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Der „Sadatismus“ kommt

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In Kairo entfernt man gegenwärtig die gewohnten riesigen Reklametafeln für Whisky, orientalische Bauchtänze und amerikanische Sexfilme von den Innenstadt-Boulevards und den Ausfallstraßen zum Flughafen und den Pyramiden von Gizeh. Die „Kinder von Abd el Nassier und Coca-Cola“, wie man die in den einundzwanzig Jahren seit der Revolution von 1952 herangewachsene Generation häufig nennt, die für sich einen amerikanisch-arabischen Lebensstil entwickelt hat, sieht das mit gemischten Gefühlen. Branden jetzt die Wellen der religiös-konservativen „Kulturrevolution“ des libyschen Wüstenobristen Moammer el-Ghada-fl wider die Tore der lebenslustigen einzigen arabischen Millionenstadt? Eher sieht es so aus, als erkaufe sich Präsident Anwar es-Sadat mit einem spektakulären sichtbaren Zugeständnis, das ihn nichts kostet und das nichts ändert, die weitere finanzielle Gönnerschaft des reichen Libyen für das arme Ägypten. Im Grunde seines Herzens mögen dem frommen Moslem, der sich unter der schillernden Schale des politischen Pragmatikers verbirgt, die Auswüchse des tollen Kairoer Nachtlebens vielleicht manchmal tatsächlich zu weit gehen. Während die haushohen Reklamen verschwinden, tauchen an den Wänden der öffentlichen Gebäude neben den allmählich verbleichenden und abblätternden Bildern des siegesgewiß lachenden „Rads“ Gamal Abd el Nasser immer größere Farbporträts eines ernst dreinblickendeh es-Sadat auf. Im ersten Jahr seiner Amtszeit blieb alle Verehrung des scheinbar vaterlos gewordenen Nilvolkes noch bei dem toten „Rais“. Der neue Präsident berief sich bei vielen Maßnahmen auf ihn, und der Strom der Trauernden an seinem Grabmal im Vorort Heliopolis wollte nicht abreißen. Heute erweisen nur noch wenige dem früh verstorbenen Nildiktator Ihre Reverenz, öffentlich wird er kaum noch erwähnt.

Die Linke, deren Hauptexponenten

Ali Sabri und Scharaui Gomaa in komfortablen Gefängniszellen isoliert sind, wagt sich nicht mehr ans Tageslicht. Die Offiziere, die nach 1967 zunächst jahrelang auf Revanche für die bittere Niederlage im Sechstagefeldzug drängten, begnügen sich heute lieber mit lukrativen Zivilposten. Die Studenten, die dem neuen Präsidenten erst einmal kräftig zu schaffen gemacht hatten, erfreuen sich ihrer erweiterten Privilegien, von Stipendien bis zu Auslandsreisen und der Einfuhr fabrikneuer westlicher Autotypen. Die Bürokratie, die ohnehin traditionell jede Verantwortung scheut, ist allerdings noch immer die alte. Präsident es-Sadat blieb gar nichts anderes übrig, als sich auf die erfahrenen Staatsdiener von gestern zu stützen. So funktioniert noch immer das gewohnte System der Bespitzelung von Ausländern und mehr oder weniger exponierten Ägyptern durch die Boabs, die Conciergen der großen Häuser.

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