7168827-1982_38_07.jpg
Digital In Arbeit

Der römische Pontifex als Sündenbock der Israelis

Werbung
Werbung
Werbung

Wie gut sich ein Papst gleichsam als Sündenbock zur Ablenkung von eigenen Gewissensfragen eignet, das kennen wir aus gewissen deutschen Debatten seit den sechziger Jahren: von Rolf Hochhuths „Stellvertreter” bis zum jüngsten Versuch eines ExTheologen und Gestapo-Bonzen, sich als Kronzeuge gegen die römische Kirche aufzuspielen. Sie sind auch heute nicht verstummt, angeregt jetzt wieder durch die verständliche Empörung Israels über den Besuch des Palästinenserführers Yassir Arafat beim Papst.

Sechs Jahre lang hat die Kirche zur Judenvernichtung im Hitlerreich geschwiegen, und nun begegne der Papst dem Mann, der in Israel das Werk der Nazi „vollenden” wolle, so grollte ein israelischer Regierungssprecher. Seriöse Historiker, aber auch ehrliche Moralisten sind seit Jahren zu dem Ergebnis gekommen, daß jenes „Schweigen Pius XII.” diskutable, wenn auch schwer entschuldbare Gründe hatte.

Daß der heutige Papst bei seinem Besuch in Auschwitz vor drei Jahren jene Massenmorde angeprangert hat, läßt sich gewiß nicht (wie es die Vatikan-Zeitung tat) gegen Vorwürfe ins Feld führen, die die Vergangenheit betreffen; eher schon das Argument, daß Pius XII. nicht tatenlos schwieg, sondern, wie historisch dokumentiert ist, aktiv zur Rettung von Zehntausenden von Juden beitrug.

Was aber besagt dies für die leidige Frage, die heute im Nahost-Konflikt alle Welt und nicht nur die Kirche hin und her reißt?

Ob es dann realistisch sei, sich zu wünschen, daß eines Tages beide Völker, das israelische und das palästinensische, einander ihre Existenz zugestehen, den Weg zum Dialog fänden, zur Toleranz, zur Versöhnung? — Diese Frage stellte Johannes Paul II. am 16. September vor den Pilgermassen auf dem Petersplatz, kurz nachdem er vor dieser Generalaudienz mit Arafat zwanzig Minuten lang unter vier Augen gesprochen hatte.

Es war keine übliche Privataudienz im Arbeitszimmer des Papstes, sondern in einem Nebenraum der Audienzhalle, ohne protokollarischem Aufwand. Das vatikanische Staatssekretariat hatte sich diesen Modus ausgedacht, um die Begegnung etwas herunterzuspielen und doch nicht abzuwerten.

Bis zuletzt hatte man im Vatikan gehofft, vielleicht gar ein gemeinsames Kommunique vereinbaren zu können, das immerhin ein Zugeständnis Arafats an die päpstlichen Versöhnungsthesen hätte enthalten müssen. Arafat hatte ja vorher schon in Rom erklärt, er bringe „eine Friedensbotschaft”. Jedoch festlegen lassen wollte er sich auch nicht.

So konnte der Vatikan erst zweieinhalb Stunden später ein Kommunique herausgeben, das ausschließlich den Standpunkt des Papstes wiedergab, seinen Wunsch nach dauerhaftem Frieden im Nahen Osten „ohne Waffengewalt, ohne Terrorismus und Repressalien”.

Die umstrittene Frage ist freilich, ob das Oberhaupt der katholischen Kirche durch die Begegnung mit Arafat zu diesem Frieden beitragen konnte. Der Papst und seine Mitarbeiter sind sich der Problematik bewußt, des fast ausweglosen Dilemmas im Nahen Osten, das der Papst offen beim Namen nannte und das im gewissen Sinn auch sein Dilemma ist: das uralte einer weltweiten Kirche, deren Gläubige fast immer auf beiden Seiten jener Fronten leben, die diese konfliktgeladene Welt teilen.

So schwach das Wort des römischen Pontifex als Brückenbauer letzten Endes bleibt, gerade deshalb kann er nichts anderes als Türen nach allen Seiten offen halten: für West und Ost, nach rechts und links, selbst für reuelose Sünder und sonderbare Heilige.

Was Johannes Paul II. zu Arafat sagte, hat er anfangs des Jahres auch dem israelischen Außenminister gesagt, und früher schon hat es Golda Meir von Paul VI. zu hören bekommen.

Der Vatikan hat weder Israel noch die Palästinensische Befreiungsfront (PLO) völkerrechtlich anerkannt, beide jedoch „de facto”, jetzt auch durch das Faktum dieser Begegnung. Nicht der Papst hat jedoch Arafat moralisch aufgewertet, sondern Israel selbst durch seine kriegerischen Akte im Libanon.

.Arafat ist ein Terrorist!” empören sich die Israelis und nicht nur sie. Doch sogar das christdemokratische Parteiorgan „II Po-pulo” in Rom erinnerte daran, daß auch der jetzige israelische Regierungschef Menachem Begin einst als Terrorist begonnen hat, um für die Rechte seines Volkes einzutreten.

Politisch hat das alles einen fahlen Beigeschmack, religiös und kirchlich entspricht es einem Grundsatz, der letztlich nicht von dieser Welt ist: Hoffen auch gegen alle Hoffnung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung