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Der rücksichtslose Unverstand

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Alarmstimmung herrscht seit Jahresende im Wiener Bundesdenkmal -amt. Zu Recht. Seit der Budgetmittelverteilung für 1973 steht nämlich endgültig fest, daß Österreich zwar in jedem noch so fernen Winkel dieser Welt mit seinen jahrhundertealten Kulturdenkmälern um Fremde wirbt, um passive Handelsbilanzen teilweise abdecken zu können, aber daß der Staat just für die Erhaltung dieser historischen Leistungen herzlich wenig auszugeben bereit ist: Nur 20 Millionen Schilling stellt der Bund 1973 zur Verfügung, das heißt, trotz der gleichbleibenden Summe, natürlich weniger als 1972, denn seit dem vergangenen Jahr ist dieser Betrag bereits um mindestens acht Prozent weniger wert, Material- und Baukosten sowie die Löhne sind weiter gestiegen.

Das Unterrichtsministerium wirft zwar für wahlpolitisch spektakuläre Schulbuchaktionen hunderte Millionen (mehr oder minder) zum Fenster hinaus. Aber ob Österreichs Kulturszene weiter verarmt, ob da oder dort eine Fremdenverkehrsattraktion, ein Juwel barocker Kirchenbaukunst verfällt, oder ein als Ensemble erhaltenswerter Ortskern (wie Dornbach oder Baden) dem Geschäft der Gemeinden und ihr nahestehenden Bauunternehmen geopfert wird, interessiert offenbar nur wenige der Verantwortlichen. Die Spitzhacke könnte sonst in Österreich nicht nach wie vor wüten, die Verwahrlosung zahlloser Denkmäler so rapid fortschreiten.

Ein Blick ins Ausland zeigt schon, wie blamabel sich Österreichs und Wiens Situation zuspitzt. Rund 90 Millionen Schilling investiert das Land Bayern, um seine Kulturgüter auch für die nächsten Jahrhunderte zu bewahren, mehr als 150 Millionen das kleine Holland, das durchaus keine „unlösbaren“ Probleme mit riesigen Barockstiften und hunder-ten Burgen und Schlössern hat, sondern einfach gründlich Denkmalpflege betreibt.

Was nützen da all die Lamentationen der Wiener Denkmalpfleger und ihre finanziellen „Zaubereien“, um geringe Mittel möglichst effektiv einzusetzen? Was nützt es, daß Präsident Erwin Thalhammer im Wissenschaftsministerium die absolute Notwendigkeit, ja Unaufschiebbarkeit, etwa seines diesjährigen Restaurierungsprogramms zu beweisen versucht: „Wir haben nun einmal jenen unglücklichen Zeitpunkt erreicht, wo sehr viel alte Bausubstanz zugrundegeht, wenn man nicht sofort rettet, assaniert, restauriert. Jedes Zuwarten heißt, dem Verfall preisgeben... !“

Just heuer ist das Plansoll an Rettungsaktionen gewaltig gestiegen; die Liste müßte, gemessen am 20-Millionen-Budget, das bloß um Kleinbeträge der Länder vermehrt wird, eigentlich alle verzweifeln lassen. Aber im Wissenschaftsministerium scheint auch eine Katastrophenlawine nicht zu beeindrucken: „Selektion“, lautet der ministerielle Ratschlag, mit dem man sich aus der Affäre zu ziehen hofft. Das heißt, man empfiehlt eben nur die Rettung oder Instandsetzung der wichtigsten Kulturdenkmäler, „... und das kommt uns vor, als müßte ein Vater von fünf Kindern zwei weglegen oder verhungern lassen, weil er mit seinem Budget nur dreien eine komfortable Erziehung bieten kann“, meint der Pressereferent des Bundesdenkmalamts: „Soll man die noch vom Krieg her schwer beschädigte Wiener Votivkirche weiter .verfallen' lassen, um das barocke Juwel der Salesianerinnenkirche restaurieren zu können oder umgekehrt?“

Aber der ministerielle Ratschlag erweist sich als um so unverständiger, „metierfremder“, wenn man prüft, zwischen welchen Denkmälern das Denkmalamt zu „wählen“ hätte: In Wien, zum Beispiel, zwischen Fortführung der Arbeiten an der Karls-, Votiv- und Michaelerkir-che, der Restaurierung der Staatsopernloggia, der Otto-Wagner-Häuser an der Wienzeile, der Sanierung der Salesianerinnenkirche; in Niederösterreich zwischen etwa zwanzig Schlössern, so Qrafenegg, der Schal-laburg, Laxenburg, Arbeiten an den Stiften Lilienfeld und Altenburg, Rettungsaktionen für 25 historische Befestigungsanlagen; in Oberösterreich zwischen der Generalsanierung des Stiftes Kremsmünster zum 1200-Jahr-Jubiläum, des Stiftes Reichers-perg (für die barocke Schwanthaler-Ausstellung), in Kärnten zwischen der Wiederherstellung des Stiftes Viktring und zahllosen Kirchen mit wertvollen gotischen Interieurs, im Burgenland zwischen Schloß Halbturn (für die Maulpertsch-Ausstellung) und einer Eisenstädter Fassadenaktion usw.

Wie bedauerlich, daß nicht allein schon diese Aufzählung von bloß ein paar Beispielen gefährdeter österreichischer Kulturschätze genügt, alle Verantwortlichen mobil zu machen. Denn es müßte doch längst klar sein, daß Österreichs Kulturlandschaft — trotz teilweise mustergültigen Stadterhaltungsbeispielen wie Krems, Rust oder Salzburg — im großen nicht wirklich „gesund“ ist. Die kaputten Ortsbilder, die verschandelten Landschaften, die baulichen Verwüstungen von Stadtteilen mehren sich. Unverstand und Kurzsichtigkeit triumphieren. Interesselosigkeit dem kulturellen Erbe gegenüber, das überhitzte Baugeschäft, das unter dem Motto „Modern werden!“ organisch gewachsene Kulturleistungen von Jahrhunderten rücksichtslos unter sich begräbt, und geschmackliche Unsicherheit führen zu nie wieder korrigierbaren Fehlern: Abbruchen, Verschandelungen, verheerenden Bausünden.

Was nützt es, international Paradebeispiele abzugeben, indem mustergültige Schutzzonenatlanten ausgearbeitet werden? Was nützt es, ein Generalkonzept zur Sanierung österreichischer Altstädte vorzulegen, wenn die zu Buch gebrachten städtebaulichen Meisterleistungen verrotten, demoliert, dem Geschäft geopfert werden?

Wir stehen seit Jahren an einer Wende. Die Alternative lautet: Bewahren wir unsere Kulturlandschaft, unsere Stadtbilder, Kulturdenkmäler, und sanieren wir sie, so werden sie unser größtes Kapital sein. Oder wir opfern sie kurzsichtig zweifelhaften Projekten und Geschäften, die vielleicht schon morgen überholt sind. Aber dann können wir gewiß sein, daß wir auch unser Kapital dezimiert haben. Denn daß sich einer beispielsweise unserer menschenfeindlichen, architektonisch längst überholten Großfeldsiedlungen, unserer Mietkasernen, von Alleen befreiten Straßenzüge und um 50 Jahre verspäteten U-Bahn wegen hierher verirrt, glaubt längst nicht einmal mehr die Gemeinde Wien.

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