geignern Nixons je nach Bedarf , herausgestellt oder totgeschwiegen werden. Ein klassisches Beispiel ] dafür lieferten kürzlich wieder die I „New York Times“ in ihrer politischen Sonntagsbeilage. Unter der Überschrift „Nixon ständig bei 25 Prozent“ untersuchten sie den Kern des verbliebenen Nixon-Anhanges, der sich überwiegend aus älteren Leuten, vor allem im Süden des Landes, rekrutieren soll. Sie geben jedoch in einem „Alibi-Nebensatz“ zu, daß infolge der Aufhebung des ölembar-gos die Popularität Nixons auf 31 Prozent gestiegen sei Wenn diese Ziffer von 31 Prozent im Nachrichtenteil der „New York Times“ überhaupt veröffentlicht wurde, so geschah dies doch derart versteckt, daß sie sogar mir als genauem Leser fürs erste entging. Dem oberflächlichen Betrachter der Beilage dagegen drangen natürlich nur die groß herausgestellten 25 Prozent ins Bewußtsein, Zwei Faktoren sind es vor allem, die Nixons Ansehen gegenwärtig schädigen: die Geschichte seiner Steuerfassionen und das Tauziehen mit den Watergate untersuchenden Körperschaften — dem Justizausschuß des Hauses und dem Spezial- ! anwalt Jaworski —, um die Ausliefe- ! rung von Tonbändern und Dokumenten. Darüber hinaus leidet die i Regierung Nixon, wie alle westlichen Regierungen heute, unter inflationären Problemen, die durch Ölkrise und Lebensmittelknappheit angefacht werden.

Das Steuerproblem ist jedoch das gravierendste, weil es den kleinen Mann ebenso beschäftigt wie den Politiker und weil die Amerikaner eine sehr hohe Steuermoral betonen.

Im wesentlichen geht es um die Absetzung von etwa 500.000 Dollar vom steuerpflichtigen Einkommen für Schriften und Aufzeichnungen, die Präsident Nixon der Nationalbibliothek geschenkt hat und die auf seine Amtsperiode als Vizepräsident zurückreichen Für den unbefangenen Europäer ist es schon ungewöhnlich, daß ein Präsident Aufzeichnungen aus der Zeit seiner Amtsführung verkauft oder von der Steuer absetzt, aber in den USA ist das durchaus legal und wurde von Präsident Johnson nicht anders gehalten Nixon behauptet überdies, Johnson habe ihn dazu angeregt. Soweit ist noch alles in Ordnung, und was die Ethik betrifft, kann man auch den Standpunkt des Präsidenten vertreten, die Schriften seien von einem Sachverständigen auf eine halbe Million geschätzt worden und erst jüngst habe sie eine Universität um eine Million Dollar kaufen wollen.

Das Problem entstand erst durch einen Stichtag, von dem an solche Geschenke nicht mehr von der Steuer abzugsfähig sind. Es steht zwar fest, daß die Dokumente lange vor diesem Stichtag dem Archiv zugeführt wurden, doch wurde der Schenkungsakt erst nach dem Stichtag unterzeichnet. Somit geschah die Schenkung erst nach dem Stichtag, und der Steuerabzug erfolgte zu Unrecht Die Steuerbehörde hat den Präsidenten zwar keiner Betrugsabsichten bezichtigt, doch eine Nachzahlung von etwa 400.000 Dollar vorgeschrieben. Nixon hat, wie versprochen, gegen diesen Entscheid keinerlei Einspruch erhoben und wird die für ihn sehr große Nachzahlung leisten. Freiwillige Spenden von Leuten, die dem Präsidenten helfen wollten, die Nachzahlung zu leisten, wurden mit Dank retour-niert. Diese Bereitwilligkeit hat zwar einiges Gift entfernt um so mehr, als ein Einspruch nicht chancenlos gewesen wäre, hat alber immer noch einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen.

Bei der in Amerika herrschenden Tendenz zur Verallgemeinerung wird nun dem Präsidenten zwar nicht Be-tnugsabsicht, so doch eine fragwürdige ethische Einstellung angelastet, die noch insofern mit Schadenfreude gewürzt ist als die Nationalbibliothek erklärt hat, daß die Schenkung zu Recht erfolgt sei und der Präsident die Schriften nicht mehr zurücknehmen könne.

Die Stimmung gegen Nixon wird auch nicht verbessert durch die Verzögerung der Herausgabe von Tonbändern und Dokumenten an den Justizausschuß des Abgeordnetenhauses oder an den Spezialanwalt Jaworski. Schon zum zweitenmal mußte mit einer „Subpoena“ — einer gerichtlichen Zwangsvergügung — gedroht werden was wieder in der Bevölkerung den Eindruck verstärkte, der Präsident habe etwas zu verbergen. In Wirklichkeit geht es sowohl um ein Prinzip als auch um taktische Manöver. Prinzipiell verteidigt der Präsident die Gewaltentrennung. Der Justizausschuß gehört der Legislative an und sollte daher von der Exekutive (dem Weißen

Haus) streng getrennt bleiben. Da das Repräsentantenhaus laut Verfassung aber jene Institution ist die ein Impeachmentverfahren führt, muß es logischerweise auch das einschlägige Material erhalten. Hier setzt nun das Tauziehen ein. Das Weiße Haus ist zwar bereit, relevante Unterlagen auszuliefern, wül sich aber die Entscheidung über „Relevanz“ vorbehalten. Der Justizausschuß dagegen zeigte ursprünglich die Tendenz, wahllos Unterlagen zu fordern, offenbar in der Erwartung, belastendes Material und neue Gesichtspunkte für das Impeachinient-verfahren zu finden. Nixon nannte das eine „Fischereiexpedition“ und wies die Forderung zurück. Inzwischen hat der Justizausschuß seine Forderung präzisiert und dem Weißen Haus im Kompromißweg auch zugestanden, den Verteidiger des Präsidenten dem foipeachmentver-fahren beizuziehen. Er soll das Recht erhalten, bei der Sichtung anwesend zu sein, Zeugen zu verhören und eigenes Material vorzubringen — wie in einem regelrechten Gerichtsverfahren. All das war bisher ungeklärt, da es historisch keine Präzedenzfälle gab. Der Kompromiß gegenüber dem Weißen Haus hat nun auch wieder die republikanische Minorität im Ausschuß zum Einlenken gebracht, die wegen der eingangs unkonzilianten Haltung der demokratischen Majorität mit Opposition drohte. Nichts wäre aber den Demokraten weniger lieb als ein tmpeach-menitverfahren, das einen parteipolitischen, einseitig demokratischen Anstrich hätte. Zuletzt stimmte dann die Mehrheit der Republikaner mit den Demokraten im Ausschuß für ein „Subpoena“ der ziffernmäßig reduzierten Unterlagen, da hinsichtlich Relevanz eine Antwort des Weißen Hauses als unbefriedigend angesehen wurde.

Neben dem Justizausscbuß fordert auch Spezialanwalt Jaworski neue Unterlagen, um die verschiedenen, gegen Mitarbeiter des Präsidenten anhängigen Verfahren mit Beweis-materia'l zu untermauern. Auch hier wurde eine „Subpoena“ ausgesprochen. Die Schwierigkeit der Auslieferung dieser Unterlagen dürfte jedoch weniger in konstitutionellen Überlegungen als in der Unmöglichkeit bestehen, in kurzer Zeit etwa 60 Tonbänder und Dokumente zu sichten und auf ihre Zuständigkeit zu prüfen.

Bei all den Komplikationen um ein noch nie in dieser Art geführtes Verfahren ist es schwer, einen Terminkalender aufzustellen. Man rechnet jedoch mit dem Beginn der Evidenzsachtung durch den Justizausschuß im Mai, mit der Formulierung einer Resolution im Juni oder im Juli, und mit einer Abstimmung bis zum Ende des gleichen Monate. Im Falle einer Annahme der Resolution durch das Plenum des Hauses wird der Senat zusammentreten und über die Resolution des Hauses befinden. Für dieses Verfahren werden zwei Monate veranschlagt. Die endgültige Abstimmung dürfte im Herbst erfolgen und, wie die Dinge heute liegen, kann der Präsident sicher noch mit einem guten Drittel Stimmen zu seinen Gunsten rechnen, womit dann seine Absetzung ahgelehnt wäre. Es muß aber immer wieder betont werden, daß beim Impeachment nicht nur Tatbestände auf ihre Stichhaltigkeit untersucht werden, sondern Stimmungen und politische Trends in der Bevölkerung ihren Niederschlag finden.

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