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Der „Rüthi-Schwur“ könnte alle Pläne durchkreuzen
Nicht der legendäre Rütli-Schwur, der am Anfang der eidgenössischen Geschichte unserer westlichen Nachbarn stand, sondern der aus den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts stammende „Rüthi-Schwur“ der Vorarlberger Sozialisten macht der Bundesregierung schwer zu schaffen. Schwerer als sie zugeben möchte: Weil sich alle Vorarlberger Parteien stets vehement gegen die Planung des Kernkraftwerkes Rüthi im Rheintal, nahe der österreichischen Grenze und nahe dem rheintalischen Industriezentrum, auf die Hinterfüße gestellt haben, war es für die Vorarlberger Sozialisten sozusagen Pflicht, auch gegen Zwentendorf sturmzulaufen.
Nicht der legendäre Rütli-Schwur, der am Anfang der eidgenössischen Geschichte unserer westlichen Nachbarn stand, sondern der aus den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts stammende „Rüthi-Schwur“ der Vorarlberger Sozialisten macht der Bundesregierung schwer zu schaffen. Schwerer als sie zugeben möchte: Weil sich alle Vorarlberger Parteien stets vehement gegen die Planung des Kernkraftwerkes Rüthi im Rheintal, nahe der österreichischen Grenze und nahe dem rheintalischen Industriezentrum, auf die Hinterfüße gestellt haben, war es für die Vorarlberger Sozialisten sozusagen Pflicht, auch gegen Zwentendorf sturmzulaufen.
Die Situation ist für Bruno Kreisky, den auf eiserne Disziplin in seiner Parlamentsmannschaft bedachten Kanzler, recht pikant: Da die Volkspartei einer sofortigen Inbetriebnahme von Zwentendorf bestimmt nicht zustimmen wird und auch die Freiheitlichen Abgeordneten ihren Noch-Parteichef Friedrich Peter in die einheitliche Anti-Kernkraftfront zurückgeholt haben, könnte den Sozialisten erstmalig seit 1970 eine wichtige Abstimmung im Parlament auf den Kopf fallen: Die vor allem vom ÖGB forcierte Inbetriebnahme Zwentendorfs könnte am Nein von ÖVP, FPÖ und der beiden Vorarlberger SPÖ-Abgeordneten Leonhard Treichl und Roman Heinz scheitern. Mit 92 Atomgegnern und 91 Befürwortern könnte Kreisky eine knappe Abfuhr erleiden.
Der Beschluß des SPÖ-Landespar-teivorstandes Vorarlbergs stammt vom 13. Mai 1977 und wurde am 23. Jänner dieses Jahres bekräftigt. Darin heißt es: „Die SPÖ Vorarlberg unterstreicht ihre unverändert ablehnende Haltung zum Bau eines Kernkraftwerkes im ostschweizerischen Rheintal (Rüthi). Im Hinblick auf die noch völlig ungeklärten Sicherheitsfragen, insbesondere der Atommüllagerung, erscheint die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf zum jetzigen Zeitpunkt nicht vertretbar.“ Diese Ablehnung ist also nicht unwiderruflich, die Vorarlberger SPÖ will aber die Fragen der Zwischen- und Endlagerung restlos geklärt wissen, was bisher jedenfalls nicht geschehen ist.
SPÖ-Mann Treichl legt Wert darauf, von Wien aus nicht unter Druck gesetzt worden zu sein: „Wir haben als Vorarlberger seitens der Bundespartei keinerlei Vorschriften erhalten. Wir vertreten die eigenständige Meinung einer autonomen Landesparteiorganisation.“ Die bekannte Ablehnung der beiden Vorarlberger Genossen dürfte aber der eigentliche Anlaß dafür gewesen sein, innerhalb der SPÖ die Atom-Entscheidung - im Gegensatz etwa zur Abtreibungsfrage -plötzlich zur „Gewissensentscheidung“ zu erklären. Treichl: „Das muß jeder Abgeordnete mit sich selbst ausmachen können!“
Die Rechnung der Sozialisten geht vermutlich in folgende Richtung: Wenn unsere Partei den Klubzwang aufhebt und die ÖVP das vielleicht auch tut, könnten wir die durch die beiden Vorarlberger verlorenen Stimmen mehrfach zurückgewinnen ... Der aus der Reihe tanzende SPÖ-Mann Treichl liefert für diese Theorie selbst den Beweis: „Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Kollege Blenk von der ÖVP bei der Abstimmung die Interessen der Industrie und der Wirtschaft völlig vernachlässigt...“'
Da es im Parlament nach derzeitigem Stand zwei Abstimmungen in der Kernfrage - eine über die „Zurkennt-nisnahme“ des Regierungsberichtes zur Kernenergie und eine zweite über die sogenannte Grundsatzentscheidung über Zwentendorf - geben wird, werden es die beiden Vorarlberger SPÖ-Abgeordneten einigermaßen schwer haben. Sie wollen nämlich den Regierungsbericht annehmen, offenbar um bei der eigenen Partei doch nicht zu sehr anzuecken, während sie in der Grundsatzentscheidung Zwentendorf ablehnen wollen.
Wer jedoch den Regierungsbericht gelesen hat, weiß, daß er allein die Basis für eine Grundsatzentscheidung abgeben kann (andere Empfehlungen, an die sich ein Abgeordneter halten könnte, gibt es praktisch nicht), er weiß auch, daß dieser Bericht einte Menge positiver Aussagen über die Kernenergie enthält. In der Einleitung (Seite 8) wird etwa auf die enormen Energieimporte Österreichs hingewiesen; sie seien die einzige Alternative zur Kernenergie. Die Belastung der Zahlungsbilanz durch die Energieimporte habe jedoch von 7,5 Milliarden (1970) auf fast 25 Milliarden Schilling (1976) zugenommen: „Wenn sich die Bundesregierung unter diesen Umständen ■... grundsätzlich für die Nutzung der Kernenergie ausspricht, so hat sie dabei die kritischen Argumente gegen die Kernenergie nicht auf die leichte Schulter genommen.“
Nicht minder deutlich wird auf Seite 26 des Berichtes für Zwentendorf das Wort ergriffen: „Eine nüchterne Betrachtung alles vorher Gesagten, also der Weltsituation, der Energiereserven im Inland und der Möglichkeiten und Grenzen der nichtkonventionellen Energiequellen, führt zu der Schlußfolgerung, daß der zukünftige Fehlbetrag zwischen Elektrizitätsverbrauch und Elektrizitätserzeugung in Österreich, soweit er nicht durch sinnvolleren Einsatz der elektrischen Energie verringert werden kann, am zweckmäßigsten durch die einzige technisch-wirtschaftlich bereits reife neue Energiequelle aufgebracht werden kann: die Kernenergie.“
Unter diesen Umständen darf es wohl als fraglich bezeichnet werden, ob den beiden Vorarlberger Abgeordneten Treichl und Heinz eine glaubwürdige Rolle gelingt.
Die Mehrzahl der SPÖ-Abgeordneten ist mit Kreisky einer Meinung, wenn er sagt, entscheiden müsse nun das Parlament Oft genug hat gerade die ÖVP-Opposition den Vorwurf erhoben, das Parlament verliere immer mehr an Gewicht, weil die Regierung die meisten markanten Entscheidungen im Alleingang treffe. Um selbst nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren, will die ÖVP mittlerweile die Entscheidung nicht mehr an die Regierung einfach abwälzen. Im Gegenteil: Wie man in der Kärntner Straße, dem Hauptquartier der ÖVP, hört, wird an einem oppositionellen Alternatiwor-schlag zur angestrebten Grundsatzentscheidung der SPÖ bereits eifrig gebastelt
Wie's also weitergehen soll, steht noch in den Sternen. Zunächst ist der parlamentarische Atom-Ausschuß am Zug, der auch Kernkraftgegner anhören wird. Ein Termin für die Beschlüsse im Plenum und vor allem über deren Modalitäten ist noch nicht abzusehen. Mag sein daß den Sozialisten ein Waffenstillstand an der Atomfront bis zu den Wiener Gemeinderatswahlen besonders am Herzen hegt. Leopold Gratz hat aus seiner negativen Haltung gegenüber Zwentendorf in seiner Partei bisher kein Hehl gemacht. Mag aber auch sein, daß das Parlament letztlich doch nicht die Entscheidung liefern muß. Kreisky wollte ja auch einmal eine Volksabstimmung über Zwentendorf abhalten, um kurz darauf nach einer totalen Kehrtwendung die Materie für eine Volksbefragung als ungeeignet zu erklären. Ebenso könnte ihm einfallen, das Parlament doch noch für unzuständig zu erklären.
Letzteres wäre ganz im Sinne Anton Benyas, der trotz seiner Funktion als Nationalratspräsident lieber gleich auf den Knopf drücken würde - ohne das Parlament umständlich zu befragen.
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