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Der Rheintöchter sechse...
Die Wiener Staatsoper hat einen neuen Startenor: Horst Stein. Normalerweise betreut er zwar als Dirigent die Aufführungen. Aber seit der „Götterdämmerung“ mit Hans Beirer als Siegfried wissen wir Stein auch als Sänger zu schätzen. Nach langem Tauziehen in der Direktion, ob Beirer überhaupt auftreten sollte oder nicht, hat man ihm doch noch einmal diese Partie anvertraut. Trotz einem katastrophalen „Ausstieg“ in der „Walküre“, wenige Tage vorher. Auch in der „Götterdämmerung“ passierte eine Katastrophe. Sogar zweimal. Und zweimal sang der empörte Dirigent dem Sänger seine Phrase laut und deutlich an der richtigen Stelle, im korrekten Taktmaß vor. Wäre Beirer, der offenbar Selbstkritik nur als Attribut bei Kollegen schätzt, doch noch einmal vor den Vorhang gekommen, ein Buh-Orkan hätte ihn wohl hinweggefegt ...
Den Mut des neuen Staatsopernchefs in Ehren: Wagners „Ring des Nibelungen“ parallel zu „Boris Godunow“ (in einer fabelhaft stimmungsvollen Aufführung unter Janos Ferencsik) und zur „Trojaner“-Premiere anzusetzen, ist eine Gewaltleistung. Für jedes große Haus. Die Staatsoper hat sie bestanden. Siegfried“ (mit Jean Cox in der Titelpartie) war eine Paradeaufführung, Teile der „Walküre“, in gewissen Grenzen auch das „Rheingold“, bescherten zumindest ein paar aufregend schöne Szenen. Die „Götterdämmerung“ wirkte allerdings nur durch Birgit Nilssons intensiven Einsatz als Brünnhilde und Karl Ridderbuschs stimmgewaltigen Hagen. Sonst — Ebbe! Gesanglich, vor allem aber auch szenisch, wo letzte. Inszenierungsreste aus Karajans Tagen und jedes Beleuchtungskonzept im Grau hinter Schleiern ersinkt. Fünf Stunden lang.
Keine Frage: ein Haus vom Rang der Wiener Staatsoper muß den „Ring“ spielen. Ein kompletter neuer ist kaum zu erwarten, liegt auch gar nicht in Direktor Seefehlners Absicht. Zu viele „Ringe“ sind in den letzten Jahren überall produziert worden und werden noch inszeniert: Von Mailand bis London, von Bayreuth bis Salzburg, Paris und Kassel. Anderseits ist Karajans Inszenierung bis heute ein brauchbarer Spielrahmen geblieben, weil er völlig frei ist von allem modischen Schnickschnack, weil Sänger auch ohne langwierige Probenarbeit in diesen „Ring“ einsteigen können. Und das ist doch auch etwas wert. Wäre es da nicht höchste Zeit, den „Ring“ soweit aufzufrischen, daß wenigstens die ärgsten Ungereimtheiten verschwinden: Zum Beispiel, daß in der „Götterdämmerung“ — fürs Publikum sichtbar! — einander plötzlich sechs staunende Rheintöchter gegenüberstehen ... Doppelt hält doch nicht überall besser!
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