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Der rote Autor des braven Schwejk

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„Am 3. Jänner 1923 ist Jaroslav Hasek, der Autor des Schwejks, gestorben. Geboren wurde er am 30. April 1883 in Prag. Er war der Sohn eines Lehrers und hatte eine ärmliche Kindheit. Nach Absolvierung einer Handelsakademie war er kurze Zeit Versicherungsbeamter. Er gab jedoch einem Boheme-Leben den Vorzug und kehrte von längeren Reisen, die ihn auch auf den Balkan führten, 1907 zurück. Er wurde durch allerlei Eulenspiegeleien bekannt und war literarisch sehr produktiv, indem er Redaktionen mit seinen Humoresken überschüttete. Eine Zeitlang war er in der Redaktion in der Zeitschrift „Tierwelt“ beschäftigt und verdiente nebenbei als Hundehändler Geld. Im Weltkrieg rückte er ins Budweiser Regiment Nr. 91 ein und desertierte im September 1915 an der Ostfront zu den Russen. 1916 trat er in die Tschechische Legion ein und wurde Redakteur der Legionsblätter. Im Februar 1918 trat er jedoch zur Roten Armee über, wurde Mitarbeiter der sozial-

demokratischen Linken und schließlich Anwerbekommissar für den Übertritt in die Rote Armee in Samara. Im März 1918 trat er in Moskau in die Partei der Bolschewiki ein und wurde ein bedeutender Parteifunktionär. Im Jahre 1920 kehrte er über Aufforderung der Kommunistischen Internationale nach Prag zurück. Hier, enttäuscht von der politischen Situation, übersiedelte er im August 1921 nach Lipnice, einem kleinen Ort, um dort seine angefangenen „Schicksale des braven Soldaten Schwejk“ zu vollenden.

Soweit das Lexikon tschechischer Schriftsteller.

Die tschechische Poesie hat zwei Figuren nach deutscher Vorlage geschaffen, den Dummen Hans nach „Hans im Glück“, und den dudelsack-pfeifenden Schwanda, eine Art musikalischen Eulenspiegel. Mit Schwejk hat Hasek eine Figur von internationaler Bedeutung und Bekanntheit geschaffen, die ihn neben Cervantes stellt. Die erste Kritik in der Heimat war negativ: die Schöpfung wurde als antimilitaristisches Anarchistenwerk hingestellt, zumal der Verleger Franta Sauer ein Anarchist war und das Buch in Fortsetzungsheften erscheinen ließ, die auch in der Armee raschen Absatz fanden. Der Schriftsteller Karel Capek liebte nicht den rüden Ton des Werkes, denn Hasek zeigte keine Vorliebe für Salonausdrücke.

Jaroslav Hasek hatte keinen guten Ruf, wenn er auch in der Boheme sehr populär war. Er mißbrauchte oft Gastfreundschaft in seinem unordentlichen Leben — tschechische Zeitschriften behaupteten auch, daß er, der aus Rußland mit einer als Gräfin ausgegebenen Frau heimkehrte, eigentlich Bigamist war. Die ihm nicht genehmen Zustände in der Masaryk-Republik, die er nach seiner Rückkehr aus Rußland in Prag vorfand, wo alle Staatsstellen mit rechtsgerichteten oder kompromißbereiten sozialdemokratischen Tsche-

chen besetzt worden waren, haben ihn angeblich auch veranlaßt, sich dem Trünke hinzugeben, weshalb seine Freunde darauf drangen, daß er Prag mit einem kleinen Ort vertauschte, wo nicht so viele Trinkgelegenheiten vorhanden waren.

Die rechtsgerichteten Kreise und Autoren warfen ihm Nihilismus und Anarchismus vor, bekämpften seine internationale Einstellung, die er in Rußland als Anwerber seiner deutschen und ungarischen Landsleute bewiesen hatte, indem er diese zum Übertritt in die Rote Armee animierte, vor allem durch seine Beiträge in der deutsch-geschriebenen kommunistischen Zeitung „Sturm“, sowie in der ungarischen Zeitung „Rogäm“. Wegen dieser seiner Sprachkenntnisse wurde der Rote Kommissar Hasek „mnogoiazychnyi komissar“ genannt, der Kommissar, der viele Sprachen kennt. War er doch zu Ende des Jahres 1919 in Che-liabinsk Kommandant der internationalen POLITODEL, genannt Inter-natsiotdelenija. Dies muß seine beste

Zeit gewesen sein, weil er hier seine Aggression gegen die bürgerliche Welt ungehemmt zum Ausdruck bringen konnte. Er wird damals als diszipliniert und nüchtern geschildert; als Propagandabearbeiter hatte er ein Gebiet, das größer war als die Tschechoslowakei. Seine Enttäuschung muß daher groß gewesen sein, als er in Prag ganz andere Zustände antraf, als er erwartete. Die neue Regierung hatte ein Bourgeois-Regime errichtet, daß die nichttschechische Bevölkerung als minderberechtigte Minderheiten behandelte. Er suchte nun in einer Parallele zur k. k. Bürokratie die tschechische Wirklichkeit bloßzustellen, wodurch er unangenehm auffiel.

Die heutige marxistische Literaturgeschichte macht aus ihm ein Vorbild, die Russen beschreiben ihn sogar als zärtlichen Gatten, der er nie war! Natürlich ist in der heutigen Moldau-Republik der Soldat Schwejk kein Vorbild, die „Schwejkovina“ — witzige negative Einstellung zur politischen Realität — wird ideologisch verdammt. Gewisse Zitate, darunter manche wie „Das will seine Ruhe haben“, ganz unrechtmäßig Schwejk zugeschrieben, sind zwar in Friseur-

laden und anderwärts geduldet, nicht jedoch im Militärbereich. Verpönt durch die Ideologen ist natürlich ein Bildchen, auf dem Schwejk im Unterstand mit Kameraden Karten spielt, während Granaten bersten und Sci>wejk ganz entrüstet zum Gegner ruft: „Leute, was macht ihr denn, hier sitzen Menschen!“

Haseks Meisterwerk wurde zuerst durch bürgerliche Autoren im Ausland propagiert, durch die Dramatisierung von Max Brod und Hans Reimann, erst später durch Links-radikale wie Erwin Piscator (1928) in seinem proletarischen Theater und durch Brecht in dessen „Schwejk im zweiten Weltkrieg“. Inzwischen war und ist der Schwejk oft dramatisiert worden für Bühne und Film; Rühmann und Muliar haben sich Paraderollen geschaffen, die auch im Fernsehen zu sehen waren. In Prag wurden Puppenszenen mit Schwejk als Film gedreht. Wird auch einmal ein Musical kommen?

Haseks Sterbeort Lipnice hat ein Festival für Humor bekommen, seine

Prager Wohnungen und Lieblingslokale aber keine Gedenktafel — es waren zu viele. Nur das Gasthaus „Zum Kelch“ — geführt vom Wirt Palivec und Begegnungsstätte zwischen Schwejk und dem Konfidenten Brettschneider — ist eine Art Gedenkstätte geworden, ein sehr lebhaftes Museum! Das Gasthaus war ursprünglich klein und primitiv, ist nun als Fremdenverkehrsanziehungspunkt sehr ausgebaut und modernisiert worden. Die Wände sind mit Zeichnungen und Sprüchen aus dem Schwejk-Werk geziert, und das kleine Kaiserbild, das die Fliegen befleckt haben, verliert sich fast. Denn im Vestibül ist ein riesenhaftes Bild des Monarchen im Festornat aus dem Sitzungssaal der ehemaligen böhmischen Landesbank aufgehängt worden und viele Besucher, die hier vorüber gehen, haben ganz andere Gefühle, als Hasek sie gegenüber dem greisen Kaiser gehegt hat. Die vergangenen 50 Jahre bewiesen, daß das „Joch Österreichs“ nicht das härteste war. Beweis: Die tschechischen Emigrantenverlage warten auf den 50. Sterbetag, um Haseks „Schwejk“ mit neuen Illustrationen — ohne Honorar für Hasek — herauszugeben.

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